Ein wackliges Geschäft

Die Brücke über die Meerenge bei Messina ist ein Prestigeprojekt der italienischen Regierung. Über den Bau könnten sich vor allem lokale Mafia-Organisationen freuen. von wibke bergemann

Von der Fußspitze des italienischen Stiefels hat man einen guten Blick auf die sizilianische Küste. Nur wenige Kilometer trennen an der Meerenge von Messina die Insel vom Festland. Wer von hier nach Sizilien gelangen will, muss die Fähre nehmen. Ungefähr eine halbe Stunde dauert die Überfahrt. Doch seit mehr als zwanzig Jahren träumen Politiker und Ingenieure davon, mit einer gigantischen Brücke die süditalienische Insel mit dem Festland zu verbinden. Hier soll die längste Hängebrücke der Welt entstehen, ein Megabau mit einer Länge von mehr als fünf Kilometern. Der zentrale, 3 300 Meter lange Brückenteil soll an vier Pfeilern aufgehängt werden, die jeweils 380 Meter hoch sind. Auf sechs Fahrspuren würde der Verkehr über das Meer rollen, zwei davon wären der Eisenbahn vorbehalten.

Die Regierung Berlusconi macht jetzt Ernst mit dem Prestigeprojekt. In zwei Jahren sollen die Bauarbeiten beginnen, 2011 die ersten Fahrzeuge die Brücke überqueren. Die Hängebrücke ist eine der großen Staatsinvestitionen, die sich die Regierung vorgenommen hat: »In den vergangenen dreißig Jahren wurde die Frage der Infrastruktur in diesem Land zu sehr vernachlässigt. Wir wollen zeigen, dass man mit den richtigen Strategien und Optimismus die erhofften Ziele erreichen kann«, sagte Silvio Berlusconi anlässlich der Freigabe des Projekts im Januar. Der Unternehmer und Premierminister hat es eilig mit der Verwirklichung seiner großen Infrastrukturprojekte. Schon im Wahlkampf im Frühjahr 2001 zählten sie zu seinen wichtigsten Themen. Im Fernsehen trat Berlusconi mit einer Karte auf, in die viele bunte Linien eingezeichnet waren: seine Pläne für die Zukunft Italiens. Von den öffentlichen Investitionen erhofft er sich allein in diesem Jahr eine Steigerung des Bruttosozialprodukts um 0,6 Prozent.

Die Brücke soll zwei Regionen verbinden, die zu den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten in Italien gehören: Kalabrien und Sizilien. Doch profitieren könnte hier vor allem die lokale Mafia von dem Milliardenprojekt. Schon im Frühjahr 1998 warnte die Ermittlungsbehörde Direzione Investigativa Antimafia vor einem besonderen Interesse der kalabrischen Ndrangheta und der sizilianischen Cosa Nostra an dem Bauvorhaben. Die Mafia könnte zu einem durch korrupte Strukturen und zum anderen durch subunternehmerische Tätigkeit von den Arbeiten profitieren. Der Journalist Giovanni Colussi geht in einem Artikel in der Wochenzeitung Carta sogar davon aus, dass 40 Prozent der Ausgaben an die Mafia gehen könnten, rund 1,8 Milliarden Euro.

Colussi beruft sich auf die Ergebnisse einer Studie des Turiner Instituts Nomos, das 2001 im Auftrag der damaligen Mitte-Links-Regierung die möglichen kriminellen Auswirkungen des Brückenbaus untersucht hat. Veröffentlicht wurde die Studie nie. Immerhin wurde daraufhin entschieden, eine Spezialtruppe aus Staatsanwälten und Polizei einzusetzen, um eine Infiltration des Projekts durch die Mafia zu bekämpfen. Auch der neue Verkehrsminister Pietro Lunardi hat angekündigt, dass ein kleiner Betrag der öffentlichen Gelder in die Antimafia-Kontrolle der Großbaustelle investiert werden soll. Aber eben nur ein kleiner.

Dass der Verkehrsminister die Mafia nicht als ein allzu großes Problem betrachtet, machte er kurz nach dem Regierungswechsel deutlich, als er erklärte, mit der Existenz der Mafia und der Camorra müsse man sich abfinden: »Das Problem der Kriminalität muss jeder so lösen, wie er will.«

Doch die saftige Geldspritze für die Mafia ist nicht das einzige Problem im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben. Ein breites Spektrum von Kritikern, das von Bürgerinitiativen wie dem Messina Social Forum, über Umweltschutzgruppen bis zu den italienischen Grünen reicht, macht auch auf die ökologische und wirtschaftliche Fragwürdigkeit des Projekts aufmerksam. Die gigantische Hängebrücke soll direkt über der Bruchstelle zweier Erdplatten gebaut werden, die noch immer in Bewegung sind. Jedes Jahr hebt sich das kalabrische Landstück um zwei Millimeter an, die sizilianische Seite lediglich um einen halben. Die an den Planungen beteiligten Ingenieure gehen davon aus, dass die Brücke bei einem Beben Erdverschiebungen bis sieben Meter standhalten könnte. Für die sechsjährige Bauzeit ist das Risiko allerdings weiterhin ungeklärt.

Auch das Argument, die Brücke könne neue Arbeitsplätze in der Region schaffen, erweist sich als trügerisch. Zwar werden während der Bauarbeiten nach Schätzungen zwischen 10 000 und 30 000 Arbeiter gebraucht – doch eben nur für die sechsjährige Bauzeit. Danach werden nicht mehr als 500 Angestellte an der Brücke beschäftigt sein. Zugleich verlören rund 1 234 Menschen ihre Arbeit, wenn der Fährbetrieb an der Meerenge eingestellt wird, rechneten Umweltschutzgruppen und die italienischen Grünen in einem Protestschreiben im Januar vor.

Zudem gebe es nach Ansicht der Umweltschützer keine ausreichende Untersuchung, die die Folgen für die Umwelt gegen den wirtschaftlichen Nutzen abwägt. Die von der staatlichen Projektgesellschaft Stretto di Messina erstellte Nachhaltigkeitsstudie entspreche nicht den EU-Richtlinien. Die Grünen haben daher bereits Klage in Brüssel eingereicht.

Fraglich bleibt, ob sich die Brücke überhaupt rentiert. Das Schienennetz auf sizilianischer Seite ist so schlecht ausgebaut, dass durch die Brücke allein keine effiziente Verbindung entstehen wird. Zudem ist seit den achtziger Jahren das Verkehrsaufkommen an der Meerenge gesunken. Sizilien ist mittlerweile für Personen und Güter schneller über Flugverbindungen und direkte Seewege zu erreichen, die nicht den Umweg über Messina machen.

Derzeit passieren rund sieben Millionen Autos die Meerenge. Der Vorsitzende des italienischen World Wide Fund, Gaetano Benedetto, rechnet damit, dass es bei der vorgesehenen Brückengebühr von zehn Euro schätzungsweise 50 Jahre dauern wird, bis das Unternehmen Stretto di Messina schwarze Zahlen schreiben kann. »Für welches Privatunternehmen könnte eine solche Investition interessant sein?«, fragt der Umweltschützer. Der anfängliche Plan, das Bauwerk mit Hilfe eines gemischten Konsortiums zu finanzieren, wurde mittlerweile aufgegeben. Stattdessen soll die staatliche Projektgesellschaft 40 Prozent der Kosten tragen. Bereits zwei Jahre nach der Fertigstellung wird das Unternehmen allmählich privatisiert werden.

Tatsächlich stammen die 2,5 Milliarden Euro, die der Stretto di Messina zur Verfügung gestellt werden sollen, aus der Liquidation des staatlichen Unternehmens Iri. Die restlichen 60 Prozent der Kosten sollen internationale Investoren tragen. Und die müssen noch gefunden werden.