Bauern opfern die EU

Drei Monate vor dem EU-Referendum ist die polnische Regierungskoalition zerbrochen. Teile der Polnischen Bauernpartei opponieren inzwischen gegen den EU-Beitritt. von konrad lischka

Eigentlich wollte Polens Premierminister Leszek Miller mit der Fernsehansprache am 1. März seine Pro-Europa-Kampagne beginnen. Das hat der Sozialdemokrat dann auch irgendwie getan. Statt den Zuschauern allerdings zu erklären, warum sie im Juni für den Beitritt stimmen sollten, teilte Miller mit, dass die Polnische Bauernpartei (PSL) nach 16 Monaten aus der Regierungskoalition fliegt. Was wiederum viel mit dem bevorstehenden Beitrittsreferendum zu tun hat.

Das Dilemma der Regierung ist, dass sie zuerst viel Geld ausgeben muss, um an die EU-Mittel zu kommen, die den Beitritt attraktiv machen. Denn die Union zahlt für Straßenbau und sonstige Infrastrukturverbesserungen nur, wenn die polnische Regierung einen Teil der Kosten trägt. Da Polen bessere Straßen ebenso braucht wie einen Bauboom, der Arbeitsplätze schafft und die Konjunktur antreibt, muss die Regierung hierfür Geld freimachen. Viel Geld wird auch die Aufstockung der EU-Subventionen für Bauern kosten. Weil ihnen nur ein Viertel der Summe zusteht, welche heutige EU-Mitglieder bekommen, muss die Regierung kräftig zuzahlen. Die Wirtschaft wächst aber nicht genug, um dieses Geld über steigende Steuereinnahmen hereinzuholen. Experten erwarten maximal 2,6 Prozent Wachstum für dieses Jahr. Zudem spricht alles dafür, dass die Arbeitslosigkeit vom Rekordstand von 18,7 Prozent nicht so schnell sinken wird wie nötig.

Gemessen an diesen Problemen, war der Anlass für den Bruch der Koalition nichtig. Die jetzt allein regierende »Koalition Demokratische Linksallianz – Arbeitsunion« (SLD-UP) wollte auf die Benutzung der Autobahnen eine Gebühr erheben. Die Bauernpartei schimpfte über versteckte Steuererhöhungen, wollte dann aber doch zustimmen, unter der Bedingung, dass Bauern weniger oder gar nichts zahlen müssten. Von dieser Forderung rückte die PSL nicht ab und stimmte gegen das Gesetz. Die Partei will, gerade angesichts der gegenwärtigen Bauernproteste, vor ihrer Wählerschaft als harter Interessenwahrer dastehen.

Fraglich ist aber, ob sie bereits zum jetzigen Zeitpunkt das Ende der Koalition provozieren wollte. So liegt der Rauswurf der Bauernpartei momentan durchaus im Interesse des Premiers. Miller will mittelfristig die Option auf Neuwahlen haben. Denn derzeit ist seine sozialdemokratische Partei noch immer stärker als die zersplitterte Rechte. Wenn gewählt wird, bevor nach dem Referendum die Folgen höherer Steuern und geringerer Ausgaben spürbar werden, könnte die SLP ihre Macht bis 2007 sichern. Mögliche Anlässe für Neuwahlen wären der EU-Bericht über den Fortschritt nötiger Gesetzesanpassungen in Polen im Herbst oder die Haushaltsabstimmungen im kommenden Januar.

Millers kurzfristiges strategisches Ziel ist es, mehr Reformen durchzusetzen. Das ist ohne die Bauernlobby der PSL sehr viel leichter möglich. Seine Regierung ist trotz parlamentarischer Minderheit durchaus stabil. Bis zur Hauhaltsdebatte im Januar 2004 wird es ohne Millers Zustimmung kaum Neuwahlen geben.

Ein konstruktives Misstrauensvotum ist ebenfalls unwahrscheinlich. Dafür sind die Parteien auf der Rechten viel zu zersplittert und schwach. Die liberale, marktwirtschaftliche »Bürgerplattform« (PO) ist derzeit mit internen Machtkämpfen beschäftigt. Die radikalen Rechten der »Samoobrona« und der »Liga der Polnischen Familien« (LPR) gewinnen trotz schlechter Konjunktur in Umfragen kaum. Zwischen den liberalen Technokraten und den LPR-Antisemiten stehen die Populisten der Bewegung »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), die sich – vergleichbar der Partei des Ronald Schill in Deutschland – bislang vor allem als radikale Kämpfer gegen die Kriminalität aufführen, was aber auf Dauer auch keine Wahlerfolge garantiert. An ihrem neuen Programm feilt die Partei derzeit noch.

Millers Regierung kann diese Zersplitterung nutzen, um sich von Fall zu Fall neue Mehrheiten zu suchen. SLD-Generalsekretär Marek Dyduch beschreibt die Strategie mit den Worten: »Wir schließen keine Zusammenarbeit mit der Opposition aus.« Gute Chancen zur Übereinkunft sieht er »mit der liberalen PO in Finanzfragen, der rechtspopulistischen PiS bei der inneren Sicherheit, der Samoobrona in gesellschaftlichen Fragen und auch mit der Bauernpartei«. Abgesehen von der Liga der Polnischen Familien, die mit ihren 28 Stimmen ein Misstrauensvotum erreichen will aber nicht kann, schließt keine Fraktion eine punktuelle Zusammenarbeit mit der Regierung aus.

Ob Miller seine Ziele erreichen kann, hängt vom Ausgang des EU-Referendums am 8. Juni ab. Schon jetzt wenden sich zumindest Teile der PSL offen gegen den Beitritt. So erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzender im Sejm, Zdzislaw Podkanski: »Die EU hat uns den Status eines Mitglieds zweiter Klasse angeboten. Daraus muss man Konsequenzen ziehen. Ein auf Verletzungen aufgebautes Europa wird keine Gemeinschaft sein.« Sehr schwammig äußert sich der PSL-Vorsitzende, Jaroslaw Kalinsowski: »Wir sind derzeit noch nicht so weit, unsere abschließende Position zum Referendum bekannt zu geben.«

Mit der Bauernpartei hat die Regierung auch die Gewähr dafür verloren, dass zumindest eine Minderheit der Landbevölkerung den Beitritt zur EU unterstützt. Die größte Gefahr ist aber auch jetzt nicht, dass eine Mehrheit dagegen stimmt. In Umfragen geben 60 bis 70 Prozent der Befragten an, für den Beitritt zu sein. Ob sie alle zur Abstimmung gehen, ist allerdings fraglich.

Die felsenfest überzeugten Anhänger der EU bilden eine Minderheit, die Unentschiedenen dominieren. Gegen den Beitritt gerichtete Propaganda könnte sie von einer Teilnahme am Referendum abschrecken. Nun schreibt die Verfassung bei einem Referendum, anders als bei einer Wahl, eine Mindestbeteiligung von 50 Prozent vor, damit das Ergebnis gültig ist. Das ist ein Problem in dem Land, in dem die Politikverdrossenheit sehr groß ist. An der vergangenen Parlamentswahl beteiligten sich nur 46,3 Prozent der Wahlberechtigten. Vorsorglich warnten schon jetzt Verfassungsrechtler in der Tageszeitung Rzeczpospolita, dass keineswegs das Parlament entscheiden dürfe, wenn zu wenige Stimmberechtigte am Referendum teilnehmen.

Polen erlebt seit dem Bruch der Koalition zwar keine Regierungskrise, aber es zeichnet sich eine wachsende Polarisierung der politischen Lager ab. Der neue parteilose Landwirtschaftsminister Adam Tanski erklärte, er brauche etwa zwei Wochen Zeit, um sich einzuarbeiten. So lange habe es doch gar keinen Sinn, wenn Bauern durch Straßenblockaden »sich und uns das Leben schwer machen«. Am Tag darauf verbrannten demonstrierende Bauern vorm Sitz des Premierministers eine Strohpuppe Millers.