»War!«

Antikriegsproteste in den USA von tobias rapp

Um 17.05 Uhr blitzte es am vergangenen Freitag über New York, und ein mächtiger Donner folgte. Kinder, die auf einem Schulhof Baseball spielten, fingen an zu kreischen und rannten schnell nach Hause. Es war allerdings nur ein ganz konventionelles Gewitter, das folgte, auch wenn man sich im ersten Augenblick des Gefühls nicht erwehren konnte, das eigene Fenster sei zu einem weiteren Bildschirm geworden, die Blitze und der Donner der Bomben über Bagdad hätten sich selbstständig gemacht und seien nun in den USA angekommen.

Es ist eine beklemmende Stimmung in New York, als die ersten Bomben auf Bagdad fallen. »War!« schreien einen die Schlagzeilen der Boulevardzeitungen in der U-Bahn an, die Polizeipräsenz in den Straßen und an wichtigen Orten ist drastisch erhöht worden, auf den Bahnhöfen patroullieren State Troopers in voller Kampfmontur mit Maschinenpistolen unterm Arm, und mehrmals am Tag gehen in der ganzen Stadt Alarmsirenen los, als stünde tatsächlich ein Anschlag bevor.

Die veröffentlichte Meinung in der Stadt ist gespalten. Das Murdoch-Blatt New York Post kündigte auf seiner Kommentarseite an, dieser Krieg werde die Welt verändern, weil nach vielen hundert Jahren die Diplomatie des »Old Europe« endlich zu einem Ende gekommen sei. Der Kommentator verstieg sich gar zu der These, der Zweck europäischer Diplomatie »war und bleibt der Machterhalt der Mächtigen durch die Mächtigen für die Mächtigen. (…) Wo immer auf der Welt wir Diktaturen sehen, die durch diplomatische Gepflogenheiten und ein Netz von Handelsbeziehungen geschützt werden, sehen wir einen Außenposten des alten Europa. Saddam ist europäischer als Tony Blair.«

Die New York Times, die sich in den vergangenen Wochen deutlich gegen die Regierung Bush gestellt hatte, ist dagegen wesentlich vorsichtiger: »Wenn die Dinge so gut laufen, wie wir es hoffen, werden sich selbst diejenigen, die die Logik hinter diesem Krieg scharf ablehnen, durch diese Ausdehnung amerikanischer Macht bestärkt fühlen, gegen ihren Willen. (…) Wir müssen eine Debatte darüber führen, was als nächstes kommt.«

Es gab zwar eine Reihe von Demonstrationen, am Donnerstag vergangener Woche demonstrierten mehrere tausend Menschen in New York im strömenden Regen gegen den Irakkrieg, am Samstag bei strahlender Frühlingssonne etwa 200 000. Zu den heftigsten Zwischenfällen kam es in San Francisco, wo am Donnerstag bei dem Versuch, die Stadt lahm zu legen, etwa 1 400 Demonstranten festgenommen wurden.

Doch so kämpferisch sich die Antikriegsbewegung gibt, es ist ihr nicht gelungen, den Krieg zu verhindern, und so unwahrscheinlich das auch gewesen wäre – die Wahrscheinlichkeit, durch Proteste auf das tatsächliche Kriegsgeschehen Einfluss zu nehmen, dürfte gleich null sein. Dass die meisten Kriegsgegner im Augenblick vor allem demonstrieren, um der Welt zu zeigen, dass die US-amerikanische Regierung nicht im Namen aller Amerikaner handelt, ist zwar ehrenwert, aber es dürfte auf die Dauer nicht ausreichen. Es heißt also tatsächlich: weiterdenken.

Eine mögliche Richtung gibt ein Kommentar in der Nation an: Die letzten Monate hätten nicht nur das Entstehen der imperialen Macht USA gesehen, sondern auch das einer anderen »Supermacht«, der »Weltöffentlichkeit«. Diese gelte es zu nutzen, um Konzepte für eine »nicht imperiale Zukunft« zu entwickeln.