Heiße Tage vor der Zone

Mit einem großem Sicherheitsaufgebot und netten Gesten will die griechische Regierung die EU-Kritiker auf dem Gipfel in Thessaloniki beruhigen. von harry ladis, thessaloniki

Fast 30 Jahre nach dem Sturz der Militärjunta erinnern die Maßnahmen zum Schutz des EU-Gipfels am Freitag und Samstag dieser Woche auf der Chalkidiki nahe Thessaloniki auf fatale Weise an den Polizeistaat. Die bürgerkriegsähnlichen Vorbereitungen sollen den Demonstranten klar machen, dass die EU-Erweiterung nicht unbedingt auch zusätzliche Grundrechte bedeutet. Wenn es nach dem Willen der Regierung geht, sollen die Kritiker der Union, anstatt zu demonstrieren, künftig lieber Petitionsbriefe verfassen.

»Thessaloniki – offene Stadt« heißt das Motto der Veranstaltung. Damit wird auch nicht zu viel versprochen. Rund 11 000 Polizisten aus ganz Griechenland, 1 000 Mitgliedern von Sondereinsatzkommandos und ebenso vielen Beamten der Wasserschutzpolizei sowie 600 Grenzschutzbeamten öffnet die Stadt Tür und Tor, um den friedlichen Charakter der Demonstrationen und den ungehinderten Ablauf des Gipfels zu garantieren. Sie werden zudem von 1 100 Soldaten unterstützt. Damit wird ein Tabu gebrochen, das seit dem Ende der Militärherrschaft in Griechenland galt – die Einmischung der Armee in interne Angelegenheiten –, ohne dass dieser Bruch überhaupt in der Öffentlichkeit thematisiert wird.

Verborgene Kameras werden die ganze Stadt überwachen, und die Bevölkerung kann nun auch endlich bewundern, dass die immensen Verteidigungsausgaben in den letzten Jahren nicht umsonst waren: Awacs-Radarsysteme, Patriot- und Hawk-Raketen sowie Apache-Hubschrauber stehen sicherheitshalber bereit.

Wo Widerstand zum Kompromiss wird, da wird Sicherheit zur Kultur. Nicht nur die Repression hat einen Höhepunkt erreicht, sondern auch die gesellschaftliche Zustimmung. In einer Umkehrung der Marx’schen Lehre machen die Kapitalbesitzer die Kommunisten zum Fetisch. Die Industrie- und Handelskammer von Thessaloniki hat während einer Pressekonferenz die KP Griechenlands öffentlich gelobt, weil sie die Rolle einer Ordnungshüterin im Stadtzentrum am Samstag übernehmen, demokratische Demonstrationen ermöglichen und Ausschreitungen verhindern will. Was die KP unter den Begriffen Ordnung und Demokratie konkret versteht, hat sich in den letzten zwei Wochen gezeigt, als sie ihre bedingungslose Solidarität mit dem kubanischen Staatschef Fidel Castro bekundete.

Gleichzeitig betrachtet auch das reformistische Griechische Sozialforum die Handelskammer und die Industriellen als Gesprächspartner. In einem Flugblatt, das an alle Geschäfte verteilt wurde, heißt es unter anderem: »An die Handelswelt von Thessaloniki mit seiner geschichtlich bedeutenden Sozialgeschichte senden wir die Botschaft, dass Arbeiter, Kaufleute und Arbeitslose gemeinsame Interessen haben.« Und einen gemeinsamen Gegner: die abstrakte und somit nicht angreifbare neoliberale Globalisierung. Selbst die Regierung teilt diese Weltanschauung. »Die Gewerkschaftsbewegung sollte mit den restlichen Bewegungen in Thessaloniki ihre Botschaft gegen die Globalisierung laut artikulieren«, meint der Entwicklungsminister Akis Tsochatzopoulos.

Die Regierung weiß diese Unterstützung zu schätzen und die Kompromissbereitschaft zu entgelten. 300 000 Euro wurden allein für den Aufenthalt der Demonstranten auf verschiedenen Campingplätzen rund um Thessaloniki ausgegeben. Schade, dass der Staat nicht auch den Auftritt des Antiglobalisierungsbarden Manu Chao unterstützt hat, dessen geplantes Konzert an finanziellen Schwierigkeiten scheiterte. Der fehlende Betrag dürfte eine Kleinigkeit sein im Vergleich zu den 30 Millionen Euro, die das Gipfeltreffen kosten wird.

Das altbekannte Feindbild von den gewalttätigen Chaoten ist in den Medien schon präsent. Die rund 3 000 Demonstranten, die dem anarchistischen Spektrum zugerechnet werden, stellen die größte Gefahr für Behörden und Handelskammer dar. Deswegen sollen sie auf dem Campus der Universität, wo bereits drei Fakultäten besetzt sind und in dessen Nähe sich Zeltlager befinden, stark bewacht werden. Auf dem Campus wird auch die Zentrale von Indymedia sowie eine Rundfunkstation installiert, obwohl bereits Gerüchte kursieren, dass die Universitätsleitung plant, die Telefonverbindung zu kappen und den Strom abzudrehen. Die Finsternis wäre ein guter Alliierter der Polizei, wenn sie das in Griechenland geltende Universitätsasyl verletzen und – ähnlich wie ihre Kollegen in Genua vor zwei Jahren in der Diaz-Schule – den Treffpunkt der Gipfelgegner stürmen will.

Am Tag vor dem Gipfel sind zwei antirassistische Demonstrationen geplant. Im Stadtzentrum von Thessaloniki versammelt sich das fast vollständige Spektrum der griechischen Linken, während sich die anarchistischen Gruppen in den westlichen, von Immigranten geprägten Stadtteilen treffen wollen. Zum Auftakt des Treffens am Freitag wollen dann die Gipfel-Kritiker nach Chalkidiki ziehen. Die Reise ins Grüne wird allerdings nicht leicht fallen, denn 5 000 Polizisten sollen ihnen den Weg versperren. Alle Fahrzeuge und Passagiere sollen durchsucht und gewaltbereite Demonstranten spätestens an den zwei roten Zonen wenige Kilometer vor dem Hotelkomplex Porto Karras gestoppt werden. Dafür dürfen mehrere Delegationen der Antiglobalisierungsbewegungen ihre Petitionen dem griechischen Ministerpräsidenten und EU-Ratspräsidenten Kostas Simitis überreichen.

Für den Samstag rufen alle Strömungen zu Demonstrationen in Thessaloniki auf, bei denen mit 100 000 Teilnehmern gerechnet wird. Immerhin ist es den Veranstaltern gelungen, eine eigene Rechtshilfe und einen Sanitätsdienst zu organisieren, was bislang in Griechenland bei großen Mobilisierungen noch nie der Fall war.

In der abgeschirmten Hotelanlage werden die EU-Staats- und Regierungschefs währenddessen über die Abwehr der illegalen Einwanderung beraten. Neben diesem Thema, dass sich Griechenland zum Schwerpunkt seiner Ratspräsidentschaft gewählt hat, steht vor allem die Diskussion um den Verfassungsentwurf des EU-Konvents auf dem Programm (siehe auch Seite 15). Simitis, der gerne betont, dass »die Kooperation mit dem Balkan ganz oben auf der Agenda der Union stehen« muss, will sich außerdem mit den Aufnahmekriterien für die südosteuropäischen Staaten befassen. Auch das Verhältnis der EU zur Türkei und der für 2007 geplante Beitritt Rumäniens und Bulgariens, den die beiden Länder gerne beschleunigen wollen, wird Gegenstand der Gipfelgespräche sein.

Nicht zuletzt möchte Simitis einen ganz besonderen Programmpunkt auf dem Gipfel präsentieren. Als Konsequenz aus dem Irakkrieg hat er vor einigen Wochen die Schaffung einer »europäischen Sicherheitsdoktrin« vorgeschlagen. Einen ersten Entwurf will er nun bereits in Thessaloniki präsentieren. Das geostrategische Konzept soll definieren, wie die Europäer auf den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen reagieren wollen, und die Frage beantworten, unter welchen Umständen die Mitgliedstaaten »Gewalt als letztes Mittel« akzeptieren.

Den Abschluss der griechischen Präsidentschaft soll ein Auslieferungsabkommen krönen, das Griechenland als EU-Vorsitzender am 25. Juni mit den USA in Washington abschließen will. Es sieht unter anderem vor, dass künftig auch EU-Bürger in die USA ausgeliefert werden können, selbst wenn ihnen dort die Todesstrafe droht. Die heftige Kritik, auf die das Vorhaben selbst unter Juristen der Regierungspartei Pasok stieß, weist die Regierung mit der Arroganz der Macht zurück. Schließlich ist es ihr bereits vor zwei Jahren gelungen, ein rigides Antiterrorgesetz gegen alle Widerstände durchzusetzen.