Die Frau im Mond

Thea von Harbou schrieb das Drehbuch zu dem Film »Metropolis«. Ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus wird als politische Naivität abgetan. Führers Bettlektüre, Teil III. von joachim körber

Die Geschichte der Schriftstellerin Thea von Harbou ist eine Erfolgsgeschichte. Im Jahr 1888 als Tochter eines Offiziers aus verarmtem Adelsgeschlecht geboren, verfasste sie mit neun Jahren ihre erste Kurzgeschichte, die von einer Dresdner Tageszeitung abgedruckt wurde. Als sie 13 Jahre alt war, wurde ihr erster Gedichtband veröffentlicht, mit 16 schrieb sie ihren ersten Roman, der 1905 in Fortsetzungen in der Deutschen Roman-Zeitung erschien. Nach einer Schauspielausbildung und einem kurzen Abstecher in die Schauspielerei veröffentlichte sie zwischen 1905 und 1952 in unterschiedlichen Genres 35 Bücher.

Als Autorin teilte sie das Schicksal vieler als »Unterhaltungsschriftsteller« eingestufter Literaten. Von der Kritik wurden ihre sentimentalen, kitschigen Liebesgeschichten stets mit Häme bedacht, doch ihr Erfolg beim Publikum war überwältigend. Im Jahr 1919 wandte sie sich verstärkt dem Film zu und wurde zur höchstbezahlten Drehbuchautorin der Weimarer Republik. Bis 25 000 Reichsmark Honorar erhielt Harbou pro Filmskript, was damals eine ungeheure Summe war.

Der Regisseur Fritz Lang, mit dem sie nach einer gescheiterten Ehe mit dem Schauspieler Rudolf Klein-Rogge bis 1933 verheiratet war, verfilmte einige ihrer Drehbücher, darunter »Dr. Mabuse, der Spieler« (1922), »Die Nibelungen« (1924) sowie die auf ihren eigenen Romanen basierenden Skripte »Frau im Mond« (1928) und »Metropolis« (1926). Joseph Goebbels sollte »Metropolis« später als den »grandiosesten Film aller Zeiten« bezeichnen.

1932 trat Thea von Harbou, die von Lang schon eine Weile getrennt lebte, in die NSDAP ein, was von ihren Apologeten bis heute gern als Fehler einer politisch Unbedarften abgetan wird. Sie sei nicht in die Partei eingetreten, »weil sie zu den Radikalen zählte, sondern weil sie in politischer Hinsicht naiv war und den Parolen der Partei glaubte«, schreibt Heinz J. Galle im Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur.

Der Science-Fiction-Autor Herbert W. Franke geht im Nachwort zu einer von ihm im Jahr 1984 herausgegebenen Neuauflage des Romans »Metropolis« sogar noch einen Schritt weiter. Er schreibt über Harbous im Roman wie im gleichnamigen Film geäußerte Überzeugung, dass der Mittler zwischen Hirn und Händen stets das Herz sein müsse: »Diese These muss natürlich manchem ein Dorn im Auge sein, der sich die Befreiung der Arbeitermasse nur als Revolution vorstellen kann (…) Aber selbst wenn man davon absieht, dass wir durch die erlebte Geschichte inzwischen klüger geworden sind, erscheint mir die über Thea von Harbou ausgegossene Schelte übertrieben. Man mag sie der Naivität zeihen, doch müsste dieser Vorwurf dann auch alle anderen Kräfte treffen, die sich um friedliche Wege von Konfliktlösung bemühen, von Mahatma Ghandi bis zu Martin Luther King, von der Kirche bis zur Friedensbewegung.«

Doch an »friedlichen Wegen von Konfliktlösung« lag Thea von Harbou wenig. So schreibt sie schon im Jahr 1913 im Vorwort ihres Novellenbandes »Der Krieg und die Frauen«: »Das Nationalbewusstsein, das dem Deutschen Jahrhunderte lang gefehlt hat, ist in den letzten Jahrzehnten gewaltig aufgewacht (…) Das Bewusstsein nationaler Größe wird bei einem gesunden Volke immer Hand in Hand gehen mit dem entschlossenen Willen, sich durchzusetzen und zu behaupten – um jeden Preis.«

Damit reiht sie sich ein in den Chor jener kriegsbegeisterten Künstler und Intellektuellen, der unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Deutschland ertönte. Neu war bestenfalls, dass sie ihre Thesen in einer von Männern beherrschten Domäne an Frauenschicksalen zu belegen versuchte. »Die Pflicht über alles – über Liebe, Hoffnung, Glück. Und das Liebste hergeben zum Schutz des Vaterlandes – das ist die Kriegspflicht der Frauen«, schrieb sie.

Im Band »Deutsche Frauen – Bilder stillen Heldentums« aus dem Jahr 1914 glorifiziert sie die Kriegführung Deutschlands und denunziert den Gegner, wie etwa in der Novelle »Der Weg in der Nacht«: »Sie stehen da, die Männer, die Weiber, die Kinder, haben Waffen in der Hand und sind keine Menschen, sind Bestien (…) Gott gnade denen, die verwundet in Feindeshände fallen (…) Greueltaten sind geschehen (…) die kann kein Mensch beschreiben.«

Die Novelle endet mit dem Satz: »›Ich will helfen‹, sagte Maria.« Das war die Rolle, die Thea von Harbou der Frau im Krieg zugedacht hatte, die der Helferin, deren edelste Aufgabe es sei, das kämpfende Mannsvolk zu unterstützen. Wie ernst sie selbst diese Rolle nahm, zeigt die Tatsache, dass sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs freiwillig in einer Fabrik arbeitete, die Panzerketten herstellte, und Socken für deutsche Soldaten strickte.

Thea von Harbou verfasste nicht nur eigene Werke, sondern dichtete auch die anderer Schriftsteller um, ganz zur Freude der nationalsozialistischen Machthaber. Michael Töteberg, der Verfasser einer Monographie über Fritz Lang, schreibt, dass es ihr »mit erstaunlichem Geschick« gelang, »fremde Stoffvorlagen so zu bearbeiten, dass sie nationalsozialistisches Gedankengut transportierten. Als Beispiel sei ›Der Herrscher‹ genannt: Gerhard Hauptmanns unpolitisches Drama ›Vor Sonnenuntergang‹ wurde in der Drehbuch-Einrichtung Thea von Harbous und in der Regie Veit Harlans zu einer Huldigung an das Führerprinzip und die Volksgemeinschaftsideologie.« Veit Harlan erlangte später mit dem Propagandafilm »Jud Süß« (1940) zweifelhafte Berühmtheit.

Trotz ihrer Verstrickungen in den Nationalsozialismus konnte Thea von Harbou auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder im Filmgeschäft Fuß fassen, vornehmlich bei der Synchronisation ausländischer Filme wie etwa Carol Reeds »Der dritte Mann«. Noch in den fünfziger Jahren dienten ihre Romane als Vorlage für Monumentalfilme.

Die dritte Verfilmung ihres Abenteuerepos »Das indische Grabmal«, die 1959 mit Paul Hubschmid und Debra Paget in den Hauptrollen in die deutschen Kinos kam, erlebte sie allerdings nicht mehr. Thea von Harbou starb am 2. Juli 1954 an den Folgen eines Sturzes.