Der nützliche Esser

Als Mannesmann von Vodafone übernommen wurde, bachen der Kaufpreis und die Prämien der beteiligten Manager alle Rekorde. Vor Gericht wird jetzt verhandelt, ob der Tatbestand der Untreue vorliegt. von richard rabensaat

Eine feindliche Mutter wäre das Allerschlimmste«, ließ Klaus Esser, der damalige Vorstandsvorsitzende von Mannesmann, im Jahr 1999 auf Plakatwänden verkünden. Ein übel gelaunt dreinblickendes Babygesicht sollte die Öffentlichkeit auf die bevorstehende Auseinandersetzung zwischen zwei Telekommunikationsunternehmen aufmerksam machen. Der britische Konzern Vodafone plante die Übernahme des deutschen Unternehmens Mannesmann. Die Plakatkampagne zeitigte den gewünschten Erfolg bei der Belegschaft. »Auch Haie können sich überfressen«, lautete einer der markigen Kommentare, mit denen rund tausend Betriebsräte an der Seite von Klaus Esser gegen die Übernahmegelüste des Konkurrenten protestierten.

Aber es half alles nichts. Am 3. Februar 2000 beschlossen die beiden Firmen die Fusion. Für die Übernahme zahlten die Briten den Rekordpreis von knapp 400 Milliarden Mark. Besonders lukrativ gestaltete sich das Geschäft für die ausscheidenden deutschen Manager, die Gesamthöhe ihrer Abfindung belief sich auf rund 150 Millionen Mark.

Hiervon beanstandet nun die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft einen Betrag von 110 Millionen, dessen Auszahlung unrechtmäßig gewesen sei. Denn erst dadurch seien die Manager von Mannesmann gefügig gemacht worden und hätten der Übernahme zugestimmt. Das Wohl des Unternehmens hätten sie geschädigt, meint die Staatsanwaltschaft. Einvernehmlich hätten sie beschlossen, sich auf Kosten von Mannesmann zu bereichern. Die Anklage lautet auf Untreue.

Als 50,5 Prozent der Anteile von Mannesmann an den Konzern aus Großbritannien fielen, besiegelten die Chefs der beiden Unternehmen, Chris Gent und Klaus Esser, den Abschluss sichtlich zufrieden mit einem Handschlag. An dem Handel beteiligt waren allerdings mehr Personen. Auf der Seite von Mannesmann entschied ein vierköpfiger Aufsichtsratsausschuss über die Prämien. Zu diesem Gremium gehörten der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Jürgen Ladberg, der ehemalige Vorstandsvorsitzende Joachim Funk, der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel und der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Funk wurde bei der Fusion mit einer Prämie von sechs Millionen Mark und mit 5,3 Millionen Mark zur Abgeltung von Pensionsansprüchen bedacht. 61 Millionen Mark erhielten weitere 18 Pensionäre, die vor der Vereinigung mit Mannesmann in Verbindung standen. Die genannten Summen wurden in der Öffentlichkeit erstaunt zur Kenntnis genommen.

Die meisten Kommentatoren waren sich einig, dass sich Esser wacker geschlagen habe. Die Schlacht sei hart gewesen, und Firmenübernahmen, auch in dieser Größenordnung, seien in einer globalisierten Wirtschaft durchaus ein üblicher Vorgang. Nur wenige hielten den an Esser gezahlten Betrag für anstößig. Die Anerkennungsprämie für geleistete Dienste in Höhe von 30 Millionen Mark und die Abfindung von 28,5 Millionen Mark für den Arbeitsplatzverlust waren im deutschen Maßstab recht komfortabel.

Weil aber die Verkaufsverhandlungen vom Großaktionär Hutchison Whampoa Ltd. mit Wohlwollen verfolgt worden waren, legte der Spitzenmanager des Unternehmens, Canning Fok, noch einmal 31 Millionen Mark an Prämien auf Essers Abfindung drauf. Insgesamt 90 Millionen Mark hielt Esser nicht für sonderlich erwähnenswert. Das seien schließlich nicht einmal 0,2 Prozent des Gewinns gewesen, den die Aktionäre durch die Kurssteigerungen der Mannesmann-Aktie erzielt hätten. Und der Unternehmenswert von Mannesmann sei durch die Übernahmeofferte um 100 Milliarden Euro gewachsen. »Ich bin der Meinung, dass die Höhe der Zuwendung am Erfolg des Managers gemessen werden soll«, verkündete Esser nassforsch. Zudem seien Abfindungen in dieser Höhe überall üblich.

Das bezweifelten allerdings die beiden Stuttgarter Rechtsanwälte Mark Binz und Martin Sorg. Sie erstatteten im März 2000 Strafanzeige gegen Esser und die anderen beteiligten Personen. Die gezahlten Summen seien »unanständig hoch und für keinen Arbeitnehmer nachvollziehbar«, hatte Klaus Zwickel unmittelbar nach den Verkaufsverhandlungen getönt. Gegen den Entschluss unternommen habe er allerdings nichts, sondern sich der Stimme enthalten, schließlich sei kein Arbeitnehmer entlassen worden. Im Verlauf der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurde allerdings klar, dass Zwickel im Aufsichtsratsausschuss die Zahlungen abgenickt hatte, was als Zustimmung gewertet worden war. Später erklärte er, der ganze Vorgang sei rechtlich zwar einwandfrei gewesen, aber die Optik sei dennoch bedenklich. Er habe damals wohl einen Fehler gemacht.

Einen nicht nur optischen Fehler sah der Düsseldorfer Generalstaatsanwalt Lothar Sent. Als er im März 2000 Anklage erheben wollte, stieß er auf den Widerstand seiner Vorgesetzten. Erst das nordrhein-westfälische Jusitzministerium sorgte Anfang Februar dieses Jahres für die Zulassung der Klageeinreichung beim zuständigen Gericht.

Ob der auf Untreue lautende Vorwurf allerdings tatsächlich zu einer Hauptverhandlung führen wird, ist zweifelhaft. Im April wird sich entscheiden, ob die Richter die Anklage zulassen und die Hauptverhandlung eröffnen. Denkbar ist auch, dass die Klage der Staatsanwälte ebenso scheitert wie die wegen Industriespionage gegen den früheren Manager von VW, José Ignacio López de Arriortúa, im Jahre 1996. Damals wurde das Verfahren nach zwei Jahren einfach eingestellt.

Jedenfalls müssen sich die zuständigen Richter einer Wertungsfrage stellen, die im deutschen Strafrecht beispiellos ist. Denn Entscheidungen, die in der Wirtschaft getroffen werden, obliegen erst dann rechtlicher Prüfung, wenn gegen kodiertes Recht verstoßen wird. Ob allerdings das Straf- oder das Aktienrecht verletzt wurde, ist bislang ungeklärt.

Eine Untreue im Sinne des Strafgesetzbuches hätten die Entscheidungsträger bei Mannesmann nur dann begangen, wenn sie mit ihren Entscheidungen das Wohl des Unternehmens willentlich und wissentlich nachhaltig geschädigt hätten. Angesichts der positiven Kurs- und Unternehmensentwicklung könnten die Richter das ausschließen.

Auch die Frage, ob die Höhe der gezahlten Beträge unangemessen war, ist nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Nach Paragraf 87 des Aktiengesetzes müssen die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitgliedes in einem »angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben stehen«. Jedoch werden bei vielen führenden Unternehmen in Deutschland Vorstandsgehälter gezahlt, die 500fach über dem eines Durchschnittsverdieners liegen. Klaus Esser hält daher eine Prämie für gerechtfertigt, die das 20fache seines festen Jahresgehalts und das siebenfache seines Einkommens (Festgehalt und Bonus) ausmachte. Immerhin war er 23 Jahre für Mannesmann tätig.

Unter Berücksichtigung regulärer Arbeitnehmerabfindungen wäre der Betrag dann tatsächlich gar nicht so ungewöhnlich. Üblicherweise wird ein Monatsgehalt für jeweils ein halbes Jahr Betriebszugehörigkeit gezahlt. Auch er war schließlich ein einfacher Angestellter, könnte der ehemalige Vorstandsvorsitzende behaupten.