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Die Linken sollten in den Gewerkschaften mitarbeiten, um den Blick der KollegInnen für antikapitalistische Alternativen zu schärfen. von tom adler
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Manchmal ist die Politik der Gewerkschaften zum Verzweifeln. Ob Bündnis für Arbeit, Beschönigung der Arbeitsmarktpolitik à la Hartz oder die Rückwärtsentwicklung gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik: Gelegenheiten, wütend zu werden, gibt es genug. Bei der Beantwortung der Frage, ob kritische Kräfte und Sozialisten in diesen Gewerkschaften für einen Kurswechsel streiten sollen, hilft aber auch eine noch so berechtigte Wut nicht weiter.

Die Gewerkschaften sind entstanden als Selbsthilfeorganisationen von Lohnabhängigen, um die Bedingungen für den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu verbessern. Sie haben sich zunächst einmal nicht unmittelbar die Überwindung des Kapitalismus und der Lohnarbeit zur Aufgabe gestellt, sondern die Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Mitglieder. Sozialrevolutionäre Perspektiven konnten in den Gewerkschaften immer nur in Zeiten der Radikalisierung der Massen an Einfluss gewinnen. Einen Konsens dürfte es selbst mit den schärfsten Kritikern der Gewerkschaften darüber geben, dass es heute nur wenige ArbeiterInnen und Angestellte gibt, die den Kapitalismus in Frage stellen.

Wäre es nur ein im Wettbewerbskorporatismus gefangener Gewerkschaftsapparat, der den Fortschritt verhindert, müssten landauf, landab hunderttausende »autonome, sozialrevolutionäre Gewerkschaften« entstehen und die Bürokraten das fürchten lehren. Doch wie so oft blamiert sich die Idee vor der Realität.

Freilich sind insbesondere die deutschen Gewerkschaften zentralistische Organisationen. Ihre Strukturen sind zwar formal demokratisch, de facto eignen sich aber die Führung und der Apparat immer wieder die Definitionsmacht darüber an, was gewerkschaftliche Politik sei. Diese Definitionsmacht wird jedoch punktuell durch den Widerstand der Basis zurückerobert.

Erinnert sei etwa an die Kämpfe gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 1996. Seinerzeit hatten sich große Teile der gewerkschaftlichen Führung längst mit den Kohlschen Kürzungsplänen abgefunden. Zum Handeln gezwungen wurden sie durch die spontanen Streiks, initiiert und organisiert von GewerkschafterInnen an der Basis.

Die Zusammenarbeit solcher Kräfte zu verbessern, ihnen eine Plattform für konzeptionelle und aktionsorientierte Diskussionen zu schaffen, ist eine der Aufgaben der Linken, um Änderungen der Gewerkschaftspolitik zu erreichen und den Blick der KollegInnen für antikapitalistische Perspektiven zu schärfen.

Wie kurzatmig die Parole »Raus aus den staatstragenden Gewerkschaften!« ist, zeigt auch ein Blick über die Grenzen. Die italienische CGIL war Ende der sechziger Jahre eine Gewerkschaft, die getrieben von Massenkämpfen in vielen Betrieben genau die Politik gemacht hat, von der heute selbst ein autonomes oder sozialrevolutionäres Kollektiv in Deutschland nur träumen kann. Nach der schweren Niederlage der italienischen ArbeiterInnen blieb davon nicht viel übrig. Die CGIL und die übrigen italienischen Gewerkschaften betrieben fast zwei Jahrzehnte lang eine partnerschaftliche Politik, die sich nicht gerade positiv von der der deutschen Gewerkschaften unterschied.

Heute spielt die CGIL wieder eine bedeutende Rolle in den politischen Massenbewegungen Italiens und bringt Millionen auf die Strasse gegen den G8-Gipfel, gegen die soziale Demontage und die Kriegsunterstützung der italienischen Regierung. Die wieder gewachsene Kampfbereitschaft ist die Voraussetzung dafür.

Selbst die schlechtesten Gewerkschaften sind immer noch Schutzwälle gegen die grenzenlose Gier nach Profit. Das zeigen die hasserfüllten Attacken aus der Union und der FDP ebenso wie die rotgrüne Politik. Wenn die Gewerkschaften, die nach Friedrich Engels »zum Kampf gegen die Übergriffe des Kapitals« geschaffen wurden, gegen diese Übergriffe vorgehen, dann ist dies ein richtiger Schritt heraus aus der Lähmung des »Bündnisses für Arbeit«. Ohne diese praktischen »Sammelpunkte des Widerstands« (Marx) wird es keine Politisierung geben, und schon gar nicht in sozialrevolutionärem Sinne.

Der Autor ist Mitglied der IG Metall und Betriebsrat bei Daimler-Chrysler in Stuttgart.