Subversiv geht anders

Zwei Ausstellungen im Schwulen Museum dokumentieren inszenierte Geschlechterverwirrungen in der Vergangenheit und der Gegenwart. von ines kappert

Über 100 Porträts von grell geschminkten Menschen füllen den kleinen Ausstellungsraum. Mehrheitlich in schwarz-weiß, von schlichten Holzrahmen umfasst und ordentlich in Reih und Glied gehängt, blickt Berlins queere Subkultur in die Kamera – oder auch knapp daneben. »Fuck Gender« will Leute dokumentieren, erklärt mir die Fotografin Annette Frick, die Freude am Anderssein haben, die jenseits des Mainstream in der Genderdebatte ihre Vorstellungen von Geschlechterinszenierungen verwirklichen. Leute, für die die Maskierung eine innere Notwendigkeit bedeutet und die ihr Spiel mit Identitäten professionalisiert haben.

Etwa 90 Prozent der Porträtierten sind Bekannte der Fotografin aus der Berliner Szene. Man kennt sich. In der Ausstellung hat Frick den Schwerpunkt auf Schnappschüsse gelegt, und so sieht man die Damen und Herren am Schminktisch, in der Kneipentoilette oder an der Bar. Zumeist werden nächtliche Augenblicke eingefangen zwischen privater und öffentlicher Sphäre, zwischen Auftritt und Rückzug. Allen Fotografierten scheint gemein zu sein, dass sie sich, das Anderssein und die Szene gerne und ausgiebig zelebrieren. Auch dass diese narzisstische Feier viel Anstrengung bedeuten kann, zeichnet sich in dem einen oder anderen Gesicht ab.

Der Titel der Ausstellung geht auf die Drag-Gruppe »The Coquettes« aus dem San Francisco der sechziger Jahre zurück, in der auch die transsexuelle Sängerin und Schauspielerin Divine auftrat. Eine echte Anarchotruppe, sagt Frick, die den Ausspruch »Fuck Gender« geprägt, spektakuläre Auftritte und im Gegensatz zur Clique um Andy Warhol kein Interesse am Smalltalk gehabt habe.

So viel zum Vorbild aus der Vergangenheit. Und wo positioniert die Fotografin ihre Ausstellung in der aktuellen Debatte um Drag-Kings und -Queens? Schließlich ist sie keineswegs die Erste, die Inszenierungen der Geschlechterverwirrung ablichtet. Dokumentarfilme wie »Paris is burning« von Jeannie Livingston (1991) oder »Venus Boyz« (2002) von Gabriel Baur haben die Auseinandersetzung mit greller Oberflächeninszenierung seit den neunziger Jahren wesentlich beeinflusst und für ein Publikum jenseits der Szene transparent gemacht.

Leider kennt Frick diese Filme nicht. Dessen ungeachtet stimmt sie Wilhelm Hein zu, der kritisiert, dass die derzeitige Genderdebatte zur Einebnung der Differenzen zwischen In- und Outsidern führe und dass das nicht gut sei. Schließlich hätten die Leute, die nur darüber redeten, »das miefige Bürgertum«, keine Ahnung, wie es in der Szene wirklich zugehe. Letzteres wolle sie, Frick, nun zeigen.

Aber von wem grenzt sie sich eigentlich ab? Von den SpießerInnen, die sich Travestie-Shows anschauen? Die führen in der Regel keine »Genderdebatte«. Oder etwa von TheoretikerInnen der Gender Studies, also von dem, was an den Universitäten passiert? Dort wird zwar auch viel Unsinn erzählt, aber Judith Butler zu lesen, kann kein Fehler sein. Immerhin ist sie eine der prominentesten Theoretikerinnen, die zudem Drag-Performances mit ihren Überlegungen zum Beispiel zu »Paris is Burning« ins Bewusstsein der Akademia geschrieben und die Auffassung von Geschlecht als kultureller Inszenierung entscheidend geprägt hat. Warum also Fricks Abgrenzung gegen ein Feld, das sie gar nicht kennt? Natürlich muss man es nicht kennen, um gute Porträts zu machen. Doch seine Kenntnis ist für die von Nutzen, die die akademischen Diskurse als Unfug brandmarken möchten.

Vermutlich geht es Frick aber weniger um eine Auseinandersetzung mit feministischen Theorien oder Diskussionen. Stattdessen steht mal wieder die lausige Debatte um Authentizität, die Guten und die Bösen, das Innen und das Außen im Vordergrund. Wer die Geschlechtergrenzen durch sein Outfit überschreitet und die Vorgaben für ein ordentliches Mann- beziehungsweise Frausein bewusst missachtet, ist »in«, weil echter und wichtiger als die SpießerInnen draußen.

Jenseits meiner Langeweile über diese sattsam bekannte Naivität, die sich stur darauf verlässt, dass radikale bis bunte Selbstinszenierungen per se subversiv sind und also nur abfotografiert werden müssten, frage ich mich, was mir die Bilder noch erzählen könnten. Mir, die ich nicht zur Gemeinde der Subversiven gehöre, also nicht sagen kann: »Ach guck mal an, so sah die vor zwei Jahren aus.« Ein wenig fühle ich mich beim Betrachten der Bilder in Situationen zurückversetzt, als irgendwelche Tanten mir ungefragt ihre Familienalben vorführten. Auch in solchen Momenten ging es nicht um eine Auseinandersetzung, sondern jemand forderte lediglich eine Bestätigung dafür ein, dass es sich bei dem Abgebildeten um etwas ganz Besonderes handelte.

Nun aber zurück ins Schwule Museum. Denn hier findet sich noch eine zweite neue Fotoausstellung, die sich thematisch an »Fuck Gender« anschließt. Unter dem Titel »Spurensuche – Hans Anton« werden Fotos von einem Berliner Tänzer aus den zwanziger Jahren gezeigt. Und die sind wirklich einem Familienalbum entnommen, das der Kulturhistoriker Lothar Fischer zufällig auf dem Trödel fand. Seine Nachforschungen ergaben, dass es sich bei dem jungen Mann in Frauenkleidern und anderen geschlechterübergreifenden Kostümierungen um einen gewissen Hans Anton handelte. Dessen spektakuläres Auftrittskleid im orientalischen Stil wurde zuletzt im Gropiusbau im Rahmen der Berliner 750-Jahrfeier ausgestellt. Ansonsten ist aus dem Leben des Tänzers an der Berliner Oper wenig bekannt, außer dass er mit seinem Tanz »Die Königin von Saba« angeblich bis nach Istanbul gekommen sein soll.

Die Fotos dokumentieren äußerst fantasievolle Drag-Performances, mal auf der Bühne, mal im privaten Rahmen. Dabei handelt es sich um kunstvolle Aufnahmen, die dem Auge einiges zum Anschauen bieten. Ein Teil ihrer Faszination speist sich natürlich aus dem Wissen, dass die Geschichte dieses Mannes weiterhin größtenteils unbekannt ist. Die BetrachterInnen können sich also selbst als SpurensucherInnen fühlen. Zudem dürfte die bräunliche Einfärbung der Fotografien nicht unerheblich dazu beitragen, dass man sich, mit der neuen Aufgabe betraut, umgehend in die goldenen Zwanziger versetzt fühlt.

Ihre räumliche Nähe zueinander ist gewinnbringend für beide Ausstellungen. Während die Selbstinszenierungen des Hans Anton durch die aktuelle Dokumentation der Berliner Queer-Szene eine Zukunft bekommen und nicht als Einzelphänomen abgetan werden können, verweisen die Fotos aus den Zwanzigern ihrerseits auf die Tradition, in der auch die Lust am Spiel mit dem Geschlecht und der Identität steht. Damit erhalten beide Ausstellungen eine Relevanz, die sich nicht gleich auf den ersten Blick erschließt.

Beide Ausstellungen werden bis zum 26. Mai gezeigt. Das Schwule Museum (Mehringdamm 61, 10961 Berlin) ist mittwochs bis montags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, samstags bis 19 Uhr. www.schwulesmuseum.de