Blut für Europa

EU-Intervention im Kongo von anton landgraf

Selten gab sich ein Machtpolitiker mit globalen Ambitionen so bescheiden. Der französische Präsident und Gastgeber Jacques Chirac präsentierte sich in Evian als guter Patron, der sich nicht nur für Absatzmärkte und Rohstoffquellen, sondern vor allem für das Schicksal der Armen im südlichen Afrika interessiert. Bereits vor dem Gipfel wurde er nicht müde zu betonen, dass der Nord-Süd-Dialog gerade auch im Hinblick auf die zahlreichen Globalisierungsgegner eine zentrale Rolle für ihn spiele. Deshalb lud er fünf afrikanische Staatschefs zu den Beratungen ein.

Doch in Evian ging es nicht nur um den Kampf gegen Aids, Verschuldung und Wassermangel. Im Vordergrund stand vor allem die »Sicherheitsarchitektur« des Kontinents, wie es die Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, Uschi Eid, formulierte.

Bereits vor dem Wochenende hatte sich die Regierung in Paris bereit erklärt, die Führung der geplanten robusten Eingreiftruppe für den Kongo zu übernehmen. Der multinationalen Truppe, die der ein Mandat zum präventiven Einsatz von Gewalt erhalten soll, will sich auch die Bundesregierung »nicht verweigern«, wie die SPD-Verteidigungspolitikerin Verena Wohlleben am Wochenende meinte.

Tatsächlich ist Frankreich für die Intervention im südlichen Afrika prädestiniert wie kaum ein anderes Land, Belgien vielleicht ausgenommen. Mehrere Dutzend Male hat die Pariser Regierung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in dem Kontintent eingegriffen, zumeist als Reaktion auf die »Hilferufe« befreundeter Regime. Kaum ein afrikanischer Despot, der nicht auf die ehemalige Kolonialmacht zählen konnte – vorausgesetzt, die Interessen französischer Konzerne und die Staatsräson kamen nicht kurz.

Grotesk wirkt daher der jüngste Vorschlag von Jürgen Habermas und Jacques Derrida, dass die Welt nun ausgerechnet am alten Europa genesen soll. In ihrem Essay über die »Wiedergeburt Europas«, der am Wochenende in der FAZ erschienen ist, plädieren sie dafür, dass Berlin und Paris ihr »Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen« sollen, um den »hegemonialen Unilateralismus der Vereinigten Staaten auszubalancieren«. Das »avantgardistische Kerneuropa« solle als »Lokomotive« für eine eigenständige EU-Politik dienen, »der sich die anderen Mitglieder (…) nicht auf Dauer werden entziehen können«. Gleichzeitig unterstützten unter anderem Umberto Eco in La Repubblica und Adolf Muschg in der NZZ den Aufruf. Auch in El Pais und Libération erschienen ähnliche Appelle.

Für die Europäer kommt die Reise in den Kongo gerade zur rechten Zeit. Kerneuropa kann damit seine ehrgeizigen Pläne – eine eigenstängige Außenpolitik und militärische Einsätze unabhängig von der Nato – voranbringen. Während die USA im Mittleren Osten dominieren, übernimmt die EU nun in Afrika die Initiative.

Der größte Erfolg der Kerneuropäer besteht allerdings darin, dass es ihnen gelingt, ihre Machtpolitik als zivilgesellschaftliche Alternative zur Hegemonie der USA zu präsentieren. Nichts könnte diesen Propagandatriumph besser ilustrieren als die Tatsache, dass die linksliberale Öffentlichkeit zwischen Madrid und Frankfurt angesicht der Option »Blut für Europa« in schiere Euphorie verfällt.