Zensierte Zivilcourage

Wer Projekte gegen rechts organisiert und von der Bundesregierung gefördert wird, hat sich mit harten Auflagen herumzuschlagen. von jan süselbeck

Seit dem Sommer der Antifa im Jahr 2000 versucht die Bundesregierung mit Programmen gegen rechtsextreme Gewalt den Ruf des Landes zu retten. Doch kürzlich hat der Bundesrechnungshof die Effizienz dieser Programme angezweifelt und sie im Hinblick auf die leere Staatskasse in Frage gestellt. Bereits Mitte Februar empörte sich in einer Bundestagsdebatte über die Finanzierung antirassistischer Projekte der Abgeordnete Martin Hohmann (CDU) darüber, »dass die Programme dieser Regierung unter einem ganz bestimmten Blickwinkel durchgeführt werden: Der Kampf gegen rechts ist angesagt. Wir hätten uns gewünscht, dass man dies in gleicher Weise gegen links macht.« Was »auf der linksextremen Seite« geschehe, so Hohmann, sei auch nicht alles »Pippi Langstrumpf«.

Des CDU-Manns Szenario einer linken Bedrohung verkennt freilich eine Tatsache: Rechte Gewalt und rechte Straftaten nehmen in Deutschland weiter zu. Nach vorläufigen Zahlen, die das Bundesinnenministerium vorlegte, wurden im Jahr 2002 bundesweit 10 579 rechte Straftaten erfasst, etwa 500 mehr als im Vorjahr.

Seit 2001 wurden in den neuen Bundesländern und Berlin unter der Dachorganisation Civitas mehrere hundert Projekte gefördert, mit denen eine Zivilgesellschaft in Ostdeutschland entwickelt, die Zivilcourage der Menschen gestärkt und der Rechtsextremismus bekämpft werden soll. Daneben existieren etwa ein Dutzend Beratungsstellen für die Opfer von rechtsextremistischen Gewalttaten und ebenso viele mobile Beratungsteams. Civitas wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Rahel Krückels von der Erfurter Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen (Abad) betont, die Bundesregierung habe hier schnell und unkompliziert ein Programm auf den Weg gebracht, »das jetzt von konservativer Seite unter starkem Beschuss steht«. Das Dilemma der Projekte sei es, »eine Bundesförderung zu erhalten, aber Landes- und Kommunalpolitik entsprechend der Zielsetzung des Programms kritisieren zu müssen«. Ihr sei es »wichtig, dass die Zielrichtung des Civitas-Programms, wie etwa die Stärkung von Opfern und potenziellen Betroffenengruppen oder die Vernetzung von Initiativen, bestehen bleibt«. Angesichts der jüngsten Kritik bestehe aber die Gefahr, »dass ein gutes und alternativloses Programm zu wenig selbstbewusst verteidigt wird«.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Die Projektträger sehen mittlerweile ihre Meinungsfreiheit bedroht. Nach einem Erlass des Familienministeriums müssen die geförderten Organisationen seit diesem Jahr jede Erklärung, die sie abgeben wollen, vorher dem Ministerium vorlegen. Unbequeme Projekte, die sich solchen Anweisungen widersetzen, müssen mit Kürzungen oder sogar mit dem Ende der Förderung rechnen. Sabine Seyb von der Berliner Beratungsstelle Reach out sprach gegenüber der Berliner Zeitung von einem »Maulkorb«.

Im Bescheid der Civitas-Servicestelle heißt es: »Im Rahmen der Zuwendung gewonnene Erkenntnisse bedürfen zu ihrer Veröffentlichung der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums.« Mitteilungen an die Presse oder die Öffentlichkeit »über Thema, Inhalt und Ergebnisse oder sonstige Einzelheiten zum Programm Civitas sowie jegliche sonstige Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit Civitas« seien »allein dem Ministerium vorbehalten«.

Auch der Vorsitzende des Vereins »Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen«, Frank Spieth, spricht von einem »Akt der Zensur«. Er sieht demokratische Grundregeln verletzt. »Es gehört zu unserer Aufgabe, über rechtsextreme Vorfälle oder ausländerfeindliche Übergriffe zu informieren, und es gehört zur demokratischen Kultur, dass die Erkenntnisse veröffentlicht werden«, sagte Spieth der Berliner Zeitung.

Die Leiterin der Civitas-Servicestelle, Ute Seckendorf, sprach jedoch von »Missverständnissen«. Niemand wolle die Arbeit der Projekte behindern. Es gehe nur darum, die Ergebnisse des Projekts richtig zu transportieren. Die Initiativen vor Ort hätten »nicht immer den Überblick«. Auch die Pressesprecherin des Familienministeriums, Beate Moser, erklärte der Jungle World, es handele sich hier »weder um Zensur noch um einen Maulkorb«. Man habe Bescheide zugestellt, »wie es sie eins zu eins schon immer gab«. Aufgrund von »Unsicherheiten« in den Beratungsstellen habe man lediglich in einer Formulierung eine »Verdeutlichung bereits bestehender Auflagen« vorgenommen und diese »um einen Satz ergänzt«.

Der Mecklenburg-Vorpommerschen Beratungsstelle Lobbi e.V. mit Büros in Rostock, Neubrandenburg und Schwerin ging der »Maulkorberlass« des Ministeriums jedoch zu weit. Der Verein legte am 6. Februar Teilwiderspruch gegen die problematischen Passagen ein. »Für uns ist das Zensur«, begründete der Vorstandsvorsitzende, Mike Hartwig, die Entscheidung. »Selbstverständlich nehmen wir einen solchen Angriff auf die bürgerlichen Grundrechte nicht so ohne weiteres hin. Unsere Öffentlichkeitsarbeit im Dienste der Aufklärung über rechtsextreme Gewaltdelikte muss weiter möglich sein wie bisher.« Die Civitas-Servicestelle teilte Lobbi daraufhin mit, solange die Organisation ihre Kritik nicht zurückziehe, könne auch kein Geld mehr bewilligt werden.

Durch die aktuellen Vorwürfe der Ineffizienz geraten die Projekte in die absurde Situation, vorab messbare Erfolge vorweisen zu müssen, um Fördergelder zu bekommen. Frank Spieth betont aber, dass die Opferberatungen als »Modellprojekte« gelten. Ihnen sei ursprünglich eine Bundesförderung über drei Jahre zugesichert worden. »Erst dann lässt sich die Nachhaltigkeit der Arbeit überhaupt feststellen«, erklärte Spieth der taz.

Damit noch nicht genug: Civitas-Projekte für das kommende Jahr müssen eine Co-Finanzierung durch die jeweilige Landesregierung in Höhe von mindestens 20 Prozent beantragen. Organisationen, die entsprechende positive Bescheide nicht bis April 2003 vorweisen können, droht der sofortige Förderungsstopp.

Vor allem im Herzen Deutschlands wird Zivilcourage nicht gerade großzügig unterstützt. Die Thüringer Landesregierung hat sich zur finanziellen Beteiligung am Kampf gegen Rassismus bisher ablehnend geäußert, wie Rahel Krückels berichtet. Man verweise achselzuckend auf die Schirmherrschaft des Bundes und sehe offenbar nicht einmal mehr Diskussionsbedarf zum Thema Rassismusbekämpfung. Wie und ob es überhaupt ab Januar 2004 mit der Arbeit von Abad weitergehen wird, ist offen.

In dieser Woche haben die Mitglieder des Civitas-Beirats ihre Empfehlungen an das Ministerium abzugeben, welche Projekte weiterhin zu fördern seien. Bis zur endgültigen Entscheidung kann es noch dauern.

Die Wirkungen des Sommers der Antifa lassen nach.