Baden in Gruppen

Was passiert in einem Camp von Globalisierungsgegnern? anja martin hat sich in Evian umgeschaut

Geschlossen rücken sie vor, Schweißtropfen auf der Stirn, die Augen unerschrocken nach vorn gerichtet und skandieren »G – 8 – il – le – gal.« Mit jedem Schritt werden sie sicherer, Umstehende jubeln. Einer zupft sich das Tuch unterm Kinn zurecht, damit es bei der ersten Tränengassalve sitzt. Die Nachbarin umklammert die halbe Zitrone in der Tasche, versichert sich noch mal, dass die Telefonnummer für den Fall der Festnahme auf dem Unterarm nicht verwischt ist. Vereinzelt baumeln Schwimmbrillen. Alle Mobiltelefone sind abgeschaltet, ruhen wasserwerfergeschützt in ihrem Kondomüberzug, die Nummernverzeichnisse sind vorsorglich gelöscht. Zusammen bleiben, keine Panik.

Plötzlich verstummen alle und setzen sich gleichzeitig hin. Schneidersitz, einhaken. Suchende Blicke: Alle da aus der Bezugsgruppe? Manche tun sich schwer mit dem Gesichter ausmachen, Kontaktlinsen mussten im Zelt bleiben. Die Sonne brennt. Niemand hat Sonnenöl aufgetragen, weil sich darin Tränengas anreichert.

Lange Hosen, feste Schuhe, keine Spaghettiträger – man trägt betont bunt, alles nur nicht schwarz wie der »Black Block«. Was kommt jetzt? Wasserwerfer, Tränengas, Schock- oder Blendgranaten, Schlagstockeinsatz? Da, ein lautes Klatschen. »Okay, gut gemacht, well done.« Ein junger Rastaträger löst das Sit-in auf, nicht die Polizei. Denn diese Blockade ist nur eine Übung für den Ernstfall. »Wir treffen uns in zehn Minuten vor dem Forumzelt zur Nachbesprechung.«

Im »Intergalactique Village« in Annemasse, 35 Kilometer vom Tagungsort des G 8-Gipfels in Evian entfernt, gehört Sicherheitstraining für Neulinge zum Alltag. Außerdem auf dem Programm stehen Bezugsgruppenbildung und SprecherInnenrat, Strategiebesprechung und Konsensfindung. Viele sind das erste Mal auf einem Gipfel, wissen gerade mal, was ein Kessel ist. Für 60 Euro ein Wochenende am Genfer See, Campen umsonst, das Essen zum Selbstkostenpreis, jede Menge spannende Leute und Samstagabend spielt Manu Chao – gratis. Andere fliegen für den Preis auf die Kanarischen Inseln. Aber zu erzählen haben sie nichts.

Was vielen den Einstieg in die Welt der Proteste erleichtert, ist ein prominenter Name. Attac eint zumindest für die Gipfeltage IG-Metall-Jugend, Verdi und Linksruck-Leute, Abiturienten, Philosophie- und BWL-Studenten, PDS und NGO, Umweltaktivisten und Lateinamerika-Sprecher, Sozialisten, Kommunisten und die vielen Gruppenlosen, die nur den Attac-Bus für die Anfahrt nutzen. Die größte und international organisierte Gruppe der Globalisierungskritiker hat sich den unbedingt friedlichen Widerstand auf die Fahnen geschrieben. Attac würde nie ein ungenehmigtes Camp errichten, hält sich an Abmachungen mit den Behörden, duldet keine Militanten, misstraut spontanen Aktionen und macht lieber durch Theatralisches von sich reden. Etwa mit der Badeaktion im Genfer See, bei der Attac-Leute vor versammelter Presse eine aufblasbare Weltkugel retteten.

»Ihr seid acht, wir sind sechs Milliarden«, lautet eine häufige Parole. Die Masse zählt, und deswegen geht für Attac auch die symbolische Hauptdemo vor Blockadeaktionen. Nie würden sie die rote Zone stürmen. Das gibt Neulingen das gute Gefühl, wieder sicher nach Hause zu kommen von ihrem Wochenendausflug mit Happeningcharakter.

Im »Intergalactique Village« räkelt man sich im Schatten der Chill-Out-Zone, leistet sich kaltes Bier von der Bar oder ruft im Medienzelt E-Mails ab. Und alle treffen sich beim »Mampfmobil« aus Leipzig oder in der Biozone, wo das niederländische Kochkollektiv Rampenplan vegan kocht. An einem anderen Stand, 20 Meter weiter, bruzzeln französische Bratwürstchen. Die paar Aktivisten, die unermüdlich zu diskutieren und agitieren versuchen, werden von den meisten nervig gefunden.

Der typische Gipfelgänger will dabei sein, dagegen sein und seinen Spaß haben – ohne leidige Diskussionen. Passend dazu war das Camp zur Logo-freien Zone erklärt worden. Einzig das Greenpeace-Zelt war als solches zu erkennen und vereinzelt wehten rote Fahnen. Allein bei der langen Liste an Organisationen, die bei Attac Mitglied sind, ist das Verbot nachvollziehbar. Wer möchte schon beladen mit Juso-, Bund- oder Pax Christi-Broschüren den Heimweg antreten? Geplant war, das Camp in thematische oder sprachliche Einheiten aufzuteilen, die für sich kochen, Aktionen planen und Delegierte fürs koordinierende Gremium wählen sollten. Doch am Großteil der Camper geht diese Struktur völlig vorüber.

Nur durch ein schmales Waldstück von den institutionalisierten Antiglobalisierern getrennt ist das zweite große Camp. Punk schallt über den Platz, Hunde bellen, die Bar scheint schnell zusammengezimmert. Löchrige Plastikplanen spannen sich über Essplätze, eine Solarzelle heizt einen Kübel Wasser für die Dusche aus Bretterverschlägen. Um zu verhindern, dass die PDS hier einen Infostand aufbaut, ist kein Logoverbot notwendig. Das gemeinsame Ziel ist klar: Stören und den Gipfel behindern. Für den Gegengipfel in Genf haben sie keine Zeit, an langatmigen Diskussionen sind auch sie nicht interessiert. Auch nicht an symbolischen Aktionen. Sie sind nicht hergefahren, um mit Badekappen bewaffnet im Genfer See zu planschen.

In den Campnamen haben die Organisatoren so viele As wie möglich gepackt: VAAAG steht für »Village alternatif, anticapitaliste, anti-guerre«. Auf keinen Fall möchte man sich von der Sozialdemokratie vereinnahmen lassen. Die Gewaltfrage ist hier keine Grundsatzfrage. Man will sich nicht wehrlos von der Polizei verprügeln lassen oder den Kopf bei Sit-ins hinhalten. Und das Schaufenster einer Bank ist nun mal etwas anderes als das eines kleinen Tabakladens. Aber die nächtlichen Ausraster der ortsansässigen Kids in Genf wollen die weit gereisten Autonomen nicht auf ihre Kappe nehmen.

Dass fröhliche Attac-Aktivisten und kämpferische Antikapitalisten zusammen vorgehen, kommt selten vor. Ein Ausnahmebeispiel auf dem G 8-Gipfel war die Blockade der Straße nach Evian. Steinewerfer hielten die Polizeikette auf Abstand, die karnevaleske Aktionsgruppe Pink & Silvers rollte Müllcontainer mit Wasser vor die Barrikaden, damit die Militanteren die Tränengaskartuschen einsammeln und darin ersticken konnten. Unscheinbar gekleidete Demonstranten trugen gemeinsam mit Vermummten Holz zu den brennenden Barrikaden und Sambatrommler gaben den Rhythmus vor, während im Hintergrund unbehelligt das Delegiertentreffen der Bezugsgruppen tagte. In spontaner Begeisterung stürzte sich ein Teil der Gruppe auf dem Rückweg in die Pools eines Schwimmbadverkäufers. Die Frage, wer aus welcher Ecke kommt, war spätestens jetzt keine mehr.

»Ja zum Kampf, ja zur Party«, hieß eine Parole auf der autonom-libertären Seite. Für sie haben Gipfel genau so Eventcharakter bekommen wie für Attac. Wer einmal dabei war, kommt wieder. Dafür lässt sich die globalisierungskritische Bewegung den Vorwurf des Gipfelhoppings gefallen. Schon bald ist sie ganz nah dran an ihrem touristischen Vorläufer, dem Inselhopping in der Ägäis. Wenn sich am 20. und 21. Juni in Griechenland die EU-Staats- und Regierungschefs zum nächsten Gipfel treffen, dürfen die Schwimmbrillen nicht fehlen.