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Proteste gegen die Finanzreform von anita baron

Schon bald gehört Tschechien zur Europäischen Union, und die Koalitionsregierung in Prag ist mit Volldampf dabei, ihre Finanzpolitik den westeuropäischen Standards anzugleichen. Das heißt vor allem: Sparen. Ihr wichtigstes Anliegen in diesem Jahr ist die so genannte Bugdetsanierung und dafür sind Kürzungen in Höhe von rund 200 Milliarden Kronen (6,5 Milliarden Euro) vorgesehen.

Die Gründe dafür sind denen in Deutschland oder Frankreich durchaus vergleichbar. Die Staatsschulden sind in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen, die Sozialausgaben wachsen ebenso wie die Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt, dass die Regierung jetzt Forderungen begleichen muss, die noch aus der Zeit der kapitalistischen Privatisierung in den neunziger Jahren stammen. So muss der tschechische Staat nach dem Urteil eines internationalen Schiedsgerichts an die US-amerikanische Gesellschaft CME mehr als zehn Milliarden Kronen (rund 330 Millionen Euro) überweisen. Diesen Betrag hatte die Gesellschaft in den privaten TV-Sender Nova investiert, der sich dann ohne weitere Entschädigung von CME getrennt hatte. Den fehlenden Betrag begleichen jetzt die tschechischen Steuerzahler.

Wie, das zeigen die Vorlagen der geplanten Finanzreform. Neben Einsparungen bei der Sozialhilfe und bei der Krankenversicherung will die Regierung auch die Mehrwertsteuer erhöhen, in einigen Bereichen von fünf auf 22 Prozent. Die Tageszeitung Mlada Fronta Dnes schätzt, dass die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer für viele Waren und Dienstleistungen jede Familie im Monat einige hundert Kronen kosten wird.

Betroffen von den Kürzungen sind aber vor allem die staatlichen Beschäftigten im Gesundheitswesen und im Bildungssektor, die seit Jahren eine Erhöhung ihrer Gehälter fordern. Sie müssen nun wohl noch lange auf eine Angleichung warten – obwohl die Regierung bei ihrem Antritt noch versprochen hatte, die Lehrergehälter auf EU-Niveau zu heben. Die Universität Olomouc hatte bereits – erstmals in der Geschichte der tschechischen Hochschulen – im Juni einen Warnstreik durchgeführt. Ihren Forderungen haben sich bislang 6o Fakultäten aus der gesamten Republik angeschlossen. Und auch die Lehrergewerkschaften drohen nun damit, zu Beginn des neuen Schuljahres im September den Unterricht zu bestreiken. Der Aufruf wird von den anderen großen Gewerkschaftsverbänden unterstützt.

Was die meisten Beschäftigten ärgert, ist nicht nur die aktuelle Misere, sondern das, was ihnen nach dem Eintritt in die EU droht. Aktuelle Untersuchungen gehen davon aus, dass das durchschnittliche Einkommen in den nächsten zehn Jahren von derzeit rund 15 400 Kronen (etwa 500 Euro) auf 33 000 Kronen (rund 1 060 Euro) steigen und damit gerade mal etwa 50 Prozent des westeuropäischen Niveaus erreichen wird. Eine vollständige Angleichung wird erst für die Mitte des Jahrhunderts prognostiziert.

Wesentlich schneller wird sich hingegen das Preisniveau, das derzeit noch etwa halb so hoch wie in Deutschland ist, dem westeuropäischen Niveau angleichen. In manchen Fällen ist dies bereits geschehen, wie beispielsweise auf dem Immobilienmarkt. In Prag eine bezahlbare Wohnung zu finden, gestaltet sich mittlerweile ähnlich schwierig wie in Paris oder München.

Gut möglich also, dass in Tschechien bald nicht nur wie in Berlin gespart, sondern auch wie in Paris protestiert wird. Zumindest auf diese Perspektive hat sich die Regierung gut vorbereitet. Denn eine Berufsgruppe ist von ihrer Sparpolitik ausgenommen und wurde sogar mit großzügigen Gehaltserhöhungen bedacht. Die Löhne der Polizisten sollen jetzt um 30 Prozent steigen.