No One Is Watching You

Als »Big Brother«-Fan ist man zur Zeit sehr einsam. von elke wittich

Endemol dürfte ein ziemliches Problem gehabt haben, geeignete Kandidaten für die vierte Staffel der Doku-Soap »Big Brother« zu finden. Nicht nur, weil menschlichem Ermessen nach jeder Bundesbürger, den es ins Fernsehen drängt, mittlerweile in irgendeinem Schwarzwaldhaus, Diät-Foltercamp, Frauen-Ferienanwesen, irgendeiner Talkshow oder beim Superstar-Casting zu sehen gewesen sein dürfte. Nein, die Mitmacher-Suche muss vor allem deswegen sehr schwierig gewesen sein, weil sich die bisherigen »BB«-Karrieren als entweder äußerst kurzlebig oder als erst gar nicht vorhanden erwiesen:

Zoni John, Gewinner der ersten Staffel, brachte es nicht einmal zu einer eigenen Single und lebt heute stark übergewichtig sowie von der damaligen Freundin plus dem gemeinsamen Kind getrennt irgendwo in Schleswig-Holstein.

Alida, die ebenfalls DDR-sozialisierte Gewinnerin von »Big Brother 2«, schafft nun bei Neun Live an, einem TV-Kanal, von dem niemand mit Gewissheit sagen kann, ob er überhaupt noch auf Sendung ist.

Weit schlimmer dürfte es zudem den Verlierern der jeweiligen Staffeln ergangen sein. Wie schlimm? Keiner weiß es, denn diese Loser sind ob des ausgebliebenen Ruhms durchweg derart enttäuscht, dass sie sich nicht einmal mehr für die einschlägigen Magazinsendungen auf RTL interviewen lassen. Zum Beispiel »Chicken-Tom«, der als erster vom Publikum rausgevotete Kandidat in die »BB«-Geschichte eingegangen ist. Ein bisschen später hatte es zwei Frauen namens Kerstin und Manu ganz besonders schlimm erwischt. Die beiden Intrigantinnen hatten es seinerzeit gewagt, Zlatko zu kritisieren – der nach seinem Rauswurf ungefähr zwei Singles lang das Leben als Celebrity genießen durfe. Noch mehr Nicht-Star-Potenzial dürfte nur noch die Ärztin Stefanie entwickelt haben, die als Staffel-3-Zicke den Niedergang des Leuten-beim-Leben-Zugucken-Formats beschleunigte.

Echte Karriereaussichten waren das also nicht, die am Montag vergangener Woche acht Menschen dazu brachte, in die neu konzipierte »Big Brother«-Herberge einzuziehen. Endemol hatte die vierte Staffel damit angekündigt, dass sich nun alles absolut ändern werde. »Schluss mit dem Auf-dem-Sofa-Rumsitzen, nun kommt ›The Battle‹«, verkündeten Werbejingles weit vor dem Beginn der Sendung. Die Bewohner würden sofort in Arm und Reich aufgeteilt, wobei den Privilegierten jedweder Luxus bis hin zum eigenen Pool und den Verlierern lediglich das absolute Minimum gestattet sei.

Was Endemol verschwieg: Diese Variante – bei der jederzeit durch kurzfristig angesetzte und Battle benannte Aufgaben die Seiten getauscht werden konnten – war in den Niederlanden am Anfang gründlich daneben gegangen. »Im Großen und Ganzen handelte jene ›BB‹-Ausgabe davon, dass sich die Armen beim Beobachten ihrer im Luxus schwelgenden Kollegen die Nase am gläsernen Zaun platt drückten«, beschrieb eine niederländische Zeitung das damals noch so neue Konzept, das trotzdem nun auch in der BRD gefahren wird.

Die Aussicht, ohne Warmwasser auf Schlafsäcken im Stroh nächtigen zu müssen, schreckte anscheinend keinen der Teilnehmer ab. Weder den 39jährigen Schweizer Burlington-Socken-Vertreter Michel noch Stripperin Nadja, Diplomatentochter Kharda, Stewardess Nadine (Hobby: Shoppen), den tätowierten Schreiner Marc, den ostdeutschen Bademeister Jan und auch nicht die ungarische Malerin Gabriella. Und schon gar nicht den kopfrasierten Fitness-Junkie Ulf, der nur ganz am Anfang wirkte wie der typische Kölner Schwule. Kurz nach dem Einzug outete sich der türstehende Meister Propper als von seiner grob 20 Jahre jüngeren Freundin frisch Verlassener – und als ehemaliger Unteroffizier der Volksarmee, mit allen dazu gehörigen rassistischen Vorurteilen.

Würde diese Melange aber irgendjemanden dazu bringen, alltäglich um 19 Uhr einzuschalten? Die Produzenten der auf RTL II laufenden Sendung gingen jedenfalls kein Risiko ein. Schließlich war mit »Deutschland sucht den Superstar« kurz zuvor ein Format gelaufen, das zu Beginn kaum jemanden interessiert hatte. Erst als Bild aktiviert wurde und mit Schlagzeilen über Juliettes Silikonbrüste, die sexuellen Vorlieben von Daniel Küblböck und dem großen Daniel-Lopes-Skandal zum Gucken animierte, schalteten die TV-Besitzer plötzlich mehrheitlich die Suche nach dem singen könnenden Super-Talent ein.

Und so kündigte Bild bereits Ende letzter Woche vor dem offiziellen Start von »BB« bereits Einzelheiten über die einziehenden Kandidaten an. Insbesondere »Nackt-Nadja«, eine Stripperin, gelangte täglich in die Schlagzeilen. Kaum eingezogen, erwies sich die als Sexluder angekündigte Süddeutsche aber vor allem als ungemein praktisch veranlagt. Nachdem sie mit Michel, Marc und Khadra in der Losergruppe angelangt war, schnallte ausgerechnet das G-String-Girl das Geheimnis des Arme-Leute-Klos. Und machte sich flugs an die Zubereitung von Essen unter ganz besonders schwierigen Bedingungen.

Trotz solch überzeugender Szenen findet man als tapferer »BB«-Fan kaum jemanden, mit dem man über die sehnlichst erwartete neue Folge dikutieren kann. Manchmal mag technische Blödheit schuld daran sein, schließlich ist bei »BB« mindestens ein Farbfernseher unabdingbare Zugangsvoraussetzung. Wer diese Hürde genommen hat, kann bei »Big Brother« fürs Leben lernen, wenn man nur gut genug aufpasst.

In dieser Staffel zum Beispiel, wie Mobbing funktioniert und warum man es besser sein lassen sollte. Gegen Gabriella (»Ich habe Orangenhaut, was hab ich hier also zu gewinnen?«) liegt aus Zuschauersicht eigentlich nichts vor, aber Nadine hat beschlossen, dass die Malerin ganz besonders blöde und nervend sei und macht sich nun daran, alle anderen gegen die Ungarin aufzuwiegeln. »BB« könnte zur letzten Chance für Mobber-Wannabees werden, von ihrem dämlichen Tun abzulassen: Schließlich will wohl niemand, der sie noch alle beisammen hat, so werden wie Nadine. Die passt in schöner Regelmäßigkeit andere Bewohner im Garten ab und schildert ihnen im konspirativen Flüsterton, wie sehr Gabriella ihr das Leben verleide. Anstatt der Intrigantin eine reinzuhauen oder ihr mindestens zu erklären, dass Mobbing Ausdruck einer massiven Persönlichkeitsstörung ist, äußern sich die Angesprochenen alle gleich: Sie sagen »Mmhhmm, jaja, aha« und verhalten sich, offenkundig sehr froh darüber, nicht zum Opfer auserkoren worden zu sein, in der Folge betont unauffällig. Nicht ahnend, dass sie in nur wenigen Wochen als wesentlicher Bestandteil der großen Nadine-Verschwörung enttarnt und ganz einfach rausgeschmissen werden.

Ein weiteres Verdienst von »Big Brother« besteht darin, für alle Zeiten Schluss zu machen mit dem besonders von Frauen gepflegten Stellvertreter-Schämertum. Das setzt immer dann ein, wenn sich im Fernsehen gerade jemand ganz besonders grob blamiert. Anstatt nun auf dem Sofa zu sitzen und sich zu freuen, dass man sich selbst bisher noch niemals so desavouiert hat wie der Attention-Seeker Michel auf dem Bildschirm, werden die stellvertretenden Schämerinnen anlässlich jedes gesendeten Fehltritts vorbeugend-stellvertetend rot.

Michel wird nur wenig später das »BB«-Haus verlassen. Als im Heim aufgewachsenes Kind sei er dort in »alte Verhaltensmuster« zurückgefallen, wird der alpenländische Großkotz sein Ausscheiden begründen.

Wir, die wir von »BB« fürs Leben lernen, sollten uns von diesem Kollateralschaden nicht beeindrucken lassen. »BB« wird neue Kandidaten ins Haus lassen – und mit ein bisschen Glück wird es sich dabei um Zlatko-Wiedergänger handeln, die extrem wortarm sind. »Mhhhm«, werden sie sagen, und »jaja, aha«. Und das reicht allemal.