Keine Nutten für die Macker

In Frankreich protestieren junge Frauen aus den Vorstädten gegen ihre Unterdrückung. Die Aktionen kommen manchen Politikern sehr gelegen.

Von weitem sah die Pariser Demonstration zum Internationalen Frauentag so aus, als hätte eine Mädchenzeitschrift das Sponsoring übernommen. T-Shirts, Luftballons, Aufkleber, Plakate, Anstecker, Schilder, alles war versehen mit der gleichen pinkfarbenen Aufschrift. Der Slogan klang allerdings ein bisschen aufmüpfiger. »Ni putes ni soumises« (Weder Nutten noch unterwürfig), war das Motto, unter dem am 8. März rund 20 000 Menschen durch die Pariser Straßen liefen: Mädchen – und ein paar Jungen – aus den Vorstädte, alte Feministinnen, Altachtundsechziger und ihre Kinder waren genauso gekommen wie Gewerkschaftsmitglieder und Politiker von links bis rechts.

Mit der Demo endete der »Marsch der Vorstadtfrauen für Gleichheit und gegen die Ghettos«, organsiert von einem Dachverband französischer Jugendzentren. Seit Anfang Februar hatte ein kleines Kollektiv, vier Frauen und zwei Männer, eine Tour de France gemacht, um auf die Unterdrückung von Frauen in den armen Vorstädten, euphemistisch einfach Quartiers genannt, aufmerksam zu machen. In über 20 Städten luden sie zu Diskussionen über Ghetto, Gewalt, Sexualität oder Religion ein, trafen verschiedene örtliche Vereine und wurden von der Stadtverwaltung empfangen. Fast überall mit offenen Armen, denn ein Foto an der Seite der Aktivisten in der Lokalzeitung konnte für sozialistische wie konservative Bürgermeister nur von Vorteil sein.

Der Marsch begann im nahe Paris gelegenen Vitry-sur Seine, wo im vergangenen Oktober die Jugendliche Sohane Benziane von einem Bandenchef mit Benzin übergossen und angezündet wurde. Sohane, so war immer wieder zu lesen und zu hören, habe sich dem Gesetz der Siedlung nicht beugen wollen, sich feminine Kleider angezogen und sei schließlich das Opfer eines Streits zwischen ihrem Freund und dem Bandenchef geworden. Ihr furchtbarer Tod ging ebenso durch die Medien wie die Horrorerlebnisse einer der Patinnen des Marsches, Samira Bellil, die als Mädchen dreimal Opfer von Gruppenvergewaltigungen wurde und über ihre Geschichte vor kurzem ein Buch veröffentlich hat.

Bei den Veranstaltungen, die das Kollektiv organisierte, kam vor allem der alltägliche Druck zur Sprache, dem nicht nur Mädchen und Frauen aus maghrebinischen Einwandererfamilien ausgesetzt sind. Jeder Spaziergang kann vom Bruder oder seinen Freunden als Gang zu einem Rendezvous oder zu einem ebenso verpönten Zigarettenkauf interpretiert werden. Sowohl einen Typen abzuweisen als auch mit ihm auszugehen, bedeutet oft genug, als »Nutte« beschimpft zu werden. Der Versuch einer Anzeige gegen einen gewalttätigen Ehemann kann auf dem Kommissariat mit der Bemerkung des Polizisten enden, das sei kulturell bedingt und man solle sich doch innerhalb der Community einigen.

»Sei unterwürfig oder werde Macker, mit deiner Gewalt, deinen Kleidern, deiner Sprache«, so resümiert Kahina, die Schwester der ermordeten Sohane die Alternative, vor der viele junge Frauen stehen. Es sei unerträglich, dass die Mädchen außer der sozialen und wirtschaftlichen Krise auch noch die Jungs aushalten müssten, so die Soziologiestudentin im Interview mit der Vorstadtzeitung Pote à Pote. Es handele sich um eine wachsende Minderheit, die das Leben vieler verderbe. Pauschal wollen sich die Aktivistinnen nicht über die Männer in den Vorstädten beschweren. Eine der Teilnehmerinnen an dem Marsch, Safia, berichtet in ihrem Reisetagebuch für die Tageszeitung Libération: »Eine Fernsehjournalistin wollte mich dazu bringen zu sagen, dass alle Typen in den Quartiers Schweine sind. Ich habe geantwortet: Du willst Blut sehen.«

Doch anscheinend haben nicht alle diese Position verstanden. In Asnières, einer Vorstadt im Norden von Paris, wurde vor der Veranstaltung des Marschkollektivs ein Flugblatt mit dem Titel »Weder Zuhälter noch Machos« verteilt. Darin wird dem Kollektiv vorgeworfen, sich gegen die Männer zu stellen und die Bewohner der Vorstädte noch mehr zu stigmatisieren. Der Autor, ein Sozialarbeiter, behauptet, dass es sich bei dem, was sie anprangern, um Einzelfälle handele. Sexismus gebe es außerdem nicht nur in den Vorstädten.

Dounia Bouzar, Autorin eines Buches über den Islam in den Vorstädten, hat am Frauentag in der Abendzeitung Le Monde den Marsch ebenfalls kritisiert. Nicht weil sie das Aufbegehren der jungen Frauen verurteilt, sondern weil sie findet, dass in den Diskussionen eine falsche Alternative aufgemacht wird: »unterwürfige arabisch-muslimische Frau oder so genannte verwestlichte Atheistin«. Das Problem so anzugehen, bedeute, die Jugendlichen auf ihr Ausländersein festzulegen, dabei seien sie doch gerade dabei, den Islam mit einer französischen Kultur zu verbinden. Besonders heftig wendet sich Bouzar gegen SOS Rassismus, einen Mitorganisator des Marsches, dem sie vorwirft, auf eine »neue Weise Religion zum Opium des Volkes« zu machen, indem der Islam angeprangert wird, anstatt die sozialen Umstände und die Diskriminierung in den Vorstädten zu untersuchen. Schon vor 20 Jahren, als es den Marsch der Beurs, der Jugendlichen nordafrikanischer Herkunft, vereinnahmt habe, habe SOS Rassismus diesen Fehler begangen, so Bouzar zur Jungle World. Mit ihrer Unterstützung der Vorstadtfrauen meldeten sich die Organisation und mit ihr die Sozialistische Partei zu einem Zeitpunkt zurück, da sich die regierenden Konservativen in Religionsfragen kooperativer zeigten.

Die Regierung hat pünktlich zum Frauentag nun auch die »Frauen von unten« entdeckt, analog zum »Frankreich von unten«, dem Lieblingsslogan von Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Er empfing das Marschkollektiv und beeilte sich, für ein geplantes Handbuch und Notaufnahmeplätze konkrete Finanzierungszusagen zu machen. Andere Forderungen, wie die Einrichtung von besonderen Anlaufstellen in den Polizeikommissariaten oder die Finanzierung einer Sommeruniversität der Vorstadtfrauen, sollen demnächst verhandelt werden. Aus den Worten der stellvertretenden Generalsekretärin seiner Partei UMP, Valérie Pécresse, wird allerdings auch deutlich, dass es nicht nur um die Frauen von unten gehen soll: »Es geht darum, die jungen Mädchen aus den Vorstädten zu schützen, aber auch die Banalisierung der Gewalt zu verhindern, die sich auf die besseren Viertel übertragen könnte. Die machistische Kultur der Vorstädte hat großen Einfluss in unserer Gesellschaft.«

Die Gewalt in den Vorstädten in den Vordergrund zu stellen und dabei nicht genug von der alltäglichen Gewalt gegen Frauen in allen Milieus zu sprechen, vereinnahmt und kommerzialisiert zu werden, vor diesen Gefahren sind die Aktivisten von »Weder Nutten noch gefügig« keinesfalls gefeit. Safia schreibt in ihrem Tagebuch zur Ankunft des Marsches in Paris, sie fürchte, das Gerede von Innnenminister Nicolas Sarkozy über die Unsicherheit zu bestärken. Aber dennoch: »Ist mir egal, ob wir von rechts oder links benutzt werden, auch wenn ich eine Linke bin. Was ich will, ist Geld und dass etwas passiert. Es kostet viel, das Zusammenleben von Männern und Frauen in den Ghettos zu sichern. Einen Monat lang waren die Scheinwerfer auf uns gerichtet. Und jetzt? Gehen alle nach Hause?«