Valéry, der Tolerante

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Für »Verdienste um die Völkerverständigung« wird alljährlich der nach dem namentlichen Großen benannte Karlspreis der Stadt Aachen verliehen. Am vergangenen Donnerstag erhielt der von 1974 bis 1981 amtierende französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing den Preis. Vor allem wird VGE geehrt, weil er der Präsident des Europäischen Konvents ist, der gerade eine Verfassung für die EU-Staaten ausarbeitet.

Aber auch, wenn es um die Völkerverständigung geht, kann sich VGE sehen lassen, vor allem um die mit Afrika. VGE zeigte in seiner Amtszeit ungeheuer viel Verständnis für einen prominenten Vertreter des Kontinents: für den von sich selbst gekrönten Kaiser der Zentralafrikanischen Republik, die anschließend halt keine Republik mehr war, Jean-Bédel Bokassa. Als er auf dem Thron saß, legte er zwar gewisse Eigenheiten im Umgang mit Kritikern an den Tag, hartnäckige Gerüchte sprachen gar von kannibalischen Praktiken. Aber Bokassa war ein treuer Verbündeter Frankreichs, also waren VGE und seine Kollegen tolerant. Als von Bokassa persönlich überreichte Diamanten den Hals der Gattin Giscard d’Estaings zierten, kam es aber doch einmal zu einem kleinen Skandal.

Aufgeschlossenheit bewies VGE auch innenpolitisch. 1998 etwa wollte er die Bündnisse konservativer Politiker mit den Neofaschisten des Jean-Marie Le Pen nicht verurteilen. Auch ist er tolerant, und von der extremen Rechten unterscheidet ihn immerhin, dass er an die Notwendigkeit der Europäischen Union glaubt. Und das reicht allemal für den Karlspreis.

bernhard schmid