Die Kirgisen sind zu religiös für Islamismus

Anschläge in Kirgisien belegen, dass die islamistische Bewegung sich weiter um den Aufbau eines zentralasiatischen Netzwerks bemüht. von peter böhm, osch

Werden militante islamistische Gruppen in Zentralasien wieder aktiv? Am 8. Mai explodierte in einer Wechselstube in Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgisiens, eine Bombe. Am 15. Mai überfiel eine Gruppe bewaffneter Männer zwei Polizeistationen in Dschalal Abad, einer kleinen Stadt im Süden des Landes, und floh mit den erbeuteten automatischen Gewehren und einigen anderen Waffen.

In den Sommern der Jahre 1999 und 2000 drangen jeweils mehrere hundert Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU) auf kirgisisches Territorium vor. Als ihr Anführer, Juma Namangani, jedoch offenbar im Oktober 2001 bei einem US-Bombenangriff im Norden Afghanistans starb, wurde es um die IMU still. Zerschlagen wurde die islamistische Bewegung durch Polizei- und Militäraktionen nicht. Doch seit dem Sturz des Taliban-Regimes, mit dem sie eng verbunden war, kann sie Nord-Afghanistan nicht mehr als Rückzugsgebiet benutzen und hat viel von ihrer Gefährlichkeit eingebüßt. Außerdem hatte der Überfall auf die Polizeistationen in Dschalal Abad wohl keinen islamistischen Hintergrund.

Die kirgisische Regierung behauptet, sie habe inzwischen alle Täter festgenommen. Anführer der Gruppe in Dschalal Abad sei ein ehemaliger Polizist gewesen, die erbeuteten Waffen wollte die Gruppe für weitere Verbrechen benutzen. Bislang wurden keine Fakten bekannt, die dieser Version widersprechen. Dennoch bleiben Zweifel, und daran trägt die kirgisische Regierung selbst die Schuld. Denn ihre Informationen nach diesen beiden Anschlägen waren recht widersprüchlich.

Ein paar Tage nach der Explosion von Osch gab der stellvertretende kirgisische Innenminister Rasulberdi Raimberdiew bekannt, dass dafür ebenso wie für den Bombenanschlag auf den größten Bischkeker Basar im vergangenen Dezember, bei dem sieben Menschen getötet und 41 verletzt wurden, eine ausländische Terrororganisation verantwortlich sei, offenbar die IMU. Entsprechende Flugblätter und islamistische Literatur, die darauf hinwiesen, seien bei einer Wohnungsdurchsuchung gefunden worden.

Dann aber meldete sich sein Sprecher Joldoschbek Bursumankulov zu Wort. Das Ministerium sei zu voreilig gewesen, es gebe bei beiden Anschlägen keinen islamistischen Hintergrund. In der Folge äußerten sich noch andere Regierungsvertreter, die entweder einen politischen Kontext gänzlich bestritten oder aber islamistischen Extremisten alle möglichen Verbrechen der jüngsten Vergangenheit wie die Ermordung von 19 chinesischen Händlern im März zuschrieben.

Hintergrund dieser Kakophonie war wohl, dass die kirgisische Regierung einerseits Interesse daran hat, das Bild von der Bedrohung durch den radikalen Islam aufrechtzuerhalten, um weiter Militärhilfe von den USA und Russland zu bekommen. Auf dem internationalen Flughafen von Bischkek sind seit dem Krieg gegen die Taliban Kampfflugzeuge und etwa 1 800 westliche Soldaten stationiert, die Mehrzahl davon kommt aus den USA. In Kant, einem nur 20 Kilometer von Bischkek entfernten Militärflughafen, will Russland einen Stützpunkt einrichten. Die Einweihung ist für den Juli geplant.

Andererseits begann im Mai gerade die Touristensaison in Kirgisien, und da wäre der Eindruck unerwünscht, dass Reisende durch Terroristen gefährdet sein könnten. Bereits vor den Anschlägen hatte das US-Außenministerium seinen Bürger geraten, Kirgisien wegen bevorstehender Terroranschläge zu meiden.

Inzwischen scheint jedoch der Hintergrund beider Bombenanschläge geklärt. Die zwei mutmaßlichen Täter des Oscher Anschlages wurden inzwischen festgenommen, sagte Bursumankulov der Jungle World. Unmittelbar vor der Explosion hatten die beiden in der Oscher Wechselstube 7 000 US-Dollar in die Hauptstadt Bischkek überwiesen. Anhand der Täterbeschreibung des Angestellten, der im Krankenhaus starb, und der Bischkeker Adresse des Empfängers konnten die beiden gefunden werden. Auch die Phantombilder derjenigen, die im Dezember die Tasche mit der Bombe im Gepäckraum des Bischkeker Basars zurückgelassen hatten, passten auf die beiden.

Nach Hinweisen der kirgisischen Polizei, sagt Bursumankulow, konnten im usbekischen Andischan ein Mann sowie einige Tage darauf zwei Männer in Kasachstans größter Stadt Almaty festgenommen werden. Bei ihnen wurden automatische Waffen, Sprengstoff und Zündvorrichtungen gefunden, sowie Literatur, die nahe legt, dass sie der Ost-Turkestan-Bewegung angehörten, einer militanten Organisation, die für die Unabhängigkeit der westlichen Provinz Xiankiang von China kämpft.

Daraus entsteht das Bild einer in mehreren zentralasiatischen Ländern versprengten Bewegung, deren Zellen mehr oder weniger eng miteinander verknüpft sind, die aber nicht besonders groß ist. Möglicherweise hat sie noch Rückzugsgebiete in einigen Regionen Tadschikistans, die die Regierung dort nicht vollständig kontrolliert. Der militante Islamismus ist in solchen institutionell schwachen Staaten ein destabiliserender Faktor, doch die Fundamentalisen sind in den meisten Regionen Zentralasiens gesellschaftlich isoliert. In dem kleinen, viereinhalb Millionen Einwohner zählenden Kirgisien ist der Islam nur sehr oberflächlich verwurzelt. Bis weit in die Sowjetzeit hinein lebten viele Kirgisen als Nomaden und hielten an vielen Aspekten ihrer schamanischen Naturreligionen fest. Dort massenhaft Anhänger für einen islamischen Staat zu finden, dürfte unmöglich sein.

Für die IMU ist Kirgisien deshalb nur ein Nebenkriegsschauplatz, ihre Aktivitäten dort zielen auf Usbekistan. Ihr erklärtes Vorhaben ist es, die säkulare Regierung Islam Karimows zu stürzen und in ganz Zentralasien einen islamischen Staat zu errichten. In Usbekistan ist der Islam durch die persisch inspirierte, sesshaft-städtische Kultur viel länger und tiefer verwurzelt, und die Religion erlebte dort nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion auch eine gewisse Renaissance. Aber Usbekistan wird von einem Regime regiert, das jede Opposition effektiv unterdrückt. Deshalb trägt das liberale Kirgisien, dem das Geld für einen schlagkräftigen Polizeiapparat fehlt, die Last des Terrors.