Das große Fressen

Ein »erweiterter Dialog« mit den Ländern des Südens soll das angeschlagene Image der G 8-Staaten verbessern. von alex veit, evian
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Die G 8 hat nie versucht, das Treffen einer Weltregierung zu sein«, erklärte der französische Präsident Jacques Chirac voller Bescheidenheit am vergangenen Wochenende in Evian. Offenbar sind die Slogans der Demonstranten, welche die G8 als »illegitim« oder, so der radikalere Teil der Protestbewegung, als »illegal« bezeichnen, bei ihm angekommen. Die durch den elitären Anspruch der jährlichen Zusammenkunft der Staatschefs der sieben reichsten Länder und Russlands hervorgerufene Legitimitätskrise besteht schon seit einiger Zeit. Seit dem Treffen in Genua vor zwei Jahren glauben sie, eine Lösung gefunden zu haben.

Während 2001 einige afrikanische Politiker teilnehmen durften, um ihre »Neue Partnerschaft für Afrikanische Entwicklung« (Nepad) vorzustellen, sollte in diesem Jahr am Genfer See ein »erweiterter Dialog« helfen, das schlechte Image der G 8 als geschlossene Gesellschaft der Mächtigsten abzuschütteln. Deshalb waren auch die Oberhäupter von einem Dutzend Staaten des Südens nach Evian eingeladen – wenn auch nur für ein erweitertes Mittagessen.

»Die Idee ist nicht, uns eine spezifische Legitimition zu verschaffen, sondern unseren Horizont zu erweitern«, fasste Chirac den ersten Tag des bis gestern dauernden Treffens zusammen. »Ich habe das Gefühl, die Teilnehmer der G 8 würden morgen anders an die Probleme herangehen, wenn es den erweiterten Dialog nicht gegeben hätte.« Mehrmals betonte Chirac, dass auch der amerikanische Präsident George Bush sich überlegen solle, solch einen Dialog zu organisieren, wenn er im nächsten Jahr Gastgeber der G 8 sein wird.

Trotz dieser kleinen Spitze gegen die in seinen Augen unipolare Politik der USA versuchte der französische Präsident, ein Bild der Einigkeit zwischen den Gegnern und Befürwortern des Irakkriegs zu zeichnen. Dafür eignete sich die ohnehin am Anfang des Treffens im Vordergrund stehende Entwicklungspolitik. Die bereits einige Monate alte Ankündigung von Präsident Bush, in den nächsten Jahren 15 Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung von Aids auszugeben, nannte Chirac »historisch«. Nach Angaben des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki haben die europäischen G 8-Staaten am Sonntag versprochen, in Zukunft eine Milliarde US-Dollar pro Jahr an den globalen Aidsfonds auszuzahlen. Chirac deutete vor der Presse ebenfalls an, dass die EU die amerikanischen Mittel »aufwiegen« werde.

Damit erfüllen die EU-Staaten aber ohnehin nur eine bereits bestehende Verpflichtung. Der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkolose wurde vor zwei Jahren in Genua eingerichtet. Wegen der schleppenden Einzahlungen droht der Fonds nun im Oktober bankrott zu gehen, obwohl er als die einzige wesentliche globale Initiative gegen die Ausbreitung des HI-Virus gilt.

Abgesehen von der vagen Zusage der EU hat sich für die nach dem »erweiterten Dialog« zu einem Mittagessen eingeladenen Präsidenten aus dem Senegal, aus Algerien, Südafrika und Nigeria, die als die Architekten der Nepad-Entwicklungsinitiative gelten, nichts aus dem G 8-Treffen ergeben. Ein von den Afrika-Beauftragten der G8-Regierungen vorgelegter Bericht über die Fortschritte der Initiative resümierte vor allem die Erfolge bei der Schuldenreduzierung für afrikanische Staaten, versprach wiederum Hilfe beim Aufbau einer afrikanischen Interventionstruppe und zog insgesamt eine überaus positive Bilanz des Engagements des »Afrika-Aktionsplans«, der 2002 im kanadischen Kananaskis beschlossen worden war.

Der Bericht, der unter anderem vom Afrika-Beauftragten Chiracs und früheren Präsidenten des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus, verfasst worden ist, verstieg sich gar zu der etwas zu optimistischen Formulierung, dass nur »in einigen Fällen die Menschenrechte, ökonomischen Möglichkeiten und politischen Freiheiten« der Bevölkerung Afrikas »noch immer behindert werden«.

»Dank der G 8 können wir afrikanische Themen den wichtigsten Staatschefs der Welt vortragen«, erklärte Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo seine Bereitschaft, in diesem Jahr zum dritten Mal vorstellig zu werden. Wie vor ihm bereits Chirac betonte Obasanjo, dass die Nepad-Initiative eine Innovation sei, da es sich nicht mehr um eine »Hilfe« der westlichen Staaten an die verarmten Afrikaner handele, sondern vielmehr um eine »Partnerschaft«.

Auch wenn dieser semantische Schwenk mehr sein sollte als bloße Rhetorik, so handelt es sich jedenfalls um eine sehr ungleiche Beziehung. Denn noch immer ist ein Schuldenerlass für die Länder des Südens das wichtigste Mittel, um zu einer tatsächlichen Verbesserung ihrer ökonomischen Situation beizutragen. »Die bisherige Schuldenreduzierung hat keinerlei Auswirkung gehabt«, fasste Obasanjo zusammen. Auch bei den Protesten gegen das Treffen war ein Schuldenerlass die wichtigste Forderung.

Während die afrikanischen Staatschefs trotz der ausbleibenden finanziellen Unterstützung eine positive Bilanz ihrer Zusammenarbeit mit den G 8-Staaten zogen, setzte der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva durchaus neue Akzente. Er schlug vor, eine globale Steuer auf Waffenverkäufe zu erheben, mit deren Erträgen die weltweite Unterernährung bekämpft werden könnte. Mit diesem Vorschlag hat er beim französischen Präsidenten wohl einen Nerv getroffen. Chirac erklärte im Anschluss an das Gespräch mit Lula, dass jeder Mensch täglich drei Mahlzeiten zu sich nehmen sollte. Alles andere sei »inakzeptabel«. Gleichzeitig umging Chirac wortreich Themen wie die europäischen Agrarsubventionen oder Möglichkeiten, aus globalisierten Transaktionen entstehende Profite umzuverteilen.

Genau solche Profite soll es in Zukunft auch dank der Liberalisierung der Wasserindustrie geben, die nach den Wünschen der EU beim Treffen der Welthandelsorganisation im September im mexikanischen Cancun in den Gats-Vertrag aufgenommen werden soll. Gegen diese Pläne, die vor allem von Frankreich und Deutschland forciert werden, richtet sich ein starker Widerstand sowohl aus zivilgesellschaftlichen Gruppen als auch aus anderen EU-Staaten. Trotz der Ankündigung Chiracs, auf dem Gipfel in der durch die gleichnamige Mineralwassermarke bekannten Stadt Evian das Thema Wasser in den Vordergrund zu stellen, wurde ein angekündigter »globaler Wasserplan« bis zum Sonntagabend nicht veröffentlicht.

Bereits im Jahr 2000 wurde im Rahmen der UN vereinbart, bis 2015 die Zahl der Menschen ohne sauberes Trinkwasser um die Hälfte zu senken. Die Forderung der EU, die Wasserversorgung zu liberalisieren, steht diesem Ziel aber offensichtlich entgegen. Mit den französischen Konzernen Vivendi und Suez sowie der deutschen RWE stammen die drei größten in diesem Bereich tätigen Firmen aus der EU. »Je länger wir an diesem Thema gearbeitet haben, desto mehr haben wir begriffen, dass ohne dieses Ziel andere Entwicklungsziele nicht erreicht werden können«, erklärte Michel Camdessus im Namen der französischen Gastgeber in Evian, ohne auf die Kritik an den EU-Plänen eingehen zu wollen.

Die Proteste gegen das G8-Treffen konnten auch durch die deutliche Betonung humanitärer Themen nicht verhindert werden. 50 000 bis 120 000 Menschen nahmen an Demonstrationen und Blockaden gegen die von einem Großaufgebot an Militär und Polizei gesicherte Zusammenkunft teil. Es ist anzunehmen, dass diese Bewegung sehr viel mehr zur bislang rhetorisch gebliebenen »Reflexion« der G 8 beigetragen hat, als ein halbtägiger »erweiterter Dialog« mit den zu einem beträchtlichen Teil autokratisch regierenden Staatschefs aus den Ländern des Südens.