Der Marsch der Ärsche

Filme von Yoko Ono und eine Ausstellung über diese Filme in Berlin. von stefan ripplinger

Vor vielen Jahren erzählte ich ein paar schwedischen Künstlern, denen ich beim Aufbau ihrer Ausstellung Hämmer und Nägel zugereicht hatte, begeistert von einem Film Yoko Onos. Ärsche seien da zu sehen, Dutzende, Hunderte, in Großaufnahme, pausenlos, endlos, wackelnd, watschelnd, Melonen, Morcheln, Mollusken, einer hässlicher als der andere, runzlige, schwabblige Ärsche, Ärsche, Ärsche. »Ärsche!« rief da, mit gesträubten Barthaaren, der Kurator der Ausstellung, der meiner Erzählung unfreiwillig zugehört hatte, sprang, fast den Stuhl mit sich reißend, auf, »Ärsche! Wie seelenlos!« und setzte sich demonstrativ an einen anderen Tisch.

Obwohl es mir herzlich Leid tat, dass ich den armen Mann brüskiert hatte, freute ich mich doch über seine Bemerkung. Seelenlos, in der Tat. Wenn überhaupt irgendwo, vermuten wir die Seele nicht an dieser Stelle des Körpers, sondern, wie schon Aristoteles, etwas höher, überm Magen, weil ihr nach Wärme verlange, oder, wie Platon, im Kopf, weil sie gekühlt werden müsse. So ist denn, jedenfalls für in unserer Tradition Aufgewachsene, unter Ausschluss der Fußreflexzonenmasseure, die Partie des Körpers von Fuß bis Bauch gänzlich seelenlos. Wird sie nun, in diesem zentralen Ausschnitt, in dieser mantrahaften Wiederholung, gezeigt, verstärkt das den Eindruck der Seelenlosigkeit nur. Er wirkt irgendwie befreiend, jedenfalls in dem Film »Bottoms« oder »No. 4«.

Im Entree der Berliner Ausstellung, die ein Programm mit vielen schönen Filmen Onos begleitet und selbst etliche zeigt, wird dieser Film projiziert, die Wände des Ausstellungsraums selbst sind mit Ärschen tapeziert. Gibt es auch T-Shirts, Unterhosen und Schlüsselanhänger mit Ono-Ärschen? Nein. Aber ein paar Erklärungen der Filmemacherin. Leider haben sie mich schockiert. Sie wollte die Arschprozession 1967 als ein »Statement for peace« verstanden wissen.

Gewiss, damit ist ein anderer Frieden gemeint als der, für den die Deutschen mit ihrer Regierung kürzlich auf die Straße oder in die Kirche gingen, aber schon der damalige war das gemeinsame Ziel von Horst Mahler und Christian Ströbele. Und Ono macht den Unterschied ebenfalls nicht und hat heftig gegen den Irakkrieg protestiert, wenn sie auch keine Arscharmee hat aufmarschieren lassen, sondern »Instruction Pieces« ausgab. Durch das Statement erhalten die hübsch-hässlichen Ärsche (angeblich die komplette Londoner High Society) etwas Seelenvolles, was ihnen gar nicht steht. Sie verlieren ihre heitere Nacktheit. Dabei hat dieser Film den Peace ungefähr so befördert wie Die-Ins den Aids-Kranken geholfen haben.

Aber das ist noch immer nicht alles. »Vielmehr führt die mikro-differente Wiederholung der immer gleichen Physis zu einem strukturalen Tableau, das die individuellen menschlichen Unterschiede in ein ›gemorphtes‹ Konzept von Gemeinsamkeit und Transitivität aufhebt.« (Christian Höller im Faltblatt zur Ausstellung) Tant pis.

Nun spüre ich, wie ganz schlechte Stimmung in mir aufsteigt, etwa von Arschhöhe ausgehend, das Zwerchfell betäubend, das Herz benebelnd, bis hinauf zur luftigen Höhe des Seelensitzes. Zu schade. Damit es Ihnen nicht auch so gehe, gebe ich Ihnen eine Chance. Schauen Sie mir bitte in die Augen und hören Sie ruhig zu. Sie haben diesen Artikel nie gelesen. Sie wissen nichts von Peace, Seele, von gemorphten Morcheln oder transitiven Tiefen. Sie vergessen das einfach, nehmen diese Zeitung, zerknüllen sie und werfen sie in den Hausmüll, na gut, in den Papiercontainer. Dann leben Sie unbeschwert in den Tag hinein, und die Hoffnung besteht, dass Sie noch im Juni von der Vorführung einiger Werke Onos Wind bekommen und eine innere Stimme Ihnen befiehlt, sie anzusehen.

Da Sie aber immer noch weiterlesen, bin jedenfalls nicht ich daran schuld, dass Sie keinen Spaß haben. Und warum auch immer Spaß, warum soll denn die Kunst spaßig sein, wenn das Leben es schon nicht ist? Wie schon die anregende Retrospektive von Valie Export (Jungle World, 6/03) stößt auch diese Ausstellung der NGBK den Besucher in einige Situationen, die für Seelchen wie mich schwer zu ertragen sind, etwa in die des »Cut Piece«.

Ono sitzt stumm und regungslos in der Mitte einer Bühne. Das Publikum schneidet ihr die Kleidung in Fetzen vom Leib. Zuerst wurde diese Aktion 1964 aufgeführt. Sie schneidet ins Fleisch, sie ist wichtig, und dafür dass, wie Höller im Faltblatt schreibt, »am Ende eine Art aporetischer Opferstatus unaufgelöst im Raum zurückbleibt«, kann Ono nichts. Die Opfer des Faltblatts können sich ja ein Aspirin in Wasser auflösen, das hilft manchmal.

Noch bedrückender wirkt eine Nackte, über deren Körper Fliegen krabbeln (»Fly«, 1970). Sie ist nicht tot, aber sie sieht tot aus, und dass die Fliegen die »externalisierte weibliche Einbildungskraft« verkörpern (Höller unter Berufung auf Chrissie Iles), glauben vermutlich nicht einmal die, die es behaupten. Auf ganz andere Weise bedrückend sind einige der Gemeinschaftsarbeiten mit John Lennon, die nebenbei in Erinnerung rufen, dass nicht Ono den Beatles, sondern die Beatles Ono den Stachel gezogen haben. Ich will nicht undankbar sein und die Konzerte aus den Siebzigern vergessen, in denen Ono so durchdringend nach John und Peace schreit, dass diese Schreie Willi Winkler wohl noch heute in den Ohren gellen. Das war prima. Aber es ist doch recht traurig, wenn das Ehepaar am Ende der Ausstellung auf einer Treppe sitzt, Friedenslieder trällert und Seele ausschwitzt. Too much soul einer ansonsten bemerkenswerten Künstlerin.

Yoko Ono: »Film Works Filme Seen and Unseen«. Das Kino fsk, Berlin, zeigt vom 19. bis 25. Juni eine Filmreihe zur gleichnamigen Ausstellung des Realismusstudios der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Oranienstr. 25.