Den Strom abdrehen

Der EU-Gipfel in Thessaloniki will sich vor allem mit der Abwehr illegaler Einwanderung beschäftigen. Einige Vorschläge liegen bereits vor. von bernd parusel

Tampere, Laeken, Sevilla – die Treffpunkte der Staats- und Regierungschefs der EU sollen die Vielfalt der Union zur Schau stellen. Unfreiwillig symbolisieren sie aber auch Etappen auf dem Weg zu einer restriktiveren und flüchtlingsfeindlicheren Politik in Europa. Der EU-Gipfel am Wochenende in Thessaloniki scheint diese Reihe fortzusetzen. Dabei ist die Zahl derjenigen, die in der Union Asyl suchen, im vergangenen Jahr bereits deutlich zurückgegangen. In Dänemark wurden 2002 mehr als 50 Prozent weniger Asylbewerber registriert als im Vorjahr. In die Niederlande sind 42 Prozent weniger Flüchtlinge gekommen. Deutschland verzeichnet im Mai sogar die niedrigste Zahl neuer Anträge seit 16 Jahren. Selbst in den Beitrittsländern im Osten kommen immer weniger Flüchtlinge an.

Für die EU-Regierungen sind das gute Nachrichten. Das Ziel des Gipfels ist folglich nicht, Menschenrechtsverstöße in der Asylpolitik zu korrigieren, sondern die Abschottung weiterzutreiben. Ein energischer Vorstoß in diese Richtung kommt gegenwärtig aus Großbritannien. Dort hat sich Innenminister David Blunkett zum Ziel gesetzt, die Zahl der im Königreich um Asyl nachsuchenden Personen in den nächsten Monaten um die Hälfte zu senken. Nach seinen Vorstellungen soll die Union große Auffanglager außerhalb des EU-Territoriums errichten, um Flüchtlinge möglichst in der Nähe ihrer Herkunftsländer abzufangen.(Jungle World, 17/03) Und die, die es noch in die EU schaffen, sollen in jene Lager ausgeflogen werden. Dort wird dann über ihre Asylanträge entschieden. Und nur wer einen positiven Bescheid erhält, wird anschließend in ein Land der EU weitergeleitet.

In den letzten Monaten hat Blunketts Vision bei den EU-Partnern Anhänger gefunden, etwa in den Regierungen Italiens, Spaniens, Dänemarks und der Niederlande. Auch der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR), Ruud Lubbers, kann der Idee, Flüchtlinge in Lagern unterzubringen, Positives abgewinnen. Denn viele Flüchtlinge kämen aus wirtschaftlichen Gründen in die EU und würden die Asylsysteme »missbrauchen und verstopfen«, meint Lubbers. Das bezvorzugte Konzept der UNHCR sieht allerdings gesamteuropäisch verwaltete Lager vor, die innerhalb der EU errichtet werden sollen.

Das britische Konzept erntet aber auch Kritik, etwa von Otto Schily. »Wir haben die gleichen Ziele, wir wollen die Zahl der Menschen, die nach Europa kommen, reduzieren«, sagte der Bundesinnenminister freimütig dem britischen Guardian. Aber die Idee mit den externen Lagern werde nicht funktionieren. »Sie werden nur noch mehr Flüchtlinge anziehen«, warnt Schily, der lieber bereits vorhandene Abwehrmechanismen ausbauen will. Kurz vor dem EU-Gipfel in Thessaloniki erklärte die britische Regierung nun, dass zunächst nur einige externe Lager eingerichtet werden sollen, als Pilotprojekte sozusagen.

Damit dürfte auch die EU-Kommission leben können. Sie hat Anfang Juni in einer Mitteilung mit dem Titel »Für leichter zugängliche, gerechtere und besser funktionierende Asylsysteme« angemahnt, dass die Flüchtlingspolitik der EU künftig näher an den Herkunftsländern der Flüchtlinge ansetzen müsse.

»Asylbewerberströme« sollen demnach nicht erst in Europa, sondern bereits »in den Herkunftsländern besser gesteuert werden«. Das Ziel dabei sei, »Wirtschaftsmigranten weitestgehend davon abzuhalten, das Asylsystem aus nicht schutzrelevanten Gründen missbräuchlich in Anspruch zu nehmen«. Die britischen Vorschläge seien jedoch in rechtlicher, finanzieller und praktischer Hinsicht problematisch. Externe Lager seien allenfalls als Ergänzung der bisherigen Asylpolitik denkbar, nicht als Ersatz.

Seit 1999 versucht die Kommission, ein europäisches Asylkonzept zu erarbeiten. Ein Richtlinienentwurf über die Anerkennung von Flüchtlingen, das Kernelement einer europäischen Asylpolitik, konnte vom Rat bisher nicht verabschiedet werden. Bis heute stellt sich Deutschland mit der Behauptung quer, dass der Entwurf den Flüchtlingen zu viele Schutzansprüche in der EU gewähre. In Thessaloniki soll es nun endlich vorwärts gehen.

Damit ist die Agenda der EU-Kommission aber noch nicht abgearbeitet. Gemeinsam mit der griechischen Ratspräsidentschaft, der besonders die Bekämpfung der »illegalen Einwanderung« am Herzen liegt, forderte sie vor dem Gipfeltreffen erneut ein »effektiveres Management der EU-Außengrenzen«. Dazu gehören Forderungen nach mehr Geld für gemeinsame Grenzsicherungsmaßnahmen und zur Schaffung eines gesamteuropäischen Grenzschutzkorps.

Bereits vor einem Jahr in Sevilla beschlossen die EU-Regierungschefs, einen gemeinsamen EU-Grenzschutz zur Abwehr »illegaler Einwanderung« zu bilden und jährlich 300 Millionen Euro für den Grenzausbau in die östlichen Beitrittsländer zu überweisen. Die bereits erprobte gute Zusammenarbeit europäischer Grenzschützer soll nach dem Willen der Kommission auch für die Abschiebung von Flüchtlingen genutzt werden. Mehrere EU-Staaten könnten gemeinsam Charterflüge in relevante Länder organisieren, sogar ein spezieller EU-Fonds für »Rückführungsaktionen« ist im Gespräch.

Außerdem sollen mit Ländern, die mit der EU Handels- oder Assoziierungsabkommen schließen wollen, künftig schon im Vorfeld Vereinbarungen über die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber getroffen werden. Bereits vor einem Jahr drohte die EU jenen Ländern mit der Einstellung der Entwicklungshilfe, die sich weigern, abgelehnte Asylbewerber wieder »zurückzunehmen«. Dies ist Bestandteil der neuen Strategie, Asylpolitik künftig als Aufgabe mehrerer Ressorts zu behandeln. Möglichst früh und möglichst nah an den Herkunftsregionen sollen alle daran arbeiten, dass Flüchtlinge gar nicht erst in die EU kommen – oder gleich wieder verschwinden.

In der EU-Kommission gibt es auch Überlegungen, die Asylregelungen so zu gestalten, dass verfolgte Personen bereits in den europäischen Botschaften in ihren Herkunftsländern Asyl beantragen können. Auf diese Weise müssten sie sich nicht einmal mehr mit Hilfe von Schlepperbanden nach Europa durchschlagen, heißt es zynisch. Außerdem sollen Transitländer wie Russland oder die Ukraine dabei unterstützt werden, eigene Asylsysteme zu errichten. Wenn aus solchen Transitstaaten »Erstasylländer« werden, die auch selber abwehren und abschieben können, dann mindert das die Wanderung in die EU, so das Kalkül.

Wie das britische Konzept setzt auch die Kommission »stromaufwärts« an. Beide wollen das Recht auf Asyl dadurch untergraben, dass schon weit außerhalb der EU dafür gesorgt wird, dass es weniger in Anspruch genommen wird.