Die Insel-Therapie

Madonnas Film »Stürmische Liebe« ist toll schlecht. von jürgen kiontke

Die meisten abendfüllenden Kinofilme der letzten Jahre basierten auf einem Drehbuch, das vielleicht für einen 20minütigen Kurzfilm gereicht hätte. Aktuelles Beispiel: »Matrix Reloaded«. Insbesondere der Schluss: Mitten in einer Szene stoppt der Film und der Schriftzug »Fortsetzung folgt« erscheint – welch ein Kundenbetrug!

»Herr der Ringe«, die neuen »Star Wars«-Filme, »Solaris«, »Das Leben des David Gale« – keine Frage, der miserable Film boomt.

Aber: Nach Aussage des Regisseurs John Waters, der in seinen frühen Jahren durchaus zum Trendsetter dieses Genres gehörte, gibt es keine schlechten Filme. Und in der Tat: Oft merkt man sich eher die Flops als die Tops. Was sagt z.B. »Conan der Barbar« über den Sinn des Lebens: »Zu töten den Feind und sich zu erfreuen am Geschrei der Weiber.« Gern erinnert man sich an die Darstellung einer übergeschnappten sexgierigen Irren durch Sharon Stone in »Basic Instinct« oder auch an alle Jean-Claude-van-Damme-Filme. Kino ist eben über weite Strecken eine nicht ganz perfekte Sache, und oft geht’s im Film so lächerlich zu wie bei uns zu Haus. Aber selten so albern wie bei Pop-Göttin Madonna unterm Sofa.

So beschert uns Madonna-Gatte und Regisseur Guy Ritchie mit »Stürmische Liebe«, dem Remake eines Lina-Wertmüller-Films, einen echten Meilenstein in der Geschichte des Monster-Movies, in dem er seiner lieben Frau Madonna Ciccione, ein monströses Denkmal gesetzt hat. Er lässt sie die ultrareiche, verwöhnte Amber spielen, die mit Ehemann und Freundin auf einer Yacht durchs Mittelmeer kreuzt und aus Langeweile die Mannschaft terrorisiert, insbesondere den armen Kellner Giuseppe (Adriano Giannini). Da gibt sie sich redlich Mühe: Eyh, Arschloch, komm hierher, bring mir dies, bring mir das, die Suppe ist zu kalt, der Schampus zu warm. Eindrucksvoll gleich zu Beginn, gerade für Leserinnen und Leser der Jungle World, auch die halb unter den Tisch verrutschte Diskussionsrunde zum Welthandel. Madonna erklärt: »Die Produzenten bestimmen auf den Märkten frei zirkulierender Warenströme die Preise.« Würg, würg, kotz, ich brauche jetzt ein bisschen Koks im Gin.

Und dann machen Amber und der Kellner einen Ausflug, das Boot ist bald im Eimer und verloren in den Tränen des Mittelmeers wie eben das ganze Leben der Wohlstandskranken. Denn Amber ist eigentlich sehr unglücklich und krank wie die ganze westliche Zivilisation. Und diese schikaniert den Rest der Welt ja auch, wenn sie nicht grade beim Therapeuten sitzt. Es gibt einen Sonnenuntergang, statt stürmischer Liebe setzt stürmisches Wetter ein, die Wasservorräte sind aufgebraucht und auf der Speisekarte steht rohes Fischgedärm. Unendliche Weite des Meeres, die dann endlich an den Gestaden einer reichlich einsamen Insel endet, and only heaven knows, wo es die im Mittelmeer noch geben soll, bei dem Touristentrubel, der da herrscht.

Nun beginnt die Midlife-Crisis-Version der »Blauen Lagune«. Die Rollen zwischen den beiden werden neu verteilt: Der junge Mann macht die widerspenstige Zicke – »Ich bin dein Meister, geh mir was zu trinken holen« – mit Genuss zu seiner Sklavin, sie lernt zu gehorchen, zu arbeiten, zu lieben. Sie singt und tanzt was vor. Die wilde Natur, das saubere Wasser, die selbst gefangenen Calamares, die Ruckizucki-Drogenentwöhnung, das sexy Rollenspiel mit dem rüden Burschen – und gucke da, Madonna sieht wie immer gut aus. Was es nicht alles gibt. Die große Liebe. Eine leicht asynchrone Synchronspur gibt der deutschen Fassung eine zusätzliche, ganz besondere Note.

Wie auch die leicht restaurativen Züge des Films: Denn sonderlich modern ist »Stürmische Liebe« mit seinen romantischen Idealen nicht. Nicht das gegenseitige Auf-die-Nerven-gehen in der Beziehung, das Sich-lächerlich-machen in der Liebe ist heutzutage das Problem, sondern das Sich-alleine-langweilen: Wie könnte also eine zeitgemäße Bearbeitung des Themas aussehen? Vorschlag: Amber und Giuseppe fahren Boot und geraten in Seenot. Beide können sich retten, indem sich jeder seine eigene einsame Insel sucht (weitere Informationen bei Michel Houellebecq, Elfriede Jelinek und unter www.single-dasein.de).

Was soll’s. »Madonna ist ein Vollprofi und veranstaltet keinen Unfug wie manche anderen Schauspieler«, sagt Guy Ritchie, dem man dasselbe als Regisseur leider nicht zugestehen kann. Was soll uns »Stürmische Liebe« nur sagen? Alles Paletti im Hause Ciccione/Ritchie, eine neue Liebe ist wie ein neues Leben, angewandter Antikapitalismus ist gleich echtes Leben und bedeutet, seiner Liebsten ein paar in die Schnauze hauen? Ab einer gewissen Einkommensklasse – deutlich vernehmbar ist Madonnas Schrei: Hilfe, ich habe zu viel Geld! – hilft nur noch Sado-Maso?

Bleibt dann auch offen. Dieser Film stellt keine Fragen und gibt daher auch wenig Antworten. Sicher ist nur, dass Madonna machen kann, was sie will: schlechte Filme, schlechte Platten, Idiotenvideos. Oder wie Filmproduzent Matthew Vaughn es ausdrückt: »›Stürmische Liebe‹ entspricht den Kriterien unserer Firma, als da wären: Erstens: Kann der Film Kasse machen, ohne dass man seine künstlerische Integrität aufgeben muss? Zweitens: Wird der Film unterhaltsam werden und sein Publikum finden? Dieser Film erfüllt mit Sicherheit beide Kriterien.«

Diese künstlerische Integrität ist innerhalb weniger Drehtage auf Sardinien und Malta zusammengehauen oder »reloaded« worden. Das muss einen aber nicht stören, im Gegenteil: »Stürmische Liebe« ist unbedingt zu rezipieren. Erstens ist halbgarer Trash immer wieder schön auf der Leinwand. Zweitens wird sich »Stürmische Liebe« wohl nur um die zwei Tage im Kino halten, dann dürfte er auf nimmer Wiedersehen auf dem Videograbbeltisch verschwinden. Drittens sollte man unbedingt anerkennen, wenn sich Leute bis auf die Knochen blamieren – das hat etwas, wenn nicht sogar sehr viel mit uns zu tun.

»Stürmische Liebe«, (USA 2002). R: Guy Ritchie. D: Madonna, Adriano Giannini. Start: 19. Juni