Václav heißt jetzt Klaus

Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus hat gelernt, aus allen Niederlagen als Sieger hervorzugehen. von gerd lembke

Wie in jedem Jahr rüsteten sich die Organisatoren des Ethno-Musikfestivals »Respect« zu ihrem zweitägigen Festival auf der Prager Burg. Für »Toleranz und Völkerverständigung« werben die Musiker aus allen Erdteilen und bringen den Geruch der weiten Welt in den zuweilen muffigen böhmischen Kessel.

Doch nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Václav Klaus Anfang März mussten sich die Veranstalter einen neuen Ort suchen. Klaus ließ umgehend den Vertrag kündigen, den sein Vorgänger Václav Havel geschlossen hatte. Auch mit einer anderen großzügigen Geste von Havel hat der neue Staatspräsident Klaus nichts im Sinn: Bis auf weiteres wird es keine Begnadigungen mehr geben.

In vieler Hinsicht versucht sich Klaus von seinem ungeliebten Vorgänger abzugrenzen. Im Unterschied zu dem lungenkranken Dissidenten und Literaten setzt der neue Staatspräsident auf Vitalität und sportliche Fitness. Der passionierte Tennisspieler und Skifahrer ließ sich im vergangenen Jahr nach einem Volksmarsch mit nacktem Oberkörper fotografieren. Eine Liebesaffäre hat ihn im letzten Herbst eher populärer gemacht. Vor allem deshalb, weil seine Frau Livia zu ihm hielt, als sein Verhältnis in der Boulevardzeitung Blesk breitgetreten wurde.

Václav Klaus hat vermutlich wie kein zweiter Politiker das Land nach der Wende geprägt. So hat erst kürzlich der ehemalige Bürgerrechtler Havel öffentlich bekundet, mit seinem Anliegen gescheitert zu sein. Sein Wunsch, eine Gesellschaft zu schaffen, die auf dem Respekt vor dem Bürger gründet, habe sich nicht realisieren lassen, meinte er. Verantwortlich dafür ist auch Klaus, der Anfang der neunziger Jahre zunächst als Finanzminister und anschließend als Premierminister die Weichen für den Übergang in den Kapitalismus stellte.

Er setzte seine Pläne, die »Marktwirtschaft ohne Attribute« und die Schaffung einer neuen Oberschicht in Böhmen und Mähren, konsequent um. Schnell entstand hier nach der Wende eine Goldgräberstimmung, das Land stieg nach der Trennung von der Slowakei 1993 zum Musterschüler der Transformation in Osteuropa auf. Auf dem Höhepunkt dieses Booms Mitte der neunziger Jahre erklärte Klaus: »Ich kenne kein schmutziges Geld.«

Gerne ließ er sich dabei ablichten, wie er sich mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher ins Gespräch vertiefte. Mit ihrer Ideologie – es gibt keine zusammenhängende Gesellschaft, sondern nur Individuen, die ihre eigenen Interessen vertreten – und dem ungebrochenen Glauben an die Selbstregulierungskräfte des Marktes führte Klaus den Kapitalismus in Tschechien ein.

Die von ihm entworfene so genannte Coupon-Privatisierung glich einem soziologischen Experiment. Jeder konnte »Aktien«, so genannte Coupons, von dem Unternehmen kaufen, in dem er beschäftigt war. Mit einem Schlag wurde aus den bis dahin planwirtschaftlich gelenkten Tschechen eine Gesellschaft von Kleinaktionären. Durch die nachfolgende Umverteilungen sollte eine stabile Eigentumsstruktur entstehen und sich eine neue Unternehmerschaft herausbilden.

Noch zehn Jahre nach der Coupon-Privatisierung wehrte sich Klaus heftig gegen die Verantwortung für die negativen Folgen. »Die Coupon-Privatisierung mit Diebstahl zu verbinden, ist demagogisch und unberechtigt. Die Entfaltung der Kriminalität, keineswegs nur in der Wirtschaft und im Finanzwesen, war unausweichlich.«

Doch die nach dem Ökonomie-Lehrbuch angeordnete Privatisierung wies erhebliche Mängel auf. Trotz seiner offen zur Schau gestellten neoliberalen Gesinnung ließ er die Geldinstitute in staatlicher Hand. Banken wurden zu Selbstbedienungsläden für windige Unternehmer. Gemeinsam mit bestochenen Politikern und Kreditprüfern konnten Kontrollmechanismen bei der Vergabe von Krediten leicht umgangen werden. Doch der Karriere von Klaus, dem unumstrittenen Vorsitzenden der Bürgerlichen Demokraten (ODS), schien diese Entwicklung nicht zu schaden.

Erst 1997 erhielt die Laufbahn des Mannes, der sich gerne mit dem Professorentitel anreden lässt, einen Knick. Verstrickt in Parteispendenaffären und unter dem Druck einer innerparteilichen Opposition, wurde die Regierung vom Staatspräsidenten Havel zum Rücktritt gezwungen. »Ich wurde der erste Sündenbock der Transformation«, kommentierte Klaus. Nach seinem Rücktritt entwickelte er seine Aversionen gegen den Präsidenten und ehemaligen Dissidenten Havel, der sich seiner Meinung nach zu sehr in die aktuelle Politik einmischte.

1998 trat eine Gruppe um den ehemaligen Dissidenten Jan Ruml aus der ODS aus und gründete die Freiheitsunion US. Das konservative Lager war zum ersten Mal nach der Wende tief gespalten. Das ebnete den Sozialdemokraten bei den vorgezogenen Neuwahlen Ende der neunziger Jahre den Weg an die Regierung.

Klaus ist jedoch nicht jemand, der die Macht so einfach abgibt. Nach erfolglosen Koalitionsverhandlungen bot der zum Oppositionschef abgestiegene Klaus seinem größten politischen Widersacher, dem Sozialdemokraten Milos Zeman, einen Pakt an. Die Konservativen tolerierten die sozialdemokratische Regierung, konnten aber mit Hilfe ihres Schattenkabinetts großen Einfluss ausüben. Heftige außerparlamentarische Proteste regten sich gegen dieses als »Oppositionsvertrag« bekannte Konstrukt, in dem sich die zwei bekanntesten Politiker des Landes die Macht förmlich aufteilten.

Doch das Kalkül ging nicht auf. Der Unmut über den politischen Stillstand im Lande fiel bei der Wahl im vergangenen Jahr auf ihn zurück, während die Sozialdemokraten von dem bescheidenen, aber spürbaren Wirtschaftswachstum nach den Rezessionsjahren profitierten. Die politische Karriere des Václav Klaus war damit eigentlich beendet. Denn selbst die eigene Partei wollte sich ihres erdrückenden Dauervorsitzenden entledigen. Auf dem Parteitag der ODS im vergangenen Herbst wurde dann ein Weg gefunden, ihn abzulösen, ohne ihn zu brüskieren.

Dass Klaus’ politischer Stern, der sich schon deutlich geneigt hatte, trotzdem wieder über der Prager Burg aufgestiegen ist, verdankt er vor allem der Unfähigkeit der Regierungskoalition, sich auf einen Präsidentschaftskandidaten zu einigen. Nach zwei ergebnislosen Wahlrunden wurde er zum Präsidenten der Republik gewählt.

Dass dabei ausgerechnet die Unterstützung der kommunistischen Abgeordneten ausschlaggebend war, erweckte bei vielen großen Unmut. Schließlich hatte Klaus immer darauf bestanden, sich niemals mit ihnen eingelassen zu haben. Er hatte sogar verhältnismäßig unbeschadet die Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings überstanden. Weil er kein Parteimitglied war, »vergaß« man ihn bei den Säuberungen. 1970 musste er zwar das Wirtschaftsinstitut verlassen, in dem er arbeitete, bekam dafür aber einen neuen Job in der Staatsbank. »Ich würde strikt den Antikommunismus vom Nicht-Kommunismus unterscheiden. Das erste Prinzip lehne ich ab, das zweite vertrete ich«, erklärte er kurz nach der Wahl seine Sicht der Dinge. Und damit wohl auch sein Rezept, wie man immer oben schwimmt.