Spanische Kalküle

In ihrer Ablehnung des Krieges scheint sich die Mehrheit der Spanier von links bis rechts einig zu sein. Nur Regierungschef José Maria Aznar bleibt weiterhin auf Kriegskurs.

Fast fünf Millionen Spanier demonstrierten Mitte Februar gegen die Irakpolitik des Ministerpräsidenten José Maria Aznar, so viele Demonstranten wie in keinem anderen Land der Welt. Vier Wochen nach der historischen Mobilisierung ist die Stimmung gereizt. Viele Spanier haben die Hoffnung aufgegeben, den Krieg verhindern zu können. »Wenn wir kämpfen, können wir verlieren, wenn wir nicht kämpfen, sind wir verloren«, ermuntert der Schauspieler Juan Diego Botto, in Anlehnung an einen Aufruf aus dem spanischen Bürgerkrieg, dennoch seine Landsleute. In den vergangenen Tagen stand Botto, der sich im Bündnis Plataforma Cultural contra la Guerra engagiert, gemeinsam mit vielen seiner Kollegen unermüdlich auf öffentlichen Plätzen und sammelte Unterschriften gegen den drohenden Irakkrieg.

Auch die Gewerkschaften mobilisieren weiter gegen einen Krieg. Für Freitag haben sie unter dem Slogan »Europa anhalten, um den Krieg zu stoppen« eine einstündige Arbeitsniederlegung angekündigt. Einen Tag später wollen linke Gruppen im ganzen Land demonstrieren – in Madrid nicht nur gegen einen Irakkrieg, sondern auch für den Rücktritt der konservativen Regierung. Die Studentenorganisationen rufen zu einem Bildungsstreik auf. Die Unterstützung der Professoren ist ihnen sicher. »Es ist nötig, den Frieden vorzubreiten, nicht den Krieg, und etwas für einen radikalen Wechsel der aktuellen Tendenzen zu tun«, plädiert Federico Zaragoza, Uniprofessor und Präsident der Stiftung Cultura de Paz.

Wirtschaftsminister Rodrigo Rato ist indessen überzeugt: »Das spanische Volk wird es seiner Regierung danken, dass sie immer das gleiche gesagt hat, egal ob es gegen den Krieg ist und gegen ihn demonstriert.« Ganz so sicher ob der Dankbarkeit der Spanier scheint sich die Regierung aber nicht mehr zu sein. Weigerte sie sich Ende Januar noch, vor dem Parlament ihre Haltung zum Irakkonflikt zu rechtfertigen, gab es in den letzten sechs Wochen gleich drei Parlamentsdebatten zu dem Thema. »Wir arbeiten für den Frieden, und Millionen von Menschen in der Welt und in unserem Land haben das anerkannt«, interpretierte Aznar auf seine Weise die Friedenskundgebungen.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. So kündigte das Verteidigungsministerium inzwischen die Entsendung von Truppen in den Irak an. In der Militärbasis von Rota wurden bereits Unterkünfte für US-Marines gebaut. Italienische Düsenjäger probten auf dem Flugzeugträger Principe de Asturias, während die spanische Luftwaffe im Golf von Cadiz trainierte. Unbeeindruckt von den Massenprotesten erklärte Aznar: »Wenn die beste Entscheidung immer die gewesen wäre, nichts zu tun, wäre Europa heute voll von Diktatoren.«

Das Innenministerium scheint Saddam Hussein jedoch nicht für so gefährlich zu halten, denn zwischen 1997 und 2001 wurden 99 Prozent der Asylanträge von irakischen Flüchtlingen abgelehnt.

Inzwischen verweigert auch ein Teil ihrer Wähler der konservativen Volkspartei (PP) die Gefolgschaft. Nach Angaben des Zentrums für Soziologische Studien liegt die sozialdemokratische PSOE in Umfragen nur noch um 2,5 Prozent hinter der Volkspartei von Aznar. 60 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten wenig oder gar kein Vertrauen mehr zu ihrem Ministerpräsidenten. Daher häuften sich in den vergangenen Wochen in der PP die kritischen Stimmen. Der stellvertretende Vorsitzende, Mariano Rajoy, räumte sogar ein, dass die Politik gegenüber dem Irak die Partei Stimmen kostet. Auf Wunsch der PSOE fand daher vergangene Woche im Parlament eine Geheimabstimmung zum drohenden Krieg statt. Die Partei hatte gehofft, dass einige PP-Abgeordnete »ihrem Gewissen gemäß« votieren würden. So weit hat sich die Kritik an Aznar noch nicht entwickelt: Die PP-Abgeordneten stimmten geschlossen für den Kurs ihres Vorsitzenden.

Doch der Alleingang der PP provoziert im gesamten konservativen Spektrum Distanzierungen. Baltasar Garzon, Richter am Obersten Gerichtshof, nannte die Situation »einen Wahnsinn« und jene, die sie zu verantworten hätten, »taub« und »gefährlich«. Die ansonsten regierungsnahe Zeitung El Mundo wendet sich ebenfalls gegen Aznar. »Eine Verständigung mit Paris-Berlin ist nicht mehr möglich, und das wird zukünftig sehr negative Konsequenzen für unser Land haben«, klagte die Zeitung. Sogar ABC, ein deutlich nach rechts gewandtes Blatt, kritisierte die »dogmatische« Form von Aznars Politik.

Wenig Freunde macht sich Aznar auch in den afrikanischen Mittelmeerländern. »Spanien, Italien und Portugal provozieren tiefe politische und kulturelle Wunden im arabischen Raum, speziell in den Mittelmeerländern«, schreibt die marokkanische Tageszeitung Al Ayat. Spanien organisierte 1995 das Mittelmeerforum der EU, um seinen Einfluss in diesem Raum auszubauen, unterstützt von Italien und Portugal. Damit bot man Paris und Berlin die Stirn, weil man dort eine erweiterte Kooperation mit Osteuropa forderte, zu Ungunsten der Mittelmeerländer. Die Zustimmung zu einem Irakkrieg habe »die letzte Chance für einen Euro-Mittelmeer-Dialog zerstört«, so Al Ayat.

Die Überlegungen der spanischen Regierung gehen aber in eine andere Richtung. Das Land ist von ausländischen Investitionen abhängig, um seine Wirtschaftsbilanz stabil zu halten. Das Tourismusgeschäft verzeichnete im letzten Jahr Gewinneinbußen von 3,5 Prozent. Wirtschaftsminister Rato garantiert »bei einem schnellen Krieg und einem Ölpreis unter 20 Dollar pro Barrel« bis zum Jahresende einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von vier Prozent. Börsenmakler raten für den Kriegsfall ihren Kunden, in Infrastruktur, Lebensmittel und Autobahnen zu investieren. Das sind jene Sektoren, in denen die spanische Wirtschaft im vergangenen Jahr zweistellige Gewinnsteigerungen verzeichnete. Sollten Investitionen und lukrative Geschäfte im Irak, wie es die US-Administration versprochen hat, neue Jobs produzieren, wäre das mittelfristig eine nachhaltige Wählerwerbung zugunsten der PP.

Frankreich und Deutschland sind zudem an einer raschen östlichen Erweiterung der EU interessiert, da sie in Osteuropa viel investiert haben und sich große Absatzmärkte versprechen. Das wiederum wird Spanien einige Agrarsubventionen und Zuschüsse aus Brüssel kosten. Deshalb sucht das Land nach sicheren Zukunftsoptionen an der Seite der USA. Auch die Erwartung, in den Kreis der G 8-Staaten aufgenommen zu werden, sowie die Emanzipation in der EU, um aus dem deutsch-französischen Schatten herauszutreten, können Gründe dafür sein, dass sich Aznar von der pazifistischen Gesinnung im Land nicht beeindrucken lässt.