Wenigstens das Mindeste

Generalstreik in Algerien

Zwar musste die nationale Fußballliga seinetwegen um mehrere Wochen verschoben werden, aber auch das änderte nichts an seinem Erfolg: Der Generalstreik in Algerien vom Dienstag und Mittwoch voriger Woche war der erste dieser Größenordnung seit März 1991. Eine Streikbeteiligung von 90 Prozent am ersten Tag und 93 Prozent am folgenden kann sich sehen lassen.

Die UGTA (Allgemeine Union der algerischen Arbeiter) organisiert heute rund 1,3 Millionen jener knapp fünf Millionen Männer und Frauen, die in geregelten Normalarbeitsverhältnissen stecken – und nicht im bedeutenden informellen Sektor beschäftigt sind oder zu den offiziell registrierten 30 Prozent Erwerbslosen zählen. Zu den Streikforderungen gehörten vor allem der Stopp des »unkontrollierten« Privatisierungsprozesses sowie die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von derzeit knapp 120 Euro.

Im Unterschied etwa zum Gewerkschaftsdachverband im benachbarten Tunesien war die algerische UGTA von Anfang an keine unabhängige Klassenorganisation. Anfang 1956 mitten im Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich gegründet, bildete die UGTA zunächst einen verlängerten Arm der nationalen Befreiungsbewegung FLN. Als der FLN nach der Unabhängigkeit 1962 zur Einheits- und Staatspartei wurde, blieb der UGTA-Apparat ihm eng verbunden. Auch heute noch – der 1988 durch eine breite soziale Revolte entmachtete und später »gewendete« FLN ist seit knapp einem Jahr wieder die führende Regierungspartei – bestehen enge Bindungen zwischen beiden Apparaten.

Doch derzeit tobt ein heftiger Streit innerhalb der politischen und ökonomischen Eliten, bei dem es um die Frage des Ausmaßes an wirtschaftlicher Öffnung und Privatisierung geht. Seit dem Amtsantritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika 1999 stehen Privatisierungen zwar auf der Agenda der Regierung, praktisch aber hat sich nicht viel getan. Wegen mangelnder Rechtssicherheit, Korruption und der Schwierigkeit, Grund und Boden zu erwerben, zeigen die Investoren bisher geringes Interesse an der algerischen Wirtschaft, zumindest solange das Herzstück nicht auf den Verhandlungstisch kommt: die Öl- und Gasproduktion.

Um das abzustellen, hatte Energieminister Chikab Khelil im Vorjahr einen Gesetzentwurf präsentiert, der ausländischen – vor allem US-amerikanischen – Firmen einen direkten Zugriff auf den Ölsektor ermöglichen soll. Die Widerstände der Gewerkschaftsbasis, aber auch protektionistisch gesonnener Teile der Eliten waren jedoch erheblich. Am 24. Dezember zog Präsident Bouteflika den Entwurf offiziell zurück. Doch wenige Wochen später reiste Minister Khelil in die USA und warb weiter für das Projekt.

Daher hatte die UGTA auch Teile der Eliten hinter sich, als sie zum Ausstand gegen »den Ausverkauf« rief, so auch die Mehrheit des nationalen Unternehmerverbands FCE. Zugleich wurde der Streikaufruf zum Katalysator des allgemein verbreiteten sozialen Unmuts über die Lebensbedingungen.

UGTA-Chef Abdelmadschid Sidi Saïd erklärte Mitte letzter Woche ganz offiziell, ihm gehe es darum, den FLN-Chef und Premierminister Ali Benflis zu unterstützen – gegen seine privatisierungswütigen Minister Khelil und Abdelhamid Temmar. Im Kontext der Vorbereitung der Präsidentschaftswahl von 2004 hofft man, den für maximale »Öffnung« der Ökonomie eintretenden Teilen der politischen Klasse das Wasser abzugraben, notfalls auch einer erneuten Kandidatur Bouteflikas. Damit dürfte man allerdings bestenfalls eine Softversion des gleichen Programms erhalten.