Intoleranz vereint

Eine Studie des Zentrums Demokratische Kultur zeigt, wie verbreitet Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus im Alltagsleben in Friedrichshain und Kreuzberg sind. von astrid geiermann

Setz dich nicht neben den Zigeuner, der hat Läuse!« »Judenschweine!« »Brikett!« »Nigger!« »Amerikaner!« »Lasst uns nicht mehr Coca Cola trinken, weil Coca Cola gehört den Juden und hat so viele schädliche Sachen. Das wird von den Juden absichtlich gemacht, um die Welt zu verseuchen.« Die Reihe solcher Zitate ließe sich fortsetzen. Wer könnte angesichts dieser Beleidigungen und Beschimpfungen mit Sicherheit sagen, von wem sie geäußert wurden? Von Rechtsextremen, von ganz »normalen« Deutschen, von Migranten, von Islamisten?

Die Zitate stehen beispielhaft für einen Umgangston, der in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain gepflegt wird. Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus sind dort Phänomene des Alltags, wie eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie des Zentrums Demokratische Kultur belegt. Die Absicht dieser Studie war es, »demokratiegefährdende Phänomene« aufzuzeigen, wie es sehr zivilgesellschaftlich heißt, und mögliche Gegenstrategien vorzuschlagen.

Neben offenen und verdeckten Beobachtungen und Medienberichten analysiert die Studie vor allem 125 Interviews, die an Schulen, in Jugendclubs, in Kneipen und auf Plätzen im Laufe eines Jahres geführt wurden. Ideologisch geprägte Weltbilder setzten sich im »sozialen Nahraum« in die Tat um, erklärte Bernd Wagner, ein Mitarbeiter des Zentrums, während der Vorstellung der Studie in der vergangenen Woche. Der Kneipenabend sei dabei ebenso wichtig wie der Gang durch die Straße, der Alltag in den Schulen oder das Vorgehen der Polizei.

Die Studie wurde in zwei Teile gegliedert. Denn spielen in Friedrichshain vor allem rechtsextreme Strukturen eine große Rolle, so wandte man sich in Kreuzberg vor allem dem Problem des Islamismus zu. Hier wie dort aber seien es Alltagsphänomene, die beunruhigen sollten, lautet ein Resultat.

Zwar seien in Friedrichshain feste rechtsextreme Strukturen, anders als erwartet, kaum vorhanden. Es fänden sich aber Ansätze einer von Rechtsextremen dominierten Jugendkultur. Es gebe No-Go-Areas, in denen sich nicht jeder frei bewegen könne, erklärten Betroffene in den Interviews. Das größte Problem stelle der Alltagsrassismus dar, der vor allem Schwarze betreffe, erklärte Dierk Borstel, der diesen Teil der Studie betreute.

In Kreuzberg hingegen bestehe die Gefahr, dass sich Parallelgesellschaften bildeten, in denen die Demokratie und der Pluralismus abgelehnt würden. Mithilfe der Religion werde ein Verhalten propagiert, das »liberale Ansichten verbietet«, sagte Claudia Dantschke, die die Untersuchung in Kreuzberg durchführte. Das reiche bis zum Verbot des Besuchs von Kneipen, in denen Alkohol ausgeschenkt werde, was nach dem Koran nicht erlaubt ist.

Viele Gesprächspartner schilderten ihren Eindruck, dass sich in Kreuzberg »islamisierte Räume« bildeten. Dabei wirkten sich solche Tendenzen in erster Linie auf Muslime selbst und auf Frauen aus. Liberale Muslime müssten um ihre Kunden bangen, bestritten sie die politisierte Interpretation des Islam. In manchen Schulen werde ein verstärkter Druck auf muslimische Mitschüler ausgeübt, dem vorgegebenen Verhaltenskodex zu entsprechen. In manchen Gegenden müssten Frauen mit Beleidigungen rechnen.

Diese Darstellung des Islamismus und des Antisemitismus in der migrantischen Community in Kreuzberg birgt allerdings die Gefahr in sich, bestehende Ressentiments gegenüber Türken, Arabern oder Muslimen zu verfestigen. Migranten äußerten nach der Veröffentlichung der Studie die Sorge, dass Deutsche sich in dem Wissen, das sie immer schon über die »Anderen« zu haben glaubten, bestätigt sehen und noch weniger bereit sein könnten, über Diskriminierung und Ausgrenzung nachzudenken.

Der Rassismus in den migrantischen Gemeinschaften dürfte dabei das Weltbild der Deutschen weniger stören. Die dort anzutreffenden Hierarchien sind vielen Deutschen nicht fremd. »Es ist ganz plump«, beschreibt es eine Interviewte: »Die Türken fühlen sich besser als die Araber, die Polen fühlen sich besser als die Türken.« Und Schwarze hätten es am schwersten.

»Wer böswillig ist, kann die Ergebnisse der Studie instrumentalisieren«, fürchtet auch Claudia Dantschke. Die Neigung, hier die Deutschen zu sehen und dort die »Anderen«, erhelle die Phänomene nicht. Vielmehr müsse man den Antisemitismus, den Rassismus und den Islamismus kritisieren und zugleich die ausgrenzenden Mechanismen vermeiden, die eine sachliche Diskussion erschwerten. So sei die kulturalistische Interpretation des Islams auch ein Teil des Problems und führe zu einer Homogenisierung der Muslime trotz ihrer vorhandenen politischen Differenzen. Es baue sich eine »Opferhaltung« auf, »jede Durchsuchung einer Moschee wird als ein Angriff auf den Islam« interpretiert, erläuterte Dantschke.

Eine andere Variante des kulturalistischen Blicks bestehe aber in der Verharmlosung antisemitischer und islamistischer Tendenzen. Dabei betonen die Autoren der Studie, dass Antisemitismus nicht nur bei Islamisten zu finden sei. »Es gibt ein antisemitisches Milieu in Kreuzberg, aus dem heraus Einzelne agieren können, ohne dass sie agitiert werden müssen«, meint Dantschke. Eine über den Islam vermittelte Identifikation mit den Palästinensern könne der Ausgrenzung in der deutschen Gesellschaft genauso geschuldet sein, wie sie unabhängig von ihr erfolgen könne.

Es falle auf, dass die verzerrte Interpretation des Nahostkonflikts den deutschen Debatten in vielen Punkten gleiche. »Wortführer, ob Deutsche oder Migranten, verstecken ihren Antisemitismus hinter der vermeintlichen Kritik an Sharon, dem Zionismus oder Israel«, erklärt Dantschke. Diese den deutschen Verhältnissen angepasste Form des Antisemitismus müsse also auch in einem deutschen Kontext gesehen werden und lasse sich nicht als ein fremdes Phänomen verstehen.