Test the Ernstfall

Die Soldaten der ersten EU-Militärmission könnten in Mazedonien schneller zwischen die Fronten geraten, als es manchen Diplomaten in Brüssel lieb ist.

Das Testgebiet könnte nicht besser gewählt sein. Ausgerechnet in Mazedonien, wo im Frühjahr vor zwei Jahren ein Krieg zwischen staatlichen Streitkräften und albanischen Separatisten nur knapp verhindert werden konnte, will die EU Ende des Monats mit der Durchführung ihrer ersten eigenständigen Militäroperation beginnen.

Die Premiere beim internationalen Peacekeeping ist nicht ungefährlich. Während die auf dem Gründungsgipfel in Maastricht 1991 vereinbarte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (Gasp) bereits seit Anfang des Jahres in Bosnien-Herzegowina in einer Light-Version Anwendung findet, könnte es in Mazedonien für die europäischen Soldaten schneller ernst werden, als den Politikern in Brüssel recht ist.

Immer wieder in den vergangenen Wochen kam es im albanisch dominierten Nordwesten des Landes zu Straßenblockaden und Bombenanschlägen. Die Bekennerschreiben tragen stets denselben Absender. Albanische Nationalarmee (ANA) nennt sich der versprengte Haufen von Gegnern des im August 2001 von der EU vermittelten Abkommens von Ohrid.

Die früheren Kämpfer der wie ihre Schwesterorganisation im Kosovo UCK titulierten Nationalen Befreiungsarmee weigern sich, die von der mazedonischen UCK-Führung damals fallen gelassene Forderung nach einem Zusammenschluss aller albanischen Siedlungsgebiete aufzugeben.

UCK-Chef Ali Ahmeti hat nach der Unterzeichnung des Vertrags vor anderthalb Jahren der Selbstauflösung seiner Truppe nur zähneknirschend zugestimmt. Seitdem konkurriert er als Vorsitzender der neu gegründeten Demokratischen Union für Integration (DUI) um jenes Fünftel der mazedonischen Wähler, die Albanisch sprechen und bislang vornehmlich für eine der beiden etablierten panalbanischen Parteien – PDP (Partei der Demokratischen Prosperität) und DPA (Demokratische Partei der Albaner) – stimmten.

Allerdings befinden sich wohl immer noch Zehntausende von Gewehren und Granaten in den Händen der zur Albanischen Nationalarmee übergelaufenen ehemaligen UCKler. Denn während der Nato-Operation »Essential Harvest« wurden im September 2001 nicht einmal 4 000 Waffen der separatistischen Rebellen eingesammelt.

Schlechte Bedingungen also für das ambitionierte, seit Jahren kaum realisierte Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, denn eigentlich sollte der erste Militäreinsatz ohne Beteiligung der Nato ein harmloses Unterfangen für die Soldaten werden. So sieht der Friedensvertrag von Ohrid die verfassungsrechtliche Gleichstellung der albanischen Minderheit vor und räumt der albanischsprachigen Bevölkerung in den Gegenden, wo sie die Mehrheit stellt, weitgehende Autonomierechte ein.

Seit dem Regierungswechsel in Skopje im September des vergangenen Jahres aber ist unklar, inwieweit diese Bestimmungen auch umgesetzt werden. Mazedoniens Präsident Boris Trajkovski versicherte Mitte Februar zwar, die Übertragung von Machtbefugnissen an albanisch dominierte Verwaltungsbezirke voranzutreiben, mit wenig Erfolg jedoch, wenn man die Zahl der Anschläge der Separatisten als Gradmesser nimmt.

Nach umfangreichen finanziellen Hilfen hat man in Brüssel lange gehofft, in Mazedonien endlich ein erfolgreiches Modell europäischer Konfliktschlichtung präsentieren zu können. Doch die politischen Entwicklungen in den mehrheitlich albanisch besiedelten Gegenden des Landes, im südserbischen Presevo-Tal, wo Angehörige der ANA seit Anfang Februar auf den Anschluss ans Kosovo drängen, und nicht zuletzt im internationalen Protektorat selbst, bereiten den Diplomaten in Brüssel Sorgen. Dass der Testfall einer gemeinsamen Militärmission nun möglicherweise zum Ernstfall wird, ließ sich der Stab des Außenpolitischen Koordinators der Union, Javier Solana, bei der Vorbereitung der Operation nicht träumen.

Zum ersten Mal gelang es der EU im August 2001 in Ohrid unter Solanas Führung, unabhängig von der Uno eine Verhandlungslösung für eine der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken zu finden. Die Desaster bei den ersten Versuchen, eine eigenständige zivile Präventionspolitik zu entwickeln, die die EU während der Balkankriege in der ersten Hälfte der neunziger Jahre erlebte, schienen überwunden.

Bereits »Amber Fox«, die Nachfolgemission von »Essential Harvest«, wurde bis Juni 2002 von einem deutschen Kommandeur geführt, seitdem unterstehen die rund 1 000 Soldaten niederländischem Befehl. Mit der Übergabe des kompletten Kommandos an die EU am Wochenende reduziert sich diese Zahl auf 350.

Wenig schmeichelhaft für die Europäer spricht man daher in Nato-Kreisen in Sarajevo hinter vorgehaltener Hand von einer »Micky-Maus-Mission«, auf die die EU sich im Süden des Balkan eingelassen habe. Zwar kann die Militärzentrale in Mazedonien auf die Beratung und die Logistik der Nato zurückgreifen, die Führungsmacht des westlichen Bündnisses in Washington aber beäugt die Emanzipationsversuche auf militärischem Gebiet mit Misstrauen. Die Sorge, ohne eine geeignete Exit-Strategie auf unbestimmte Zeit in der einst stabilsten der früheren jugoslawischen Teilrepubliken festzusitzen, bewog die US-Regierung zeitweise sogar dazu, die Operation ganz abzublasen.

Erleichtert hingegen reagierte man in Washington auf ein Strategiepapier, das der französische Außenminister Dominique de Villepin und sein britischer Kollege Jack Straw Ende Februar in Brüssel präsentierten. Anfang 2004, so der auch von den 13 anderen EU-Außenministern akzeptierte Plan, soll die Union die von der Nato geführte Schutztruppe in Bosnien (Sfor) übernehmen.

Anders als beim Minieinsatz in Mazedonien will sich die EU beim Kommando über die ungleich größere Operation in dem inzwischen befriedeten Nachkriegsland – bis Dezember soll das heute 12 000 Mann starke Kontingent auf 7 000 Kräfte reduziert werden – allerdings nicht allein auf die eigenen militärischen Fähigkeiten verlassen.

Offenbar ist sich der Führungsstab der eigenen Kompetenzen auf sicherheitspolitischem Gebiet doch nicht so sicher, wie es offiziell behauptet wird. »Die EU-Truppe sollte nicht schwächer sein als die Nato-Einheiten«, heißt es vorsichtig in dem von französischen und britischen Diplomaten erstellten Konzept. »Die Übergabe sollte reibungslos und auf der Basis einer von den beiden Organisationen gemeinsam erarbeiten militärstrategischen Analyse erfolgen«, schreiben die Autoren weiter. Das spricht nicht gerade für ein übersteigertes Selbstbewusstsein.

So kommt die in enger Zusammenarbeit mit der Nato geplante Übergabe des Sfor-Kommandos den Interessen George Bushs entgegen. Angesichts wichtigerer Schauplätze im »Krieg gegen den Terror« will seine Regierung ihr Personal auf dem Balkan reduzieren. Bereits heute ist nur noch jeder siebte Sfor-Soldat US-Amerikaner, unter den im Januar 1996 ins Nachkriegsland eingerückten 60 000 Ifor-Soldaten (Implementation Force) war noch jeder Dritte ein GI.