Riesenstaatsmann Mümmelmann

Mit Schirm, Show und Ressentiments machte Jürgen W. Möllemann eine außerordentliche Karriere. Auf den Inhalt der Politik kam es ihm nicht an. von martin krauss

Mit einem Handschlag begrüßte am vergangenen Donnerstag ein grüner Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag seinen früheren Fraktionskollegen Jamal Karsli. Der antwortete leise: »Danke.« Er verstand die alltägliche Geste als Beileidsbekundung.

Jamal Karsli personifiziert die größte Fehlentscheidung des FDP-Politikers Möllemann. Angetrieben von dem Versuch, aus der FDP eine von mindestens 18 Prozent der Deutschen gewählte Volkspartei zu machen, holte Möllemann ihn von den Grünen, bei denen sein Antisemitismus nicht mehr gelitten war, in die nordrhein-westfälische FDP. Möllemann glaubte, so an die Stimmen der wahlberechtigten Migranten zu kommen, die auf so etwas und so jemanden stünden.

Doch selbst der FDP war nach einiger Zeit die Zumutung zu groß, einen, der über eine »zionistische Lobby« schwadroniert, die »jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit klein kriegen« würde, noch als liberalen Politiker zu verkaufen.

Möllemann verteidigte Karsli, wähnte sich selbst als unangreifbar, schließlich hatte er gerade die nordrhein-westfälische FDP von nichts auf über neun Prozent geführt, und je mehr er Karslis antisemitischen Wahn verteidigte, desto offensichtlicher wurde, wie sehr er auch selbst an eine jüdische Macht glaubte. »Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt, mehr Zulauf verschafft als Herr Scharon und in Deutschland Herr Friedman mit seiner intoleranten, gehässigen Art«, sagte er, um zu verstehen zu geben, dass die Juden am Antisemitismus selber schuld seien.

Was folgte, ist bekannt: der politische Absturz des Jürgen Möllemann. »Wenn der Fallschirm klemmt«, titelte die Süddeutsche Zeitung im Oktober des Vergangenen Jahres, für den FDP-Politiker Hermann Otto Solms war Möllemann nur noch ein »Quartalsirrer«, und der frühere Parteivorsitzende Otto Graf Lambsdorff fragte : »Ist der Mann normal?«

Möllemann, der 1945 in Augsburg geboren wurde und im Münsterland aufwuchs, verbrachte erst etliche Jahre in der CDU, dann soll er, so munkelt man in Münster, einen Linksruck erlebt haben und sich im Umfeld der neu gegründeten DKP umgetrieben haben. Seiner Staatsexamensabeit zum Thema »didaktisch-methodische Analyse und Planung für einen überfachlichen Unterricht im gruppenunterrichtlichen Verfahren innerhalb der Hauptschule« ist das jedoch nicht anzumerken.

1970 trat er in die FDP ein, kandidierte für den Landtag und schwebte zu einer Wahlkampfveranstaltung mit einem Fallschirm ein. 1972 schaffte er es endlich in den Bundestag, aber für politische Inhalte stand Möllemann nicht. Mal nannte er sich bildungs- und mal sicherheitspolitischer Sprecher, aber vor allem blieb er immer im Gespräch.

Seine Marktlücke fand er in der Nahostpolitik. Er besuchte die damals als Terroristen geltenden Yassir Arafat und Muammar al Gaddafi, ließ sich, wieder daheim, dafür beschimpfen und freute sich, ein bisschen prominenter geworden zu sein. Als ihn Franz-Josef Strauß 1982 als »Riesenstaatsmann Mümmelmann« beschimpfte, war er glücklich, hatten seine Provokationen doch endlich ein Echo gefunden.

Er wurde Bildungs- und Wirtschaftsminister im Kabinett von Helmut Kohl, ließ sich von seiner Parteikollegin Irmgard Schwätzer im April 1992 als »intrigantes Schwein« bezeichnen, nachdem er in einer taktischen Meisterleistung ihre Berufung zur Außenministerin im letzten Moment verhindert und Klaus Kinkel inthronisiert hatte. So wurde er übrigens auch Vizekanzler, ein Job, den er von seinem Förderer Hans-Dietrich Genscher übernahm.

Ausgerechnet in dem Moment, als er erstmals in seiner Karriere so etwas wie menschliche Gefühle zeigte, stürzte Möllemann. Ein Schwippschwager in ökonomischer Not hatte eine Geschäftsidee gehabt, den Plastikclip für Einkaufswagen, Möllemann half mit einem Empfehlungsschreiben auf Ministerbriefpapier und musste deshalb zurücktreten.

Doch Möllemann ruhte nicht. Er gründete eine Firma namens Web-Tec, die offiziell »Wirtschafts- und Exportberatung« anbot und die immer wieder, zuletzt bei den jüngsten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, im Verdacht stand, an Waffenexporten beteiligt zu sein. Der Vorsitz in der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, den Möllemann seit 1981 innehatte, half ihm bei seinen Geschäften. Und auch, dass bis zuletzt auf seinem Briefpapier »Vizekanzler a.D.« stand. Möllemanns politische Karriere war zwar unterbrochen, dafür wurde er derweil Millionär.

Sein Wiedereinstieg in die große Politik gelang ihm in Nordrhein-Westfalen mit dem Wahlerfolg des Jahres 2000. Da war er wieder, und er hatte neue Ideen. Er merkte, dass er mit der Artikulation des Judenhasses eine Lücke im politischen System der Bundesrepublik schließen konnte. Und indem er so redete, wie er redete, bekam er mit einem Mal, was Werbestrategen an credibility bislang an ihm vermisst hatten.

Im April 2002 deutete Möllemann in einem Interview mit der taz seine Sympathie für palästinensische Selbstmordattentäter an. »Ich bin Fallschirmjägeroffizier der Reserve«, halluzinierte er sich in einen möglichen Krieg. »Es wäre dann meine Aufgabe, mich zu wehren. Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors.« Kurz vor der Bundestagswahl ließ Möllemann dann ein Flugblatt verteilen, das meist als „israelkritisch« bezeichnet wird, obwohl es den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, angreift.

Möllemanns antisemitische Attacken fanden in Deutschland viel Zuspruch, und stets legte er neu nach. Entschuldigte er sich etwa bei den Juden Deutschlands, nahm er kurz darauf Friedman ausdrücklich von der Entschuldigung aus. Die FDP hasste er dafür, dass dort zu wenige mitziehen wollten. »Nichtskönner« gehörte zu Möllemanns Schimpfwörtern, und dass Leute wie Hildegard Hamm-Brücher, Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum mit dem Judenhass keine Politik machen wollten, kapierte Möllemann nicht. Er wollte doch bloß 18 Prozent, und wenn das halt mit Antisemitismus besser geht als ohne, dann halt mit.

Anders als bei weiten Teilen des politischen Personals der Bundesrepublik gibt es in Möllemanns Leben keine politische Entwicklungslinie. Da muss man nicht nur an Willy Brandt oder Herbert Wehner erinnern, selbst einer wie Gerhard Schröder hat sich vom Linken zum Kanzler der neuen Mitte entwickelt, was in Nachrufen dereinst gewiss als politischer Reifungsprozess gewürdigt werden wird.

Aber Möllemann? Mal links, na und? Mal in der CDU, na und? Über 30 Jahre in der FDP, na, deswegen: Weil man in dieser Partei am schnellsten in Ministerämter gelangt. Ein Rechtspopulist wie Jörg Haider oder Pim Fortuyn war er nicht, denn das waren oder sind, anders als Möllemann, glaubwürdige Rechte mit kohärentem nationalistischen, fremdenfeindlichen Programm. Jürgen W. Möllemann stand hingegen programmatisch für nichts Nennenswertes. Er wollte halt nur das »a.D.« aus seinem Briefkopf streichen.

Jamal Karsli legte in der vergangenen Woche auf Jürgen Möllemanns Platz im Landtag eine, wie die FAZ beobachtete, »Baccara-Rose in Zellophan«, ein kitischiges Plastikding also. Jamal Karsli hat Jürgen Möllemann verstanden.