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Rekordverlust bei der Telekom von jörg sundermeier

Über die Wirtschaft wird noch immer geredet wie an konservativen Gymnasien über Geschichte: Es geht stets um starke Männer. So wie dort Napoleon alle Schlachten im Alleingang schlug, war hier, in der Wirtschaftspresse, Ron Sommer für eine Zeit lang der Sonnenkönig. Der Wirtschaftspopstar, der dem Telekom-Konzern von 1995 bis 2002 vorstand, galt als Wundermensch, der allenfalls mit der Unterstützung von Manfred Krug die »Volksaktie« geschaffen hatte. Das änderte sich irgendwann, und Sommer wurde zum Schreckgespenst der Kleinaktionäre. Die Aktie, deren dritte Tranche zu einem Kurs von etwa 60 Euro herausgegeben wurde und die zu ihren besten Zeiten mit mehr als 100 Euro bewertet wurde, fiel unter die 10-Euro-Grenze.

Deshalb sind nun andere Leute und andere Strategien gefragt. »Ich bin ich«, verkündete bescheiden Kai-Uwe Ricke, der als Kompromisskandidat im Oktober des vergangenen Jahres zum Nachfolger Sommers ernannt wurde. Ricke gilt als ruhiger Mann, der sich deshalb nicht zum Popstar mausern kann, weil er das Elend verwalten muss. Und vermelden. So kam er am 10. März nicht umhin zu verkünden, dass die Telekom mit knapp 24,6 Milliarden Euro den bislang größten Jahresverlust erzielt hat, den je ein deutsches Unternehmen vorweisen konnte. Zudem ist die Telekom mit 61 Milliarden Euro verschuldet, sie wird für 2002 keine Dividende zahlen und zudem weltweit rund 43 000 Arbeitsplätze streichen. Dennoch werde man sich nicht »gesundschrumpfen«, sondern im Gegenteil noch wachsen, sagte Ricke. Er kündigte zugleich an, die Verschuldung in diesem Jahr um zehn Milliarden zu senken. Die Telekom also spart und wächst. Also könnte die Aktie sogar wieder attraktiv für Anleger werden.

Der Rekordverlust jedenfalls ist für das Unternehmen gar nicht so schrecklich – weder der Bund noch die Banken haben dem Unternehmen ihr Geld entzogen, die Telekom und die Arbeit an ihrem Erfolg bleiben ein nationales Projekt. Daher wird auch die Beschwerde, die der US-Konkurrent WorldCom bei der EU-Kommision in Brüssel erhob – WorldCom behauptet, die Telekom nutze in Deutschland ihre Marktposition, um Konkurrenten zu diskriminieren –, in Deutschland nicht weiter kommentiert. Ein Unternehmen dieser Größe muss gehalten werden, komme was wolle, da sind Schulden und Beschwerden nicht so wichtig. Der Bundeskanzler selbst sprach Ron Sommer und seiner Unternehmensstrategie noch zu einer Zeit das Vertrauen aus, als sich der Aufsichtsrat bereits von Sommer trennen wollte.

Ähnlich wie beim einstigen Staatsunternehmen Deutsche Bahn sind bei der Telekom längst die Kabel durchgebrannt. Es geht nicht mehr darum, Kundenwünsche zu befriedigen. Vielmehr kann, mit dem Bund im Rücken, der starke Mann machen, was er will, die Verluste bleiben gedeckt, und sei es aus Steuermitteln.

Die Verluste jedenfalls, die das Unternehmen bislang seinen Anlegern bescherte, sind dem Chef wie dem Kanzler wurscht. Man müsse »den Ärger der Kleinaktionäre« aushalten, empfahl Gerhard Schröder noch im Mai des vergangenen Jahres. Auch den Ärger der Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze das in vielerlei Hinsicht dumm vor sich hin wachsende Unternehmen mal eben vernichtet, muss man wohl einfach aushalten. Hauptsache, man kann weiter Weltwirtschaft spielen.