Out, Demons, Out!

Wo politische Analyse und internationalistische Intervention gefragt wären, beschränkt sich der größte Teil der Linken auf Moral und Exorzismus. von jörn schulz

Es sind seltsame Zeiten, in denen ein US-Verteidigungsminister Plünderungen rechtfertigt, während Linke die ordnende Hand der Staatsmacht vermissen. Die Irakis »klauen, was sie können«, empörte man sich bei Indymedia über die Enteignung ba’athistischen Eigentums, die junge Welt entdeckte »plündernde Horden«. Verglichen mit diesem dumpfen Ressentiment gegenüber der unersättlichen Gier des Pöbels, erscheint Donald Rumsfeld fast wie ein Revolutionär, wenn er kommentiert: »Es ist unordentlich. Freiheit ist unordentlich.«

Die meisten deutschen Linken mögen keine Unordnung. Man hat sich schließlich nicht in langen Jahren ein Weltbild zurechtgezimmert, nur um es sich jetzt von ein paar arabischen Hooligans kaputtschlagen zu lassen. Doch die nicht selten genüsslich ausgemalte Apokalypse fiel aus. Statt sich, wie die antiimperialistische Theorie es vorsieht, in Zeiten der Not um ihren Diktator zu scharen, entzogen sich die irakischen Soldaten ihrer Bestimmung zum Kanonenfutter. Der prophezeite »Flächenbrand« im Nahen Osten ließ ebenfalls auf sich warten. Auch die Kriegsbefürworter von der antideutschen Zeitschrift Bahamas hatten kein Glück. Von den »fanatisierten Massen«, denen Saddam Hussein »Ansporn zur immer weiteren Selbstzurichtung für einen wahnsinnigen Krieg gegen die Vernunft ist«, war ausgerechnet im Mutterland des arabischen Antisemitismus nichts zu sehen.

Wenn sich die meisten Vorhersagen über diesen Krieg als falsch herausgestellt haben, darf das keinesfalls zu einer Überprüfung der politischen Theorien und analytischen Grundlagen führen. Am einfachsten ist es natürlich, so zu tun, als sei nichts gewesen. So geht die Bahamas-Redaktion in ihrer Glückwunschadresse an die siegreichen Regierungen davon aus, dass nur noch »der größte Teil der islamischen Welt« in die »antisemitische Internationale« eingereiht werden muss. Beim derzeitigen Niveau der linken Debatte kann das allerdings schon als bemerkenswertes Zeichen von Lernfähigkeit gewertet werden.

Denn nicht nur George W. Bush teilt die Welt in Gut und Böse ein. »Ob es gefällt oder nicht, Kriegszeiten sind allemal binäre Zeiten und laufen auf so etwas wie einen kollektiven Lackmustest hinaus«, schrieb Ernst Lohoff von der Zeitschrift Krisis in der vergangenen Woche an dieser Stelle. Wer sich einem binären Weltbild verweigert, »argumentiert in einer nicht existierenden Zwischenwelt«.

Zwischenwelten sind gefährlich. Denn dort hausen die Dämonen, die immer wieder auf Erden erscheinen, um die Rechtgläubigen in Versuchung zu führen, und die sich dabei auch noch tarnen, um ihr teuflisches Werk umso wirkungsvoller vollbringen zu können. Moderner ausgedrückt: Gefahr droht der Linken, so glaubt Robert Kurz von Krisis, durch »osmotisch verbreiteten Bellizismus«. Der bellizistische Dämon diffundiert aus seiner Zwischenwelt durch die Zellmembranen des unschuldigen Linken und macht ihn zu einem Besessenen. Sein Zwischenwirt ist der »handzahme Kriegsgegner«, eine besonders gefährliche Spezies, da sie politische Korrektheit vortäuscht, während sie doch durch Kontakte mit Antideutschen und anderen Kriegstreibern den bellizistischen Bazillus verbreitet.

Urheber des Bellizismus ist der Antideutsche, geführt vom großen Satan Bahamas. Doch Satan ist trickreich. Wie ein feiger Amerikaner den fairen Kampf Mann gegen Mann scheuend, benutzt der Antideutsche Strohmänner, und, obwohl Sexist, hin und wieder sogar eine Strohfrau. So wird es ihm gelingen, beim Ende Mai stattfindenden Kongress »Spiel ohne Grenzen« das »Repräsentationsvieh« zu dominieren, wie Kurz bereits jetzt weiß. Denn dort sind ein Autor und eine Autorin anwesend, die auch in Bahamas publizieren, den Rest besorgt die Osmose. Zum Verständnis dieser Verschwörungstheorie, die wohl selbst Mathias Bröckers zu schlecht belegt wäre, hilft am ehesten der Kirchenvater Tertullian, der zum Thema jungfräuliche Geburt bekannte: »Ich glaube es, weil es absurd ist.«

In ihrer kompromisslosen Verfechtung eines binären Weltbildes, ihrer Leidenschaft bei der Exkommunikation von Häretikern und ihrem Hang zum Moralisieren können sich viele Linke mit Kirchenvätern und Inquisitoren durchaus messen. »Da sind vor allem die Bilder der Krankheit, die für Häresie gebraucht werden, die nicht nur die Gefahr der Ansteckung und damit der Verderblichkeit für den Christen signalisieren, sondern die für sich schon das Abnorme ausdrücken«, beschreibt Alexander Patschovsky die mittelalterliche Theologie. »Häretiker sind von Natur aus unfähig zu allem Guten, und tun sie es de facto doch, dann spiegelt sich in Wahrheit gerade darin ihre Bosheit.«

Am leichtesten ist der Häretiker daran erkennbar, dass er halsstarrig auch dann noch auf seinem Zweifel oder gar Widerspruch beharrt, wenn ihm die allein selig machende Wahrheit verkündet wurde, und dass es ihm an heiligem Zorn bei der Verfolgung der Ketzerei mangelt. Deshalb ist es unerlässlich, ein klares Bekenntnis abzulegen und den Trennungsstrich zum Feind exakt vor den eigenen Fußspitzen zu ziehen.

»Die Parole ist klar: Waffen für Israel, darunter ist nichts. Wer meint, sich dem entziehen zu können und wichtigeren Dingen sich zuwendet, ist mit den Elsässers, Ströbeles und Fischers«, tönt es von den Bahamas. Wer »darunter« geht, sich also etwa zu fragen erdreistet, ob es denn der israelischen Armee wirklich an Waffen mangelt, wird exkommuniziert. Der Rechtgläubige ist aufgefordert, ihm »einen Platz im Austausch der vernünftigen Argumente zu verwehren, nicht zu diskutieren, sondern zu boykottieren«.

»Schluss der Debatte mit sämtlichen Hardcore- und Softcore-Bellizisten! (…) Schluss mit allem Liberalismus und aller Duckmäuserei«, erschallt das Echo von Robert Kurz, der den Vorwurf des Stalinismus natürlich weit von sich weist. Weniger testosterongesteuerte Krisis-Kollegen rechtfertigen seine Polemik allen Ernstes mit dem Argument, die anderen hätten ja angefangen.

Wer mit anderen Linken einer bestimmten Fraktion nicht mehr diskutieren will, kann es einfach sein lassen. Wer mit Hygieneverordnungen und Kontaktsperregesetzen nicht nur die ohnehin längst vollzogene Spaltung, sondern ein Verbot des sozialen Umgangs durchsetzen will, offenbart seinen autoritären Charakter. Er erträgt den Dämon der Ambivalenz nicht, der ihn ständig mit der Frage quält, ob jemand von der anderen Seite womöglich doch mal etwas Richtiges gesagt haben könnte. Da hilft nur ein zünftiger Exorzismus.

Da ihm, anders als den Inquisitoren des Mittelalters, die weltliche Macht glücklicherweise nicht zuarbeitet, bleibt es vorerst noch bei moralisierenden Beschwörungsformeln. Ein Krieg scheint sich dafür am besten zu eignen. Genauer gesagt: der Krieg, bei dem der Texaner mitspielt. Dass »wir« immer in Kriegszeiten leben, da auf diesem Planeten etwa 50 bewaffnete Konflikte stattfinden, und dass der kapitalistische Frieden ebenso tödlich sein kann wie ein Krieg, sollten Kapitalismuskritiker wie Lohoff eigentlich wissen.

Probieren wir es einmal mit einem anderen »Lackmustest«: Wer immer noch ein Handy benutzt, obwohl der Krieg im Kongo mindestens tausendmal so viele Zivilisten das Leben gekostet hat wie der Irakkrieg und das Massaker nicht zuletzt durch den Abbau von Coltan finanziert wird, ohne das kein mobiles Telefon klingelt, ist ein Rassist, der in der Linken nicht geduldet werden darf! Hallo, ist noch jemand da?

Das Moralisieren, nicht zu verwechseln mit dem Handeln auf der Grundlage einer politischen Moral, erlaubt bei geschickter Dogmensetzung die Ausgrenzung jeder beliebigen Fraktion. Der Beseitigung jener Missstände, gegen die es sich vordergründig richtet, dient es nicht, da die Kritik in der Regel nur ein Vorwand für eine ganz andere Auseinandersetzung ist.

Wenn die Bolschewiki sich darauf beschränkt hätten, den Krieg als böse zu geißeln, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Chance sich für sie aus der bis dahin tiefsten Krise des Kapitalismus ergeben könnten, wäre die Oktoberrevolution zweifellos verschlafen worden. Krieg ist die Zuspitzung der Widersprüche in der Klassengesellschaft und enthüllt deren gewalttätigen Charakter, deshalb folgt ihm fast immer eine Entlegitimierung der Herrschenden und ein emanzipatorischer Schub. Der Erste Weltkrieg brachte unter anderem das Frauenwahlrecht, der Zweite Weltkrieg leitete die Entkolonisierung ein, und die 68er-Bewegung ist ohne den Vietnamkrieg kaum denkbar.

Das alles macht den Krieg nicht schöner. Doch nach aller historischen Erfahrung kann er nicht verhindert, sondern nur ausgenutzt werden. Es ist deshalb bestenfalls borniert, Fatwas gegen eine Debatte über die emanzipatorischen Chancen nach dem Sturz des irakischen Regimes auszustellen. Diese Chancen ergeben sich nicht aus den Demokratiserungsversprechen Bushs, sie werden aber auch nicht durch die Position des Irak in der Weltwirtschaft oder »ethnische« Konflikte von vornherein zunichte gemacht.

Internationalistische Politik begreift Menschen als handelnde Subjekte und nicht nur als Opfer oder hilflose Objekte ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Und alle politischen Gruppen im Irak betrachten die Demokratisierung als das derzeit vorrangige Ziel. Die Prozesse der Selbstorganisation zu unterstützen, die nun überall im Land beginnen, und die emanzipatorischen Kräfte durch Hilfe beim Aufbau von Gewerkschaften oder Frauenhäusern zu stärken, wären die Aufgaben einer Linken, die nicht so sehr sich selbst ernst nimmt, wie Lohoff es fordert, sondern das Ziel der Befreiung.

Die irakische Gesellschaft ist in Bewegung gekommen. Was sich nun nach Jahrzehnten des Terrors, Militarismus und extremen Patriarchats entlädt, ist nicht immer schön anzusehen und manchmal verbrecherisch. Von antisemitischem Fanatismus oder Servilität gegenüber den neuen Herren aber ist wenig zu spüren. Und obwohl es im Irak nicht allein um die Diskurshoheit am linken Stammtisch geht, sind dort bislang nicht einmal die Islamisten auf die Idee gekommen, ihre Gegner zu exkommunizieren.