Auf Abruf schuften

Die Regierung Berlusconi will den italienischen Arbeitsmarkt zu einem der flexibelsten in Europa machen. von wibke bergemann

Während in Frankreich und Österreich massenhaft gegen soziale Kürzungen demonstriert wird, arbeitet die Regierung in Rom zielstrebig daran, den italienischen »Arbeitsmarkt zu einem der flexibelsten in Europa« zu machen, wie Ministerpräsident Silvio Berlusconi gerne verkündet. Mit einem ganzen Paket möglicher Vertragsmodelle sollen neue, liberalisierte Arbeitsverhältnisse geschaffen werden: von Leiharbeit über Gelegenheitsarbeit bis zu Anstellungen »auf Abruf«. Doch der Widerstand der Opposition bleibt verhalten. Und selbst die drei großen italienischen Gewerkschaften, die noch im Mai einen Generalstreik androhten, beschränkten sich bislang auf rhetorische Attacken.

Zudem erlitt die Opposition in der vergangenen Woche eine schwere Niederlage. Ein Referendum zur Ausweitung des Kündigungsschutzes scheiterte an einer lächerlich geringen Beteiligung. Mit einer Änderung des so genannten Artikels 18, eines Passus aus einem Gesetz von 1970, sollte das Recht der Arbeitnehmer, bei einer ungerechtfertigten Kündigung wieder angestellt zu werden, auch auf die Angestellten in kleinen und mittleren Betrieben ausgeweitet werden. Das betrifft immerhin rund drei Millionen Menschen. Doch nur 25,7 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an der Volksabstimmung teil. Der Artikel 18 bleibt also unverändert.

Ein Grund für die Niederlage war die schlechte Vorbereitung des Referendums. Darüber hinaus war man sich selbst innerhalb der Mitte-Links-Opposition nicht einig. Lediglich die Grünen, Rifondazione comunista, die Partei der italienischen Kommunisten, und der linke Flügel der Linksdemokraten, der größten Partei im Olivenbaum-Bündnis, unterstützten das Referendum. Die großen Gewerkschaften CISL und UIL sowie prominente Oppositionspolitiker warben dafür, mit »Nein« zu stimmen. Die Probleme der kleinen Betriebe seien besser im Parlament zu bewältigen, meinte Piero Fassino, Generalsekretär der Linksdemokraten. So zeigte das Referendum vor allem, wie zerstritten die italienische Opposition ist.

Der Ausgang der Abstimmung könnte weit reichende Konsequenzen haben. Schon zuvor hatte der Vorsitzende des Industrieverbandes Confindustria, Antonio D’Amato, angekündigt, nach einem »Nein« der Italiener werde man über weitere Einschränkungen beim Kündigungsschutz verhandeln. Dann werde es leichter sein, »eine Lösung zu finden, um den Betrieben Neueinstellungen zu erleichtern und somit Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit zu bekämpfen«. Der Kündigungsschutz sei nun nicht länger ein Tabu, kommentierte ein Staatssekretär aus dem Sozialministerium das Abstimmungsergebnis: »Ein Großteil der Italiener hat gezeigt, dass die in Artikel 18 enthaltenen Rechte nicht als fundamental erachtet werden.«

Als empfindlicher könnten sich die Italiener erweisen, wenn es um die Rente geht. Derzeit arbeitet die Berlusconi-Regierung an einer Reform der Altersversorgung. Im Gespräch sind die Anhebung der Lebensarbeitszeit sowie die Abschaffung der in Italien üblichen zusätzlichen Abfindungen für Pensionäre. Spätestens wenn die Regierung die Renten für zwei Jahre einfrieren möchte, könnten die Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen. Doch noch hält sich der zuständige Sozialminister Roberto Maroni zurück. Denn das Thema der Rentenreform ist auch für Berlusconi nicht ohne Brisanz: In seiner ersten Regierungszeit hatte 1994 die Ankündigung, an den Renten sparen zu wollen, einen Generalstreik ausgelöst. 1,5 Millionen Menschen demonstrierten damals in Rom, die Lega Nord trat aus der Koalition aus.

Allerdings bestehen einige Unterschiede zur heutigen Situation. Berlusconi verfügt nun auch ohne die rassistische Partei von Umberto Bossi, der in der vergangenen Woche mit der Aussage, man müsse mit Kanonen auf Flüchtlingsboote schießen, wieder auf sich aufmerksam machte, über eine parlamentarische Mehrheit.

Immerhin, Gegenwind erfuhr Berlusconi von der italienische Presse. Anfangs streikten die Mitarbeiter der Zeitungen und Presseagenturen. Auch die Journalisten der staatlichen Radio- und Fernsehsender (Rai) beteiligten sich eine Woche später an dem Ausstand. Ihre Begründung war ungewöhnlich; der Journalistenstreik richtete sich nicht gegen Lohnkürzungen, sondern gegen den wachsenden Einfluss der Politik und der Zensur auf die Medien.

Auslöser war der Rücktritt von Ferruccio De Bortoli als Chefredakteur des konservativen Corriere della Sera. Zwar nannte er »persönliche Gründe« für seinen Rücktritt. Doch wahrscheinlicher ist, dass er dem Druck der Regierung nicht länger standhalten konnte. Der Nationale Presseverband FNSI, der zu dem Generalstreik aufrief, hält die Situation im gesamten Informationssektor für »äußerst bedenklich«. Eine Mobilisation dieses Ausmaßes sei notwendig gewesen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erwecken.

Erfolgreich verlief der Streik der Alitalia-Angestellten, die Anfang Juni den italienischen Flugverkehr weitgehend lahm legten. Neben den Piloten und dem Bordpersonal streikten auch die Beschäftigten auf allen wichtigen Flughäfen des Landes. An einigen Orten schlossen sich außerdem die Fluglotsen den Protesten gegen eine Liberalisierung des Flugverkehrs an.

Zehntausende Passagiere mussten wegen des Ausstandes auf dem Boden ausharren. Die italienischen Medien sprachen von einer »merkwürdigen Epidemie«, die unter den Hostessen und Stewards der Alitalia ausgebrochen war. An den Streiktagen gingen täglich rund tausend Krankmeldungen ein – das betraf etwa die Hälfte des Bordpersonals. Alitalia versicherte daraufhin, den Forderungen der Streikenden nachzukommen und das Kabinenpersonal nicht wie geplant zu reduzieren.

Die italienische Regierung verurteilte die Proteste als »unzivil und ungerechfertigt«. Carlo Giovanardi, Minister für die Beziehungen mit dem Parlament, kündigte an, dass die Verantwortlichen festgestellt werden, um gegen sie strafrechtlich vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft in Rom ermittelt inzwischen, ob sich die Angestellten strafbar gemacht haben, die von der »Epidemie« angesteckt wurden.

Ministerpräsident Silvio Berlusconi nutzte unterdessen die Streiks für ein absurdes Alibi. Als der Präsident der Banca d’Italia, Antonio Fazio, vor einem weiteren Sinken des italienischen Wirtschaftswachstums warnte, gab der Regierungschef die Schuld gleich weiter: »Jeder sollte seine Verantwortung wahrnehmen zugunsten einer höheren Produktion und nicht die Arbeit niederlegen bei einem Streik, der Folgen für die nationale Wirtschaftsbilanz hat.«