Wo es in Europa knackt

EU-Verfassung von thomas uwer

»Kurz, knackig, intensiv und ergebnisorientiert« nannte der deutsche Außenminister Joseph Fischer die vier Grundpfeiler einer europäischen Verfassung. Auch wenn von Kürze angesichts des in der vorigen Woche vom Europäischen Konvent verabschiedeten Entwurfs, der mehrere hundert Seiten umfasst, keine Rede sein kann, so bleibt doch die gewünschte »Ergebnisorientierung« gewahrt.

Denn knackig und kurz bleibt das Dokument da, wo Bürgerrechts- und Flüchtlingsorganisationen grundlegende Änderungen anmahnten, während sich das Hauptaugenmerk der Verhandlungen vor allem Fragen der Kompetenz und der Verteilung künftiger Regierungsinstitutionen in der Union widmete. Damit sei ein Konsens gelungen, sagte Fischer, »der das Europa der 25 handlungsfähiger und transparenter« gestalte.

Fischers Wortwahl sollte stutzig machen. Die Adjektive »knackig«, »ergebnisorientiert« und »handlungsfähig« passen nicht zu einem Vertragswerk, das die Rechte der Bürger gegenüber dem Staats- und Verwaltungsapparat garantieren soll. Persönlichkeits- und Individualrechte schränken nun mal die Verfügungsgewalt des Staates ein.

Handlungsfähigkeit und Kürze sind daher genauso wenig Ziel oder Eigenschaft einer demokratischen Verfassung wie Sicherheit, Pünktlichkeit und eine gesunde Ernährung. Vor allem Flüchtlingsorganisationen setzten daher darauf, dass mit einer europäischen Verfassung der exekutiven Praxis der EU endlich auch ein einschränkender rechtlicher Rahmen gegeben werde.

Denn mit ihrem Flüchtlings- und Grenzregime hat sich die EU längst als handlungsfähige Exekutive erwiesen, während sowohl die europäische als auch die nationale Legislative aus dem Entscheidungsprozess praktisch ausgegrenzt wurden. Auf diese Weise war es Regierungen möglich, Vorhaben, die in den nationalen Parlamenten kaum mehrheitsfähig gewesen wären, auf europäischer Ebene durchzusetzen.

Dabei besitzt das Europäische Parlament bei Asyl- und Einwanderungsfragen nicht mehr als ein Konsultationsrecht. Der institutionelle Einigungsprozess der EU ist in kaum einem Bereich derart fortgeschritten wie in der Schaffung repressiver Apparate zur Bekämpfung der Kriminalität und der illegalen Einwanderung. Gerade in diesen Bereichen, die am unmittelbarsten die Individual- und Persönlichkeitsrechte der Bürger der EU berühren, existieren praktisch keine Kontrollinstanzen. Knackiger geht es kaum.

Es war der deutsche Innenminister Otto Schily, der eine europäische Definition des Flüchtlingsbegriffs blockierte, die auch für die deutsche Einwanderungs- und Asylpraxis bindend gewesen wäre. Ein europäisches Asylrecht nämlich würde, so repressiv es auch ausfiele, Deutschland zu weit reichenden Nachbesserungen der nationalen Rechtsprechung verpflichten. Und damit genau das nicht passiert, hat der Konvent nun auf den Druck der Bundesregierung hin die Gültigkeit der europäischen Verfassung eingeschränkt.

In Fragen der »Zuwanderung zu den Arbeitsmärkten« werden auch zukünftig die nationalen Regierungen das Sagen haben. Ein »gutes Gleichgewicht zwischen den Institutionen der EU« nennt der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder deshalb das Vertragswerk. Europa müsse »politisch führbar und damit handlungsfähig bleiben«. Und außerdem knackig, intensiv und ergebnisorientiert. Ganz nach deutschem Gusto.