Neu, groß, sozial

Seit dem vergangenen Freitag gibt es eine Initiativgruppe für die Bildung eines Berliner Sozialforums. Sie will den neoliberalen Zuständen und der Senatspolitik den Kampf ansagen. von martin kröger

Vielleicht springt der Funke ja aus dem Ausland hier herüber.« Uschi Volz-Walk vom Sozialen Ratschlag Berlin gibt sich optimistisch, dass die Energie und die Aufbruchstimmung vom Weltsozialforum in Porto Alegre und dem Europäischen Sozialforum in Florenz ohne weiteres auch auf Berlin übertragbar sind. Und wenn der Funke nicht von selbst überspringt, dann muss eben ein wenig nachgeholfen werden.

Über 80 Menschen aus Berliner Initiativen und Gruppen sowie Einzelpersonen fanden sich am vergangenen Freitag in Kreuzberg zusammen, um eine offene Initiativgruppe für die Bildung eines Berliner Sozialforums ins Leben zu rufen. Die neue Gruppe sei zwar »kein neues Zentralkomitee«, wie der Moderator, Michel Prütz, betonte, soll aber einen Prozess inhaltlich und strukturell ausgestalten, an dessen Ende zunächst ein dreitägiger »Sozialforumskongress« im Oktober stehen könnte.

Die Idee stammt aus dem brasilianischen Porto Alegre, wo 2001 das erste Weltsozialforum als Gegengipfel der globalisierungskritischen Bewegung zum alljährlichen Weltwirtschaftsforum in Davos stattfand. Parallel zu internationalen Vernetzungsprozessen sollen lokale und regionale Foren gebildet werden. Für Europa wurde ein solches Forum im November des vergangenen Jahres in Florenz abgehalten; zur Abschlussdemonstration kam immerhin eine Million DemonstrantInnen. Auch in Deutschland ist eine Vernetzung geplant. Warum nicht auch auf lokaler Ebene? Angesichts der dramatischen finanziellen und ökonomischen Situation in der Bundeshauptstadt bietet sich Berlin nach Ansicht der InitiatorInnen geradezu an. So soll während des dreitägigen Kongresses auf einem der zentralen Plätze Berlins eine Zeltstadt entstehen, in der von Freitag bis Sonntag diskutiert wird, um »ein unüberhörbares Signal politischen Widerstands gegen die Berliner Politik« zu setzen.

Dezentrale Aktionen sollen den Kongress flankieren. »Als Auftakt für den Beginn dieser ›Konferenz‹ rufen alle Berliner Initiativen und globalisierungskritischen Vereinigungen zu einem Tag des Streiks und des zivilen Ungehorsams auf«, heißt es im Einladungsschreiben zur Gründung der neuen Plattform. »Dieser Streiktag beginnt Freitag mit Blockadeaktionen auf verschiedenen zentralen Kreuzungen und geht über Versammlungen in den Stadtteilen über in eine Demonstration, die am Rande der Zeltstadt endet.« Auf politischer Ebene soll für das nächste Europäische Sozialforum im November in Paris mobilisiert werden, eventuell auch für den G 8-Gipfel im Juni im französischen Evian. Daneben will man auch politische Themen und Probleme angehen, die speziell mit Berlin zu tun haben. Ziel ist es, »die global diskutierten Probleme auf eine Ebene runterzubrechen, die sie für die Mehrheit der Menschen sichtbar und erfahrbar macht«.

Neben der Kritik an der »neoliberalen Kahlschlagpolitik« des rot-roten Senats und der Beschäftigung mit gesundheits- und bildungspolitischen Themen reicht das Spektrum der Ideen bis hin zu Skurrilitäten wie einem an Fassbinder angelehnten Aufruf: »Der Müll – die Stadt – und das Brot – Wie die BSR mit öffentlichen Geldern umgeht.« Ein politischer Raum soll geschaffen werden, denn »das Sozialforum ist kein politisches Subjekt«, wie Dieter Hartmann von der Vorbereitungsgruppe betont. Bestenfalls könnte ein Netzwerk entstehen, über das in Zukunft all die isoliert Kämpfenden dieser Stadt ihre Aktionen und Aktivitäten bündeln werden. Letztendlich geht es um nicht weniger als die Formierung einer »Gegenmacht«, die zeigt, dass »es Alternativen und Leute gibt, die gegen die herrschende neoliberale Politik sind«, wie es einer der Teilnehmer der Gründungsveranstaltung formuliert. »Die Teilnahme wichtiger Persönlichkeiten aus anderen Ländern« soll dem »Event« mediale Aufmerksamkeit garantieren.

Damit das Bündnis nicht wie so viele Versuche zuvor in der Bedeutungslosigkeit versinkt, wurden auf dem Gründungstreffen viele Vorstellungen mit den Attributen »neu« und »groß« belegt. Neu muss zum Beispiel die Vielzahl der Teilnehmenden sein. 80 Gruppen will die Initiative in den nächsten Wochen kontaktieren, um sie für das Projekt »Sozialforum« zu gewinnen. Das angepeilte Spektrum reicht von Organisationen wie dem Anti-Hartz-Bündnis, der Initiative Berliner Bankenskandal, Attac Berlin, von Menschen aus der Erwerbslosen- und der Obdachlosenbewegung bis zu antirassistischen, antifaschistischen und feministischen Initiativen sowie MigrantInnenorganisationen.

Und um die linke Zersplitterung zu überwinden und das »Sozialforum« wirklich »groß« zu machen, sollen auch neue politische Bündnissphären erschlossen werden. So will man auch Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen zum Mitmachen bewegen. Ausgenommen sind lediglich VertreterInnen aller Parteien, wobei Einzelmitglieder als Privatpersonen aber durchaus willkommen sind.

Damit ein derart heterogenes Spektrum agieren kann und nicht gleich im Sumpf der Berliner Szenestreitereien versinkt, fordern die InitiatorInnen eine neue Form der Toleranz und den Willen, »in nicht bornierter und nicht sektiererhafter Weise über ihren Tellerrand hinauszugucken«. Damit hierbei nicht auf der falschen Seite Hoffnungen geweckt werden, beeilen sich die SchreiberInnen des Gründungsaufrufes, »ausländerfeindliche, antisemitische und wohlstandschauvinistische Positionen« abzulehnen und mit dem Konzept des Berliner Sozialforums als unvereinbar zu erklären.

So weit die Theorie. Kritik wurde auf dem Gründungstreffen nur spärlich artikuliert. Ein Anwesender merkte an, dass, bevor man sich in neue Abenteuer stürzte, doch erst mal die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigt werden sollten. Seiner Meinung nach sei der Soziale Aktionstag in Berlin am 19. Oktober des vorigen Jahres ein Flop gewesen, da er in der Öffentlichkeit nicht viel Aufmerksamkeit bekam. Andere bezeichneten die Gründung des »Sozialforums« deshalb auch als »Kopfgeburt«, die dem Wunschdenken der TeilnehmerInnen des Gründungstreffens entspringe und keine Konsequenz aus einer sozialen Bewegung sei, die ein derartiges Forum brauche. Die meisten der GründungsteilnehmerInnen sind in politischen Gruppen aktiv; jüngere AktivistInnen und MigrantInnen waren kaum erschienen.

Das konnte die Euphorie am Schluss des Treffens nicht dämpfen. Ohne Gegenstimme wurde dem Antrag des Politikprofessors Peter Grottian, aktiver Aufklärer des Berliner Bankenskandals, stattgegeben, eine »Initiativgruppe für die Bildung eines Berliner Sozialforums« zu gründen. Ob damit nun italienische Verhältnisse nach Berlin importiert werden, hängt ganz davon ab, ob sich tatsächlich in dieser Stadt tausende isolierte politische Subjekte befinden, die sich bis jetzt nicht aus ihren Verstecken getraut haben.

Die Initiativgruppe für die Bildung eines Berliner Sozialforums trifft sich das nächste Mal am 24. März um 19 Uhr im »Familiengarten«, Oranienstraße 34