Vorfahrt für die Generäle

Eine Offensive der indonesischen Armee hat den kurzen Waffenstillstand in Aceh beendet. Der Konflikt stärkt die Position des Militärs. von ole wiedenmann

Die indonesische Militärjustiz kann sehr schnell sein. Am Dienstag der vergangenen Woche begann ein Prozess gegen drei Soldaten, die am 27. Mai bei der Durchsuchung eines Dorfes in Aceh Zivilisten misshandelt haben sollen. Brigadegeneral Bambang Darmono, der Kommandant der Operationen in Aceh, versprach eine »strenge Bestrafung«. Die Strafverfolgung ist allerdings recht selektiv. Den Berichten über die Erschießung von Unbewaffneten in mindestens drei Dörfern will das Militär nicht nachgehen.

Der Krieg in Aceh wird mit westlichen Waffen, u.a. deutschen Kriegsschiffen und britischen Kampfflugzeugen, geführt, doch er ist bei den westlichen Verbündeten Indonesiens nicht populär. So verschloss sich das US-Außenministerium dem indonesischen Drängen, die Bewegung Freies Aceh (Gam) auf die Terrorliste zu setzen, denn das Weiße Haus ist eher an Verhandlungen und Ruhe interessiert. Grund genug, den Krieg wenigstens mit einer rechtsstaatlichen Fassade zu präsentieren.

Nur gut fünf Monate hielt der im Dezember 2002 geschlossene Waffenstillstand zwischen der indonesischen Armee und der Gam an der Nordspitze Sumatras. Mit der Armeeoffensive von Mitte Mai ist der Kriegszustand mit der Gam, die 1976 den bewaffneten Kampf für ein »freies Aceh in einer unabhängigen Föderation Sumatras« aufgenommen hatte, wieder hergestellt.

Eine große Mehrheit der etwa 4,3 Millionen in Aceh lebenden Menschen bekennt sich offiziellen Statistiken zufolge zu einer für indonesische Verhältnisse strengen Variante des sunnitischen Islams. Die Gam forderte zeitweise einen »islamischen Staat«, distanzierte sich aber auch hin und wieder vom Fundamentalismus. Ihre politischen Ziele blieben unklar, immer wieder wurde über Auseinandersetzungen zwischen säkularistischen und religiösen sowie zwischen autonomistischen und separatistischen Kräften in der Gam berichtet. Waffen und Geld erhielt die Gam unter anderem von Libyen, welches eine Zeit lang jeden, der antiimperialistische Statements von sich gab und ein Gewehr halten konnte, zur Ausbildung einlud und versorgte. In den letzten Jahren organisierte sie sich auch in einigen Gebieten eine gewisse Steuerhoheit.

Bis in die neunziger Jahre hatte ihr Kampf nur begrenzte Resonanz und wurde von wenigen Hundert Mitgliedern geführt. Der Konflikt verschärfte sich nach 1989, als der damalige Diktator Suharto Aceh zur militärischen Operationszone erklärte. Das Gros der Übergriffe in diesem Konflikt, dem 10 000 Menschen zum Opfer fielen, war in dieser Zeit zu verzeichnen. Ernsthaftere Verhandlungen, welche zu einem kurzfristigen Frieden führten, begannen erst 2000. Nach dem Sturz Suhartos hatte das Militär erst einmal Imageprobleme und musste ins zweite Glied zurücktreten.

Diese Milderung der Repression ermöglichte es auch einer legal agierenden Opposition, für ihre Ziele einzutreten, Massendemonstrationen fanden statt, und mit Sira und FDPRA entstanden Organisationen, die der auf 5 000 Bewaffnete angewachsenen Gam und dem indonesischen Staat Konkurrenz machten. Beide Organisationen fordern ein Referendum über das künftige Schicksal Acehs. Zumindest die aus dem Zusammenschluss mehrerer Studierenden- und Jugendverbände entstandene FDPRA versteht sich als linke antikapitalistische Organisation, der es nicht nur darum geht, eigene Beamte und Militärs kommandieren zu dürfen. Der indonesische Staat nimmt diese Gruppen zumindest so ernst, dass er sie mit repressiver Gewalt überzieht.

Um den Separatisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde der Provinz ein »spezielles Autonomiestatut« gewährt, das Aceh unter anderem 70 Prozent der Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung in der Region zuspricht. Über die Verwendung dieser Mittel würde jedoch die vom Zentralstaat abhängige und korrupte Bürokratie entscheiden, denn deren Entmachtung oder ein Regionalparlament sind nicht vorgesehen. Die meisten örtlichen Organisationen lehnen das Autonomiestatut deshalb ab, in der Gam gibt es offenbar allerdings Kräfte, die in der Autonomieverwaltung gerne mitspielen würden.

Der eigentliche Grund für die jetzige Eskalation liegt aber nicht in Aceh, sondern im Machtkampf innerhalb der indonesischen Eliten. Präsidentin Sukarnoputri Megawati wurde durch Abspaltungen von ihrer eigenen Partei und die zurückgehende Unterstützung durch die Bevölkerung geschwächt, die vergeblich auf die versprochenen wirtschaftlichen Verbesserungen wartet. Sie sieht sich nun gezwungen, dem Militär und der alten Garde der Suharto-Zeit wieder mehr Spielraum zuzugestehen. So wurden gegen Militärs, die wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vor Gericht standen, sofern man sie nicht freisprach, nur lächerlich geringe Strafen verhängt. In Aceh setzt die Regierung nun auf die freiwillige Selbstkontrolle der Armee, die zudem freie Hand hat bei der Inhaftierung und Ausweisung von Vertretern internationaler NGO.

Die Eskalation wurde bewusst herbeigeführt. Seit März ließen Regierung und Armee fast nichts unversucht, um Vorwände für die Aufkündigung des Waffenstillstandsabkommens zu finden, das von der Gam weitestgehend eingehalten wurde. Die Unabhängigkeit Acehs, dessen Erdgas- und Erdölförderung elf Prozent der gegenwärtigen Staatseinnahmen ausmachen, wäre auch ein schwerer ökonomischer Verlust. Die nicht ganz von der Hand zu weisende Gefahr eines Zerfalls Indonesiens wurde beschworen, um vorhandene nationalistische Stimmungen in der Bevölkerung aufzuputschen. Die Paranoia vor Gam-Attentätern führte zu Verhaftungen angeblicher Separatisten im ganzen Land, die Büros von Menschenrechtsorganisationen wurden unter der Führung eines nationalistischen Jugendverbandes von »Kindern ehemaliger Soldaten« attackiert. In Aceh geht die Armee auch gegen die zivile Opposition vor, in der Universität von Bandar Aceh wurden mindestens 15 Vertreter der Studentenbewegung inhaftiert.

Die 40 000 Soldaten gehen momentan mit ihrer ganzen technischen Überlegenheit gegen vermutete Hochburgen der Rebellen vor, was bisher zu dutzenden Toten und der Zerstörung diverser Dörfer geführt und 30 000 Menschen zur Flucht gezwungen hat. Doch auch diesmal dürfte die Gam nicht »ausgelöscht« werden, wie es der indonesische General Endriartono Sutarto versprochen hatte, sondern sich wie bei früheren Angriffen nur aus gefährdeten Stellungen in unwegsames Gelände zurückziehen.