Ach, Europa

Warum die gemeinsame Verteidigungspolitik der Europäer den Amerikanern wenig Schrecken und Ehrfurcht einflößt. von gerrit brüning

Nur wer »etwas aus eigener Kraft« leiste, könne auch einmal »Nein« sagen, beschrieb der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich in der Zeit die Haltung seiner Regierung zum Irakkrieg und verwies auf die Finanzierung der Bundeswehr. Am vergangenen Donnerstag ergänzte er diesen Gedanken in einer Regierungserklärung: Nur wenn Europa seine militärischen Fähigkeiten erweitere, könne es seiner »Verantwortung für Konfliktprävention und Friedenssicherung« gerecht werden.

Es geht um ein »militärisches Gegengewicht zu Amerika« , wie der Tagesspiegel schreibt, und tatsächlich fordern immer mehr Europäer, die militärische Abhängigkeit von den USA zu verringern.

Die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Belgien sowie Luxemburg wollen sich Ende April treffen und die gemeinsame Verteidigungspolitik vertiefen, um sich für künftige Krisen wie diejenige um den Irak zu wappnen. Ihre Streitkräfte sollen unabhängig sein von den amerikanisch dominierten Führungsstrukturen der Nato oder den »europäischen Pfeiler« der Allianz stärken, wie Schröder es auf dem Brüsseler EU-Gipfel zu Beginn des Irakkrieges ausdrückte.

Die Ankündigungen klingen optimistisch, noch in diesem Sommer soll die gemeinsame militärische Eingreiftruppe der EU antreten: 60 000 Soldaten, die sich innerhalb von 60 Tagen bereit machen, um drei Jahre Kampf respektive humanitäre Hilfe durchhalten zu können.

Es war eine schwere Geburt, denn bereits im Dezember 1999 hat der Europäische Rat beschlossen, die Eingreiftruppe aufzustellen. Doch trotz der vollmundigen Erklärungen der jüngsten Zeit, steht bislang die gemeinsame europäische Verteidigung auf tönernen Füßen. In den nächsten Jahren wird die EU über die nun angelaufenen friedenserhaltenden Missionen auf dem Balkan hinaus nicht gemeinschaftlich agieren können. Und Macht gegenüber den USA wird sie so kaum aufbauen.

Die Probleme beginnen mit den europäischen Waffengeschäften, die nur schleppend laufen. Vor kanpp zwei Jahren fusionierten Daimler-Chrysler-Aerospace und die französische Aerospatiale-Matra zur European Aeronautic Defence and Space Company (EADS). Ein Zeichen der Stärke war das nicht, sondern eine Folge der Krise, in die die europäische Kriegsindustrie nach dem Ende der Blockkonfrontation geriet.

Nicht nur europäische Staaten geben weniger für Verteidigung aus. Rüstungsfirmen setzen überall weniger Waren ab und sind zur Kooperation gezwungen, um Entwicklungskosten zu sparen. Die EADS entstand unter anderem deswegen, weil sich Daimler aus dem Waffengeschäft zurückzog und sich darauf konzentriert, Autos zu bauen.

Selbst für bereits beschlossene EU-Rüstungsprojekte ist die Finanzierung unklar. Der bislang größte Auftrag für die EADS, das geplante europäische Transportflugzeug Airbus A 400 M, sorgte immer wieder für kritische Schlagzeilen. Die Gesamtzahl der angekündigten Käufe hat sich über die Jahre hinweg fast halbiert, der Stückpreis der verbliebenen 163 Flugzeuge ist deshalb gestiegen. Deutschland kann selbst seine 73 Maschinen kaum bezahlen. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping unterschrieb zwar Ende 2001 die Bestellung über 8,6 Milliarden Euro, doch der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte nur 5,1 Milliarden bewilligt, bei denen es auch blieb.

Dabei müssen die Truppen der EU-Staaten mehr leisten, seit sie etwa 30 000 Soldaten auf dem Balkan stationiert haben. Doch die Verteidigungsminister geraten in ein Dilemma: Die laufenden Kosten für die Militärmissionen im Ausland verzehren die Mittel, mit denen die Ausrüstung modernisiert werden könnte.

Nicht nur die haushaltspolitischen Vorgaben untergraben das Ziel einer schlagkräftigen europäischen Armee. Die EU investiert immerhin knapp halb so viel in seine Streitkräfte wie die USA mit ihrem Etat von 390 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Effektiv leistet das Militär der EU nicht einmal annähernd halb so viel, da die einzelnen europäischen Staaten eigene Rüstungstechnologien unterhalten: vier verschiedene schwere Panzer (USA: einen), acht Luftkampf-Raketensysteme (USA: vier) und elf Fregattentypen (USA: eine). Zersplitterte Entwicklung kostet mehr und bringt inkompatible Waffensysteme hervor, die einzelnen Armeen können schwerer miteinander kooperieren.

Im vergangenen Monat forderte die EU-Kommission erneut, eine europäischen Rüstungsagentur zu gründen, die dafür sorgen soll, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Standards einhalten und ähnliche Waffensysteme beschaffen. Dem stemmen sich jedoch die nationalen Waffenproduzenten entgegen, die um Aufträge bangen. Einige würden gewinnen und andere verlieren, vermutete Horst Teltschik, der Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, in der taz. Selbst wenn die Agentur entstünde, bedrohte sie die US-Rüstungsfirmen, die sich auf viel höhere staatliche Aufträge verlassen können, in absehbarer Zeit nicht. Mit dem Geld, das das Pentagon im letzten Jahr zusätzlich erhielt, muss die Hardthöhe ein Jahr lang auskommen.

Die geplante europäische Armee krankt auch daran, dass eine gemeinschaftliche Kommandostruktur fehlt. Stattdessen möchte die EU für ihre Einsätze so genannte Combined Joint Task Forces nutzen, also Nato-Kapazitäten, ohne dass sich die USA direkt beteiligen. Allerdings muss der Rat der Allianz zustimmen, und Washington könnte so jeden Einsatz verhindern.

Die EU gerate auf militärischem Gebiet unter einen »Zwang der Bescheidung«, weil sie gegenüber den USA zurückfällt, urteilt der Politologe Norbert Eitelhuber in einer kürzlich veröffentlichte Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die notwendigen deutlich höheren Verteidigungsbudgets scheiterten an leeren Staatskassen. Langfristig könnten die Europäer ihre Fähigkeiten zwar bündeln und dadurch Kosten sparen. Aber erst, nachdem sie ihre Außenpolitik vereinheitlicht hätten. »Kurz- und mittelfristig«, bilanziert Eitelhuber, sei die Planung über die Streitkräfte in eine »Sackgasse« geraten.

Er schlägt vor, die Fähigkeiten »unterhalb der Friedenserzwingung« zu verbessern, sich also zum Beispiel in Mazedonien zu engagieren, wo die EU gerade die Führung der Militärmission übernommen hat. Selbst bei diesem ersten gemeinsamen Militäreinsatz mit nur 350 Soldaten arbeitet die EU eng mit der Nato zusammen. Einen Krieg können die Europäer nach Meinung von Eitelhuber nur gemeinsam mit den Amerikanern bestehen, um auf diese Weise langfristig unabhängig und nicht bloß »Peacekeepers« zu werden.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander, und in den Leitartikeln äußert sich immer wieder die Unzufriedenheit mit den mageren Aussichten. Die taz forderte die Europäer dazu auf, sich »endlich« auch militärisch von den USA zu emanzipieren. Wenn Europa in der Lage wäre, heißt es in einem Kommentar von Daniel Haufler, eine Drohkulisse für Waffeninspektoren aufzubauen, dann »könnten die USA nicht so ungehemmt agieren wie jetzt«.