Türken an der dritten Front

Die Türkei wollte den Irakkrieg verhindern. Nun will Ankara mitmischen. Während in Teilen des Nordirak noch Husseins Truppen wüten, droht schon eine neue Konfrontation. von sabine küper, istanbul

Die Karikatur in der ansonsten regierungsnahen Tageszeitung Vatan ist nicht schmeichelhaft: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan klopft an eine Tür, er trägt eine türkische Uniform.

Ein Amerikaner öffnet und lacht ihn aus, er komme zu spät für den Maskenball. Nachdem das türkische Parlament nach längerem Hin und Her am Donnerstag der vergangenen Woche der Öffnung des Luftraums für fremde Luftstreitkräfte sowie einer möglichen Entsendung türkischer Truppen in den Irak zugestimmt hatte, höhnte eine deutsche Nachrichtenagentur: »Auch die Türken öffnen kleinlaut ihren Luftraum.«

Diese Schadenfreude empfanden die türkischen Kommentatoren als überzogen. Einstimmig beklagten sie, dass manche Länder Kriegsgegner seien, ohne ihre Beteiligung am Kriegsgeschehen, etwa durch das Gewähren von Überflugrechten oder die Erlaubnis zur Nutzung von Militärbasen, in Frage zu stellen. Die Türkei hingegen werde als abtrünnig beschimpft, wenn sie trotz ihrer Einwände gegen diesen umstrittenen Krieg sich dem alliierten Druck gefügt habe.

Dies tut die türkische Regierung ohnehin nur widerwillig, denn die USA rächen sich demonstrativ für den ungewohnten Widerstand des Bündnispartners, der in der Vergangenheit die amerikanische Politik in der Region stets unterstützt hatte. Vor der Abstimmung hatte der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, noch erklärt, man berate über Wirtschaftshilfen für das konjunkturschwache Nachbarland des Irak. Nach der Zustimmung des Parlamaments hieß es aus Washington, andere Länder hätten für die Nutzung ihres Luftraums auch kein Geld haben wollen, weshalb die Türkei auch nichts bekommen werde. Ein Zynismus, den am Bosporus niemand komisch findet. Denn schon gingen die Buchungen für die türkische Riviera um 70 Prozent zurück, und selbst Großkunden im Textilsektor, dem wichtigsten türkischen Exportzweig, meiden die Türkei in dieser Saison, weil sie nicht einmal ihre Einkäufer in ein Land schicken möchten, das so nah am Kriegsschauplatz liegt.

Politisch hat sich der neue Ministerpräsident isoliert. Ein Teil seiner gläubigen Wählerschaft beschimpft ihn als »Tayyip mit den blutigen Händen«, weil sie eine totale Absage der Türkei an diesen Feldzug gewünscht hätte. Nach dem Freitagsgebet in Istanbul kam es zu einer Demonstration, auch die Kundgebungen anlässlich des kurdischen Newroz-Festes, an denen sich mehrere hunderttausend Menschen beteiligten, standen im Zeichen des Protestes gegen den Krieg. Der türkische Unternehmerverband jammert indes, weil das Wirtschaftspaket nun ausbleibt, von dem sich das Land Hilfen und Kredite zwischen sechs und 30 Milliarden Dollar erhofft hatte.

Erdogan musste vergangene Woche zugeben, von dem Beginn der Militäroperation nicht vorab informiert worden zu sein. Trotz des Parlamentsbeschlusses ließ Ankara zunächst keine Flugzeuge durch und verlangte, dass die USA dem Einmarsch türkischer Truppen in den Norden Iraks zustimmten. Erst am Freitag Abend, zu Beginn der Großoffensive, meldeten türkische Militärs, dass die Überflugrechte nun gewährt würden. Im Gegenzug habe die USA der Stationierung einer begrenzten Zahl türkischer Soldaten im Nordirak zugestimmt, sagte Erdogan der Zeitschrift Newsweek. Am Wochenende erklärte hingegen US-Präsident George W. Bush, man habe der Türkei »sehr klar« zu verstehen gegeben, sie solle nicht in den Nordirak eindringen. Die USA und Großbritannien halten wenig davon, dass türkische Truppen über humanitäre Aufgaben hinausreichende Befugnisse erhalten.

Sicher eine vernünftige Entscheidung, denn die beiden kurdischen Parteien, die Patriotische Union Kurdistans (Puk) und die Demokratische Partei Kurdistans (KDP), hatten sich vergangene Woche in Ankara noch einmal einen Einmarsch türkischer Truppen verbeten. Die Türken werden sich über diesen Ausschluss aus der Militäroperation mehr ärgern als über die ausbleibende Wirtschaftshilfe. Ankara will unbedingt eine Pufferzone im Nordirak errichten und türkische Truppen an den Ölquellen bei Mossul und Kirkuk stationieren. Auch nach Bushs Warnung bekräftigte Erdogan in einer Fernsehansprache, dass die Türkei an ihren Plänen festhalte.

Offiziell will man ein Aufkeimen des bewaffneten Kampfes der Arbeiterpartei PKK unterbinden und die turkmenische Minderheit im Nordirak vor ethnischen Säuberungen schützen. Aber eigentlich will die türkische Armee nur dabei sein, wenn es daran geht, den Irak neu zu organisieren und die Pfründe aufzuteilen. Missmutig muss sie zurzeit jedoch ansehen, wie unablässig Militärfahrzeuge vom Mittelmeerhafen Iskenderun über türkisches Gebiet in den Nordirak transportiert werden. Den Transport von Kriegsmaterial durch die Türkei hatte das Parlament bereits am 1. März gestattet. Schon seit Februar wird der drittgrößte türkische Hafen nicht mehr für die zivile Schifffahrt genutzt.

Sehr unterschiedlich sind die Meldungen aus dem Nordirak und aus Kirkuk. Ein türkischer Kollege, der für eine amerikanische Tageszeitung arbeitet, kam vergangene Woche nach einem fast dreiwöchigen Aufenthalt im Nordirak zurück. Er hatte sich nicht, wie die meisten anderen Journalisten, im Saray-Hotel in Erbil einquartieren lassen, um sich nur mit den »Übersetzern« der KDP Massoud Barzanis bewegen zu dürfen, sondern hatte sich als turkmenischer Geschäftsmann getarnt. Dann wurde es ihm zu gefährlich, und er wollte seine Gastgeber nicht länger gefährden. Sie hatten es tatsächlich geschafft, ihn bis Kirkuk zu schmuggeln, wo viele Turkmenen leben.

Die Stimmung dort sei grauenvoll, berichtet er. Das in Bagdad unter Bombenhagel stehende irakische Regime rächt sich in der Region mit den letzten ihm noch zur Verfügung stehenden Repressionsmitteln. Immer wieder werden »Verdächtige«, meist Turkmenen, Kurden oder Assyrer, öffentlich verbrannt, um zu demonstrieren, was mit jenen geschieht, die nicht bis zum letzten Atemzug für den Diktator kämpfen. Wie ein Hohn auf den Öl- und Petroleumreichtum der Region werden die Opfer auf der Straße mit Petroleum überschüttet und angezündet. In Häusern werden Sprengsätze gelagert, um sie im Fall des Einmarschs feindlicher Truppen mitsamt der Bewohner zu sprengen. Davon betroffen sind vor allem Angehörige der nichtarabischen Bevölkerung.

Auch in der kurdischen Autonomieregion, deren nördlicher Teil von der KDP und deren südlicher Teil von der Puk kontrolliert wird, herrsche nervöse Anspannung. Im Gebiet der als liberaler geltenden Puk flüchten die Menschen aus Angst vor einem irakischen Einmarsch aus der Provinzhauptstadt Suleymania in die Berge. Die kurdischen Streitkräfte beklagten sich, von den USA weder mit ausreichenden Waffen noch mit ABC-Schutzkleidung ausgerüstet worden zu sein.

Im Gebiet der stärkeren und autoritäreren KDP, die weniger als Partei denn als Stammesgefüge unter der Führung Barzanis und seiner Familie funktioniert, ereignen sich merkwürdige Dinge: Mitglieder des Saddam-Hussein-Clans tauchen etwa immer mal wieder in Erbil auf, denn zusammen mit dem Barzani-Clan sind sie Teilhaber der lokalen Ölfirma. Man hat jahrelang gemeinsam Öl geschmuggelt und sich über das Oil-for-Food-Programm amüsiert, das sowohl im unter der Kontrolle Saddam Husseins stehenden Teil als auch im unter der Kontrolle der KDP stehenden Teil des Irak eigentlich nur für die Zivilbevölkerung besteht. Das war der beste Kontrollmechanismus, den die Uno dem Regime geben konnte, zumal der Diktator und seine Bürokratie die Verteilung des Erlöses aus dem Programm kontrollierten. Nun geht es wohl darum, Fluchtwege und die letzten Geschäfte zu organisieren.