Es schwarz auf weiß haben …

Journalismus lebt vom Versuch, sich der Wahrheit zu nähern. Auch in dem Wissen, dass das nicht vollständig funktionieren kann. von hans leyendecker

Ein junger Journalist lügt, erfindet, täuscht vor, fabuliert und verdreht. Als der Fälschungsskandal bei der New York Times heraus kam taten manche, als sei etwas unerhört Neues passiert. »Dies waren die schlimmsten zehn Tage, die ich hier erlebt habe« sagte der bekannte New York Times-Reporter Clyde Haberman.

Dabei hat es Fälschungen, Verdrehungen und Lügen im Journalismusbetrieb zu allen Zeiten gegeben. Wer ein paar schöne Beispiele sucht, sollte in den Werken des Wiener Kulturkritikers Karl Kraus stöbern, der den Kampf gegen die »Tintenstrolche«, die »Pressköter« und die »Saupresse« sein Leben lang auf allen Ebenen und mit Waffen aller Kaliber geführt hat. Um die verhasste Neue Freie Presse zu züchtigen, registrierte er in seiner Fackel erfundene, unwahre Geschichten und Betrügereien des Wiener Blattes. Er kämpfte scheinbar mit Kanonen gegen Mücken, doch er wusste, »dass die Pest von Mücken verbreitet wird«, und er hatte »die Konsequenz, es in jedem Fall zu beweisen.«

Lehrreich ist auch Billy Wilders Film-Komödie »Extrablatt«, in der Jack Lemmon und Walther Matthau zwei trinkfeste Reporter spielen, die sich vor Langeweile und zu viel Wahrheit fürchten.

In den neunziger Jahren wurde der deutsche Filmemacher Michael Born von einem ordentlichen Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er zwölf Fernsehbeiträge gefälscht hatte. Wegen 36 Fälschungen war er angeklagt worden. »Es gab den unausgesprochenen Auftrag, zu fälschen«, sagte Born. »Als Zuschauer bin ich da aber empört«, antwortete der Vorsitzende Richter.

In der Verhandlung konnte Born nachweisen, dass nicht nur er, sondern auch Fernsehsender Bilder gefälscht hatten. Rechtsradikale wurden etwa von Fernsehteams für Radauszenen bezahlt. Oder Schüler bekamen Geld, um angebliche Alkoholgelage auf Pausenhöfen zu zeigen.

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung fiel vor wenigen Jahren auf den Journalisten Tom Kummer herein, der Interviews mit Prominenten gefälscht hatte. Die Süddeutsche dokumentierte das Fiasko ihres Magazins damals selbstkritisch auf zwei Seiten. Autor Kummer wehrte sich, wollte kein Lügenbaron gewesen sein, sondern er sprach rechtfertigend von »Borderline-Journalismus.«

Das Verweisen auf Einzelfälle wie Michael Born, Tom Kummer oder neuerdings Jayson Blair von der New York Times führt jedoch in die Irre. Es gibt, zumindest in Deutschland, viel zu viel Borderline-Journalismus, über den viel zu wenig geredet wird.

Die Zusammenhänge zwischen Text und Inseraten werden immer dichter, und an peinlichen Geschichten über komplizenhafte Verstrickungen zwischen Politikern, Wirtschaftsführern und Journalisten herrscht kein Mangel. »Ein Schmiergeld namens Nähe«, hat vor Jahren ein Kollege über den Hauptstadtjournalismus geschrieben. Die ganz gewöhnliche Korruption greift eben auch im Journalismus um sich.

»Machtfaktoren«, schrieb der Medienwissenschaftler Hermann Boventer »sind die Medien nicht nur als Hersteller von Öffentlichkeit und Foren der öffentlichen Meinung, sondern in dem, was sie als wirklich und Wirklichkeit ausgeben.«

Wirklichkeit? Oder nur Wahrnehmung? Oder doch nur Borderline? Dass sich einer von Fakten entfernt und von Fiktionen lebt, ist ja völlig in Ordnung. Er darf es nur nicht als Journalist machen, sondern sollte einen Roman schreiben, ein Musical, ein Theaterstück.

Journalismus aber lebt von dem Versuch, sich der Wahrheit zu nähern. Der Reporter muss versuchen, dem Zuschauer, Zuhörer oder Leser die bestmögliche Beschreibung der Realität zu liefern – auch in dem Wissen, dass man niemals die komplette Wahrheit aufdecken kann. Dazu gehört es beispielsweise, alle Betroffenen zu Wort kommen zu lassen, wenn sie das wollen. Einige Blätter in den USA und der Spiegel hierzulande haben große Dokumentationsabteilungen, die versuchen, Fakten zu prüfen. Das bewahrt nicht vor Fehlern, aber doch in der Regel vor Katastrophen.

Das Bemerkenswerteste am Fall des jungen Reporters Jayson Blair von der New York Times ist der Umstand, dass er schwindeln und Zitate erfinden konnte, ohne dass es bei den Betroffenen einen Aufschrei gab. Wenn Leser einer so großen und angesehenen Zeitung nicht mehr enttäuschbar sind, dann steckt das ganze Gewerbe in der Krise.