Was tun? Was tun!

Die Sonderparteitage der SPD und der Grünen haben der Agenda 2010 zugestimmt. Wie sollte der Widerstand gegen den Sozialabbau fortgeführt werden?

Den Arsch hoch

Die Arbeitslosen müssen den Arsch hoch kriegen. Wir dürfen uns weder auf den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer noch auf Linke in der SPD oder grüne Parteitage verlassen. Wir sind 4,7 Millionen. Wir hätten die Macht, die Agenda noch zu verhindern. Nur muss jetzt erheblich mehr getan werden.

Es kann doch nicht wahr sein, dass in einer Stadt wie Darmstadt mit 30 000 Arbeitslosen der Erwerbslosenausschuss nur eine Handvoll Mitglieder hat. Daran ist nicht Frank Bsirske schuld oder Michael Sommer, das ist die Schuld der Arbeitslosen, die es nicht für möglich halten, sich einmal im Monat zu treffen oder sich einmal in der Woche zu einer Aktion zu verabreden.

Es gibt freilich ein paar Aktivisten, doch die können es nicht alleine machen. Ob wir jetzt dem Professor Rürup eine Torte ins Gesicht werfen, ob wir eine Zeitarbeitsfirma besetzen oder ein SPD-Büro, es sind zu wenige, und die wenigen, die mitmachen, setzen sich hin und gucken sich an, was drei, vier Aktivisten vorführen. Wenn ich Kanzler wäre oder Arbeitsminister, würde ich auch bei den Arbeitslosen sparen, denn die leisten am wenigsten Gegenwehr.

Es gibt keine Entschuldigung mehr. Die Agenda 2010 ist bekannt. Es wird grausam, es wird mehr Armut geben, wir werden keinen Schutz mehr haben, wenn es um zumutbare Stellen geht usw. Jeder Erwerbslose sollte sich die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg mal angucken. Dort sollte man mal so richtig auf den Tisch hauen.

helmut angelbeck, erwerbslosenausschuss verdi

Mit Irrtümern aufräumen

Warum ist der Protest gegen die Agenda 2010 so schwach? Zum einen hat sich die von Gerhard Schröder vorgetragene Losung, seine neoliberale Politik des Sozialabbaus sei ohne Alternative, tief in die Köpfe der Menschen eingegraben. Andererseits ist in Deutschland seit der Einführung der Bismarckschen Gesetzgebung der Irrglaube verbreitet, die Sozialleistungen seien ein Geschenk der Arbeitgeber und des Staates.

Das kommt zum Ausdruck, wenn PolitikerInnen von mehr Eigenbeteiligungen bei der Krankenkasse sprechen. Tatsächlich sind es die Versicherten, die die Beiträge bezahlen und auch jeden Cent, der von Arbeitgebern in die Sozialversicherungen eingebracht wird, vorher erarbeiten mussten. Wer über Beiträge hinaus »Eigenleistungen« fordert, verlangt real Lohnkürzungen. Das verschärft die Krise.

Um dies zu verhindern, müssen wir mit den genannten Irrtümern aufräumen. Es gibt Alternativen zum neoliberalen Kurs der Regierung. Wir brauchen ein Verständnis vom Sozialstaat, das soziale Sicherheit als Bürgerrecht, nicht als staatliche Freundlichkeit oder als Almosen definiert.

Die Menschen in diesem Land werden gegen ihre zunehmende Entrechtung erst aufstehen, wenn sie davon überzeugt sind, dass Alternativen nicht nur möglich, sondern auch machbar sind. Deswegen schlagen wir einen Sozialkonvent vor, in dem Menschen aus den unterschiedlichen Bewegungen und sozialen Gruppen zusammenkommen, um Strategien zur Erneuerung des Sozialstaats in einer solidarischen Welt zu entwickeln.

katina schubert, katja steinbrenner, netzwerk reformlinke in der pds

No more Coolness

Gefragt »Was tun?«, wird der Kritiker der Gesellschaft nur mitleidig abwinken, allenfalls noch über die masochistische Lust des spätkapitalistischen Subjekts an der Unterwerfung dozieren. Geht es um deutsche Verhältnisse, wird wohl der Hinweis auf den alten Lenin nicht fehlen. Dieser verzweifelte an den hiesigen Revolutionären, die erst mal eine Fahrkarte lösten, wenn sie einen Bahnsteig besetzen wollten.

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Verstrickung so vieler in die Mechanismen der Ein- und Unterordnung weitaus größer ist, als vielen linken Agitatoren lieb sein dürfte. Die Bereitschaft, beim Krisenmanagement 2010 im Stile eines Fahrradfahrers – nach oben buckeln, nach unten treten –mitzutun, ist jedenfalls eher ein Fall für die Couch als für aufklärerische Intervention.

Der Verzicht darauf, den allgegenwärtigen Krisendiskurs, den Konsens über »Reformen« und »Besitzstandswahrung« zu unterlaufen, bedeutet jedoch, das Feld der Kritik jenen zu überlassen, die mit dem Sozialstaat eine überkommene und aberwitzige Form gesellschaftlicher Reichtumsproduktion retten wollen und die bestenfalls wieder bei Lenin landen.

Nicht weniger bedenklich nimmt sich indes jene in Mode gekommene Haltung aus, die das Thema Sozialabbau mit jener Coolness für inkompatibel hält, deren Entstehungsbedingungen untrennbar mit dem Wohlfahrtsstaat deutscher Provenienz verbunden sind. Eine souveräne Staatskritik wird jedenfalls damit leben können, wenn, wie jüngst in Paris, auch mal hier Steine für die Rente fliegen sollten.

holger schatz, autor von »freiheit und wahn deutscher arbeit«

Runter mit der Sonnenbrille

Die Frage, ob der Kampf gegen die Agenda 2010 noch zu gewinnen ist, hängt damit zusammen, wer einen emanzipatorischen Protest tragen könnte. Ein öffentlich auftretender Akteur, die Gewerkschaften, hat seinen Protestwillen bereits mit einer Protestpause zum Ausdruck gebracht. Ein anderer Akteur, die SPD-Linke, entgegnet auf diese Frage: »Der Kampf ist verloren.«

Über 20 000 Unterschriften für das Mitgliederbegehren in der SPD zeigen jedoch, dass der Widerstand an der Basis erheblich ist. Ursachen für sein Scheitern finden sich in der momentanen Struktur der SPD und ihrer Linken.

Entscheidungen von dieser Tragweite wurden nie allein in der SPD getroffen, sondern waren immer Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Und an diesem Punkt stellt sich die Frage, warum als Kritiker in den Medien fast nur SPD-Linke und Gewerkschaften, im außerparlamentarischen Bereich überwiegend nur trotzkistische Gruppen und Erwerbsloseninitiativen in Erscheinung getreten sind.

Eine grundlegende Kritik an der Agenda 2010 war von der radikalen Linken kaum zu erkennen. Das neoliberale Credo, »wer will, der schafft«, und der deutsche Glaube an Disziplin und Ausdauer hat sich bei Teilen der Linken so umfassend durchgesetzt, dass man mit der Gucci-Jacke um die Schultern und der Prada-Sonnenbrille auf dem Kopf erklärt, die soziale Frage verströme Langeweile, man zähle sich zur Elite und habe soziale Auseinandersetzungen nicht mehr nötig.

Was es bräuchte, wären Kräfte, die weder einen Reformismus betreiben, der im Bestehenden verharrt, noch sich kulturell bereits so sehr an die kapitalistische Warengesellschaft angepasst haben, dass sie zu einer Kritik an dieser nicht mehr in der Lage sind.

franziska drohsel, vizevorsitzende der berliner jusos

Sozialforen aufbauen

Der Protest gegen den außerordentlichen Parteitag der SPD war symptomatisch dafür, wie der Widerstand nicht aussehen sollte: Gewerkschaften unter sich, Studierende unter sich, Projekte- und Betroffenenszene unter sich; Beteiligung insgesamt sehr schwach und mit Österreich, Italien und Frankreich nicht vergleichbar; in Evian gleichzeitig zum G8-Gipfel ein Protestaufgebot, das sich sehen lassen konnte. Der scheinbaren Stärke der internationalen globalisierungskritischen Bewegung steht die Schwäche der deutschen globalisierungskritischen, sozialen Bewegung gegenüber.

Die Projekte und Betroffenenbewegungen sollten im Zusammenhang mit den Europäischen Sozialforen von Florenz und Paris im November 2003 ein Band der Gemeinsamkeit von dezentralen, lokalen Widerständen knüpfen, die sich wechselseitig dynamisieren könnten. Internationale Sozialforen sind auf Dauer gefährdet, wenn ein Unterbau des lokalen Widerstands fehlt.

Deshalb haben die Europäischen Sozialforen und das Sozialforum in Deutschland (DSF) angeregt, Sozialforen vor allem in den Regionen und Städten anzugehen. Sie sollen eine große politische Bandbreite repräsentieren: Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Betroffene, Projekte und Initiativen. Der »Protest für sich selbst und allein« soll überwunden werden.

Hierfür müssen sich Gewerkschaften öffnen und nicht nur kooperationsbereit tun, um dann doch alles unter Kontrolle halten zu wollen. Die Initiativenszene müsste die Gewerkschaften zur Kooperation produktiv herausfordern. Solche Sozialforen als Produktivkraft breiten sozialen Widerstands sind schon entstanden, etwa in Tübingen, Wuppertal, Köln, oder im Entstehen, wie in Berlin, Witten oder Stuttgart. Sie sind die einzige zurzeit denkbare Chance, die segmentierten Widerstände konstruktiv zu bündeln.

Zudem müssen gesellschaftliche Alternativen auf den Tisch kommen. Wir hätten sehr wohl Konzepte zur Arbeitsteilung, zur geschlechterdemokratischen Erwerbs-, Haus- und Erziehungsarbeit, zur Suche von einer Million gesellschaftlich sinnvollen Arbeitsplätzen, die auch gesellschaftlich zu finanzieren sind. Und wir hätten doch Konzepte, wie mit einer Grundsicherung die minima moralia eines Sozialstaats aussehen könnten, die besser sind als die gegenwärtige Sozialhilfe.

Der globalisierungskritische Widerstand wird auf Dauer nur eine nachhaltige Wirkung haben, wenn ihm der Unterbau des sozialen Widerstands korrespondiert. Den Unterbau mit regionalen und Sozialforen anzugehen, ist ein politisches Gebot der nächsten Monate und Jahre.

peter grottian, politologe an der fu berlin