Bisons im Mondlicht

Skandal um Thüringer Polizisten

Ein ganz normaler Betriebsausflug hätte es werden sollen für die »Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit« der Thüringer Polizei: Am 16. November 2002 rückte der Erfurter Einsatzzug »Bison« in Hamburg an, um anlässlich einer Demonstration für den Bauwagenplatz Bambule Amtshilfe zu leisten. Die berüchtigte Truppe schwang die Knüppel und schlug dabei auch zwei Zivilbeamte aus Schleswig-Holstein krankenhausreif.

Kürzlich begann vor dem Hamburger Amtsgericht der Prozess gegen die Thüringer Polizisten Steffen H., Patrick R. und Heiko R. Die Angeklagten stritten die Vorwürfe zunächst ab, nur Heiko R. konnte sich daran erinnern, einen »ungepflegten Südländer« vermöbelt zu haben, der ihn angeblich angegriffen habe. Gemeint war Erkan D., einer der beiden Zivilbeamten aus Schleswig-Holstein. Dessen Kollege Dirk R. sprach von einer »Hammeraktion« der Erfurter. Die Uniformierten seien grundlos »in einem Affenzahn« auf sie zugerannt und hätten sofort losgeknüppelt. Das Rufen des Codewortes »Mondlicht« habe die Erfurter Kollegen nicht aufhalten können.

Zum zweiten Verhandlungstag erschienen die Angeklagten erst gar nicht. Alle drei hatten gleich lautende Atteste von Erfurter Amtsärzten, in denen ihnen Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wurde. Da die Papiere darüber hinaus »weder Diagnose noch Prognose« enthielten, wertete der Amtsrichter Thomas Semprich sie als »Gefälligkeitsgutachten« und erließ Haftbefehle.

Daraufhin setzte auf politischer Ebene eine groteske Betriebsamkeit ein, die darin gipfelte, dass der Thüringer Innenminister Andreas Trautvetter (CDU) Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) persönlich das Erscheinen der Polizisten vor Gericht zusicherte. »Ich gehe davon aus, dass damit die Voraussetzungen für die Aussetzung der Haftbefehle vorliegen«, schrieb Trautvetter. Die Hamburger Behörde ließ erstaunt verlauten, sie habe nicht über die Rechtmäßigkeit von Haftbefehlen zu entscheiden. Die Beschwerdekammer des Amtsgerichts ersparte den Erfurtern zumindest das Wochenende in U-Haft, indem sie die Vollstreckung der Haftbefehle bis zum nächsten Verhandlungstag aussetzte.

Vier Tage später erschienen die wundersam genesenen Angeklagten zusammen mit ihrem Vorgesetzten vor Gericht. Roland Richter, der leitende Polizeidirektor von Erfurt, sollte erläutern, warum er persönlich beim Vorsitzenden Richter angerufen und versucht hatte, den Verteidigern ihre Prozesstaktik vorzuschreiben. Ulfert Jährig, einer der Verteidiger, bemerkte süffisant, Polizeidirektor Richter habe ihn so oft angerufen, dass sein Büro ihm eine »Standleitung nach Erfurt« empfohlen habe.

Polizisten, die grundlos Kollegen verprügeln, ein leitender Polizeidirektor, der die Verteidigung gleich selbst in die Hand nimmt, Amtsärzte, die Gefälligkeitsgutachten ausstellen, und ein Innenminister, der glaubt, Haftbefehle außer Kraft setzen zu können, wenn er beim Hamburger Justizsenator Druck macht. Nur weil die Opfer zufällig Polizeibeamte sind, erfährt die Öffentlichkeit, wie es um die Gewaltenteilung bestellt ist. Werden die Angeklagten zu weniger als zwölf Monaten Haft verurteilt, dürfen sie im Staatsdienst bleiben, ansonsten gibt es in Thüringen drei Arbeitslose mehr.

andrej reisin