Kritik der Waffen

Atomar aufrüsten, Südkorea und den USA mit Krieg drohen und die eigene Bevölkerung hungern lassen: Ist Nordkorea eigentlich noch zu retten? von christian karl, seoul

Manchmal dauert es etwas, bis man begreift, dass auch das offensichlich Unspektakuläre eine Menge Brisanz enthält. So wird erst jetzt klar, welche Folgen die Visite des südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-hyon in den USA im Mai hatte. Es scheint nämlich, als stehe ein Strategiewechsel der südkoreanischen Politik gegenüber der Demokratischen Volksrepublik Korea bevor.

Vor noch nicht allzu langer Zeit versprach Roh der Öffentlichkeit, man werde – selbst wenn Nordkorea über Atomwaffen verfüge, was ganz und gar nicht im Sinne Südkoreas sei – sich an keinerlei Sanktionen gegen den Nachbarstaat beteiligen. Doch am letzten Besuchstag in Washington meldeten alle großen südkoreanischen Zeitungen, dass die Regierung Sanktionen nicht mehr ausschließen könne. Roh sagte: »Wir brauchen effektive Druckmittel gegen die Politik des Nordens.« Zwar sei man noch immer der Meinung, dass die Nuklearkrise mit friedlichen Mitteln zu lösen sei, aber auszuschließen sei nichts mehr. Die Los Angeles Times berichtete, Roh habe George W. Bush explizit darum gebeten, nicht ein für alle Mal auf die Drohung mit Militärschlägen zu verzichten.

Die südkoreanische Öffentlichkeit reagierte entrüstet. Joo Bong-hee von der Koreanischen Konföderation der Gewerkschaftsverbände (KCTU) sprach von »Kriegstreiberei«. Hatte doch die Rodong Shinmun, das nordkoreanische Zentralorgan der Partei der Arbeit, vor kurzem noch erklärt, dass Sanktionen als Kriegserklärung angesehen und »entsprechende Gegenmaßnahmen« ergriffen würden.

Während Südkorea noch über Sanktionen diskutiert, ist man in den USA schon einen Schritt weiter. Der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld denkt zurzeit öffentlich darüber nach, wie das Regime in Pyöngyang am besten zu stürzen ist. Das berichteten jedenfalls übereinstimmend die in Hongkong erscheinende Asia Times und die International Herald Tribune in der letzten Maiwoche.

Bereits im vergangenen Oktober hatte Nordkorea gegenüber den USA zugegeben, an einem geheimen Nuklearprogramm zu arbeiten. Daraufhin stellte die Regierung Bush alle Hilfe mit Ausnahme der Lebensmittellieferungen ein, Nordkorea wiederum verwies das Überwachungsteam der Internationalen Atomenergiebehörde des Landes und stieg aus dem Atomwaffensperrvertrag aus. Koreanische Diplomaten äußerten im Laufe der Dreiergespräche im April in Peking gegenüber der US-Delegation, dass bereits zwei Atomsprengköpfe produziert worden seien und man deren Existenz auch gerne beweise. Die Staatsführung ließ dabei offen, ob als Beweis ein Atomwaffentest in Frage komme.

Seither provoziert Nordkorea, so gut es geht. Die Rodong Shinmun droht Südkorea unverhohlen mit »ernsten und katastrophalen Konsequenzen«, sollte das Land weiterhin die Pläne der USA unterstützen. Die bilateralen Gespräche wurden vorläufig beendet und nahezu im Stundentakt verletzen nordkoreanische Fischerboote die Demarkationslinie im Gelben Meer. Die südkoreanische Marine vertreibt sie mit Maschinengewehrsalven.

Eine Delegation von US-Parlamentariern wurde in Pyöngyang darüber unterrichtet, dass mittlerweile fast alle der gebrauchten 8 000 Nuklearbrennstäbe wieder aufbereitet seien. Sollte sich das als wahr erweisen, könnte das Land nach Berechnungen von Experten in den kommenden Monaten in der Lage sein, sechs neue Nuklearsprengköpfe zu produzieren. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz scheint die Drohungen ernst zu nehmen und kündigte während eines Besuches in Seoul zuletzt eine groß angelegte Umgruppierung der eigenen Streitkräfte in Südkorea an, damit sie sich im Fall eines »notwendigen Präventivschlags« nicht mehr in der Reichweite der zu erwartenden Vergeltungsschläge befinden.

Die politische Spannung steigt, und das bekommt wegen seiner Äußerungen vor allem der südkoreanische Präsident zu spüren. Am 18. Mai wollte Roh an einer Zeremonie zu Ehren der Opfer des Massakers in Gwangju teilnehmen, wo die Armee vor 23 Jahren hunderte Studenten ermordete. Mehr als 1 000 Studenten und Gewerkschafter hinderten ihn am Betreten des Friedhofes, er musste schließlich den Hintereingang nehmen. Die Demonstranten wollten damit ihren Protest gegen die neue »Konfrontationspolitik« zum Ausdruck bringen, so Kim Yung-chan, der Sprecher der Jugendorganisation All Together. Mit einer ähnlichen Begründung lehnte die Hälfte der geladenen Gäste eine Einladung Rohs zu einem Bankett zu Ehren der ermordeten Studenten ab.

Ein breites Bündnis von über 600 politischen Gruppen und Organisationen hat sich mittlerweile zusammengefunden, um gegen die ständige Zuspitzung der Situation auf der koreanischen Halbinsel zu protestieren. Seit Ende Mai werden Kasernen der US-Streitkräfte blockiert und an den Wochenenden kommt es immer wieder zu Antikriegsdemonstrationen. Sie sollen bis zum 13. Juni fortgesetzt werden, der mit einer Massendemonstration den Höhepunkt der Kampagne markieren soll.

Dann soll der Schülerinnen, die vor einem Jahr bei einem von US-Soldaten verursachten Verkehrsunfall getötet wurden, gedacht werden. Vor allem aber soll gegen die Politik der USA demonstriert werden, die Veranstalter rechnen mit einer Million Teilnehmer. Joh Ji-yeong, Mitglied der Minju nodong-dang (Demokratische Arbeitspartei), will aber noch mehr: »Natürlich werden wir auch an den Norden appelieren, endlich von seinen Nuklearambitionen Abstand zu nehmen. Die sollten sich lieber um das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung kümmern. Die einfachen Nordkoreaner haben kaum etwas zu essen, aber das Regime will Atombomben bauen. Das ist doch einfach nur absurd, wenn nicht gar kriminell.«

Damit dürfte sie richtig liegen, denn die Nachrichten, die man aus Nordkorea erhält, sind nicht unbedingt aufmunternd. So soll, Angaben des in Seoul ansässigen Instituts für Nationale Wiedervereinigung zufolge, die nordkoreanische Volksarmee die Mindestgröße seiner Rekruten von 1,50 Meter deutlich gesenkt haben. Wenn das zutrifft, dann muss ein Teil der Bevölkerung durch die chronische Mangelernährung dauerhaft geschädigt sein.

Norbert Vollertsen, Mitglied einer in Nordkorea tätigen NGO, weist auf weitere Aspekte des sozialen Zerfalls hin. Die Lage der Bevölkerung soll sich so sehr verschlechtert haben, dass selbst die bisher priviligierten Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen nur noch sporadisch Lebensmittelrationen erhalten.

Außerdem machten mittlerweile selbst Staatsangestellte wie Bürgermeister kleinerer Städte und Krankenhausdirektoren recht offen Kim Jong-ils Devise »Die Armee Zuerst« für die katastrophale Situation im Lande verantwortlich.

Dazu sagt Choi Jin-seong, Filmemacher und Mitorganisator des Human Rights Film Festivals in Seoul: »Die im Norden können überhaupt keine Bedrohung darstellen. Wenn diese Geschichten der Wahrheit entsprechen, dann werden die Soldaten der Volksarmee einige Mühe damit haben, ihre Gewehre zu schleppen.«