Sprengen statt melken

Ein Großaufgebot der Sicherheitskräfte konnte die Anschläge auf Gaspipelines nicht stoppen. Die pakistanische Regierung macht Stammeskrieger verantwortlich. von christoph sprung

Die Explosion in der Nacht zum 1. März nahe dem Dorf Dildar Shah im Ghotki-Distrikt im äußersten Norden der Provinz Sindh war meilenweit zu hören. Nach der nächtlichen Attacke auf eine Leitung der Sui Northern Gas Pipelines Limited (SNGPL) vom Qadirpur-Gasfeld in den Punjab waren Teile der Nachbarprovinz vorübergehend von der Energieversorgung abgeschnitten. Etwa zur selben Zeit gerieten sechs paramilitärische Ranger, die die Pipeline bewachen sollten, in einen Hinterhalt und fuhren auf eine Mine. Einer starb, die anderen wurden schwer verletzt.

Der zuständige Staatsminister Chaudhry Naurez Shakoor Khan bezeichnete die Sabotageakte als »Anschlag auf die Lebenslinie der nationalen Wirtschaft«. Dahinter vermutet die Regierung Stammesmitglieder der Bugti und Mazari, die in einem Gebiet leben, das sich über die Provinzgrenzen von Baluchistan, Sindh und Punjab erstreckt, und die untereinander seit langem bittere Fehden austrügen.

Bereits Ende Januar hatte die Zerstörung zweier Gasversorgungsröhren der SNGPL nahe der Stadt Sui dazu geführt, dass außer Gebieten in der Nachbarprovinz Punjab auch Teile der Nordwestlichen Grenzprovinz (NWFP) zeitweise ohne Gasversorgung waren. Das Gasfeld von Sui, gelegen inmitten der Stammesgebiete von Bugti und Mazari, ist das größte in Pakistan und gewährleistet fast die Hälfte der gesamten Gasversorgung des Landes. Obwohl nach zwei Sabotageakten die Kontrollen der Ranger und der Polizei verstärkt worden waren, gelang es den Sicherheitskräften nicht, weitere Attacken abzuwenden. Berichten zufolge sind die Anschläge mit Sprengstoff und sogar mit Raketenwerfern verübt worden.

Anfang Februar fand in Islamabad unter der Führung des Premierministers Zafrullah Khan Jamali ein Treffen von Vertretern der beteiligten Provinzregierungen statt. Bei diesen Beratungen über die Sicherheit und reibungslose Gewährleistung von Gaslieferungen vor allem aus dem Sui-Gasfeld in Baluchistan wurden harte Maßnahmen gegen die beiden Stämme beschlossen.

Die greisen Stammeschefs leugnen die Beteiligung ihrer Sippen an den Pipeline-Attacken, beklagen sich allerdings über die Bedingungen der Rohstoffförderung. Nawab Akbar Khan, Stammesoberhaupt der Bugti, erklärte dem Nachrichtenmagazin Newsline aus Karachi in Feudalherrenmanier, dass er es ablehne, wenn »regionale Besitztümer von Punjabi und der Armee ausgeplündert werden«. Allerdings deutete er in Anspielung auf Zahlungen der SNGPL und der Zentralregierung an seinen Stamm an, dass es nicht ratsam sei, die »Kuh zu schlachten, wenn ihre Milch lebenswichtig ist«.

Weite Teile der Bevölkerung um Sui betrachten die Gasförderung als Ausplünderung durch die Zentralmacht. Khan beanstandet, dass die Bevölkerung in direkter Nähe der Gasfelder lebt, aber »getrockneten Dung zum Kochen benutzen muss«. Abdul Rahim Ziaratwal, Abgeordneter im Provinzparlament Baluchistans, bezeichnete die Förderung von Gas in den Gebieten von Sui und Dera Bugti ebenfalls als Raub, zumal die dafür gezahlten Abgaben niedriger sind als in den anderen Provinzen. Jam Muhammad Yousuf, Chief Minister Baluchistans, versprach Anfang März immerhin kostenlose Gaslieferungen für die Anwohner der Fördergebiete.

Nach Angaben von Mir Jan Muhammad Buledi, dem Vorsitzenden des Balochistan National Movement, erhält die Provinz, obwohl der ökonomisch rückständigste Teil des Landes, nur fünf Prozent der Zahlungen der nationalen Finanzkommission, fraglich sei auch, wofür das Geld verwendet werde. Wie auch andere politische Vertreter der Provinz wies Buledi auf die mangelhafte Infrastruktur des Wüstenstaates hin, der über 43 Prozent der Staatsfläche ausmacht. Es fehlt an medizinischen Einrichtungen, Schulen, Straßen, Arbeitsplätzen und anderen entwicklungsfördernden Projekten. Die Mehrheit der Bevölkerung hat kein sauberes Trinkwasser.

Mit Jamali hat Pakistan nun erstmals einen Premierminister aus Baluchistan, doch Verbesserungen für die Provinz blieben bislang aus. Der Stammeschef der Mazari, Sardar Sherbaz Khan, bezweifelt, dass Jamali tatsächlich politische Autorität hat und spricht von einer »One Man Show« des Staatspräsidenten, General Pervez Musharraf. Tatsächlich steht Jamalis Partei PML-Q dem weiterhin die Politik dominierenden Militär nahe, und Musharraf hat sich und der Armee weit reichende Kompetenzen vorbehalten.

Nach Informationen der pakistanischen Tageszeitung The News verständigten sich Musharraf und Premierminister Jamali in einem vertraulichen Gespräch darauf, mit harter Hand für die Befolgung der Gesetze sorgen zu wollen. Es wurde angeblich sogar ein Einsatz des militärischen Geheimdienstes ISI in Erwägung gezogen. Ein Ergebnis der Konferenz in Islamabad war der Beginn einer »Jagd« auf die Urheber der Anschläge durch Polizei und andere Sicherheitsdienste. Die Provinzregierung in Quetta, der Hauptstadt Baluchistans, erklärte jedoch, sie wolle die Operation der Zentralregierung in den »Unruhegebieten« erst unterstützen, wenn Islamabad klare Vorstellungen über die Strategie unterbreitet.

Die Anschläge werden in Islamabad anscheinend als Erpressung gewertet, verübt und unterstützt von den Bewohnern jener Gegend, die für viele pakistanische Großstädter rückständige Hinterwäldler sind. Dies ist umso ärgerlicher, als die Zentralregierung weiterhin darauf hofft, vom Bau weiterer Pipelines nach Zentralasien und einer neuen Gasröhre vom Iran durch Baluchistan nach Indien profitieren zu können. Grund genug, die Autorität des Staates und das Gewaltmonopol eisern durchzusetzen. Die zu erwartenden Devisen aus diesen Projekten sind sicherlich wichtiger als die Interessen der knapp sechseinhalb Millionen Einwohner der Wüstenprovinz Baluchistan.

Allerdings ist in der Oligarchie der Streit über die Verteilung des erhofften Geldsegens bereits vor dem Baubeginn ausgebrochen. Eine starke Lobby, so der Journalist Siddiq Baloch, will zumindest die Gaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Indien aus finanziellen Gründen lieber durch Multan im Punjab bauen. Deshalb weist sie auf die unsichere Lage in der Region bei Sui hin.

Das Gerücht geht um, das eben jene Leute den Stammesmitgliedern großzügige Beträge zahlen, um die Unruhe zu schüren.