Hart knallt die Sonne

Wer »Trainspotting« als drogenverherrlichend kritisierte, braucht bei »The Spun« Tranquilizer. von andreas hartmann

Ross ist ein Loser. College geschmissen, von der Freundin verlassen, in der Tasche immer noch den Mitgliedsausweis für die Generation X. Er braucht was. Speed, Dope, Meth, Cristal, Ice, Zip, Tweed, egal was, am besten alles zusammen. Das Schlimme ist nur: Er braucht es jetzt. Deshalb hockt er ja überhaupt in diesem abgewrackten Loch von diesem Freak Spider Mike, der wahrscheinlich selbst mal wieder voll drauf ist. Denn der hat schlicht vergessen, wo er den ganzen Stoff hingepackt hat. Ross wird nervös, knabbert an seinen Fingernägeln: Konzentrier’ dich doch, Mike! Es ist hoffnungslos. Cookie, die hier auch noch rumhängt, geht Mike auf die Nerven, Nikki macht Ross nur noch nervöser, und im Hintergrund daddelt der total verblödete Frisbee, dem Pickel so groß wie Erdnussbutterplätzchen auf der Stirn kleben, dieses abartige Game, in dem man Affen sich gegenseitig abmurksen lassen muss. Irgendwann geht doch noch was. Her mit dem Scheiß. Die Pupillen weiten sich schlagartig, der Körper zieht sich zusammen, die Welt dehnt sich aus, das Leben kehrt in Ross’ ausgebranntes Gehirn und seinen verdorrten Körper zurück. Jetzt kann es losgehen, der Trip beginnt. Drei Tage lang. Nur auf Droge, kein Schlaf. Schlafen kann er, wenn er tot ist.

Was für ein Film! »Spun« wird mit »Trainspotting« und »Requiem for a Dream« verglichen, zwei Drogenfilmen, denen vorgeworfen wurde, sie ließen Drogenkonsum zu glamourös erscheinen. Nach der Sichtung von »Spun« dürften moralisierende Filmkritiker wohl erst mal zu ein paar Tranquilizern greifen. Denn in »Trainspotting« war die Musik zwar tatsächlich unerhört gut und Ewan McGregor sah phantastisch aus, doch wer hier Heroin nahm, musste immerhin auch damit rechnen, bald unter der Erde zu liegen, und wer entzieht, erblickt nicht das Nirvana, sondern sieht sich selbst als Baby an der Decke herumspechten. Und so wie die Speedfreak-Hausfrau im fortgeschrittenen Verkommenheitsstadium in »Requiem for a Dream« möchte schließlich auch niemand aussehen. Wenn diese beiden Filme also Drogen verharmlosen, was macht dann bitteschön »Spun«? Wenn hier jemand was schnupft, schluckt, raucht oder spritzt, dann geht erstmal die Sonne auf, oder man sieht zumindest diese beschissene Welt um einen herum als Paradies, oder man hat wenigstens imaginär Sex mit dieser Tabledance-Schnalle. Und was für einen Sex! Und man denkt sich als Zuschauer nur noch: Egal, was der Typ da gerade nimmt, genau dieses beschissene Pulver will ich auch.

Der Drogenfilm an sich ist nichts Neues. Drogen und Kino haben schon immer zusammengehört – bereits 1894 drehte Thomas Edison mit »Opium Joint« sozusagen einen Genrefilm. Drogen, Kino und Popkultur haben ebenfalls schon immer zusammengehört. Sixties-Exploitation-Streifen wie Roger Cormans »The Trip«, »Alice In Acidland«, natürlich »Easy Rider« mit dem berühmten bad acid-Trip, Andy Warhols »Chelsea Girls«, später in den Achtzigern und Neunzigern Filme über Drogen und HipHop-Kultur wie »New Jack City« oder Larry Clarks »Kids« sowie »Fear and Loathing in Las Vegas«: Drogen bringen die Handlung voran, Drogen prägen die Bildästhetik. Drogen und Popkultur haben das Kino entscheidend verändert, das ist auch die These von Peter Biskind in seinem Buch »Easy Riders, Raging Bulls – Wie die Sex& Drugs&Rock’n’Roll-Generation Hollywood rettete«. Plötzlich, wir befinden uns Ende der Sechziger, wollten die Leute Filme sehen, in denen Biker, Hippies und Outlaws sich Trips vor der untergehenden Sonne mitten in Amerikas Pampa schmissen.

Das Prinzip ist eigentlich ganz simpel. Drogenvisionen erlauben es, den Film und seine Handlung zu entgrenzen. Wenn was an der Story nicht ganz stimmig sein sollte, egal, das lag an den Drogen, das war eine Vision. Will man den Kinogängern zeigen, was man so drauf hat als Kameramann, was technisch möglich ist – auf geht’s, eine Tripsequenz muss her, und das Kino wird zum Medium des Rausches, wie es sich Walter Benjamin selbst im zugedröhntesten Zustand nicht hätte träumen können. Und dazu, klaro: Rockmusik oder Ligeti, irgendeine Drogenmusik.

Jonas Akerlunds »Spun« ist nun das postmoderne Opus magnum des Drogenfilms, vielleicht Höhepunkt und Endpunkt des Genres. Was »Braindead« für den Splatterfilm war, ist »Spun« für den Drogenfilm: Mehr geht nicht. Ähnlich wie in der japanischen Mangaverfilmung »Uzumaki – Die Spirale«, in dem sich nicht nur die Menschen im Film zu Spiralen verwandeln, sondern man selbst als Zuschauer irgendwann das Gefühl hat, sich im Sog einer Spirale zu befinden, wird einem in »Spun« irgendwann klar, dass man auch drauf ist. Zeit und Raum werden relativ, Filmhandlung und Realität greifen ineinander, der Nachbar im Kinosessel sieht aus wie Mickey Mouse mit dem Gesicht von Daniel Küblböck.

Die Handlung von »Spun«: Handlung? Nur ganz grob: Nachdem Ross bei Spider Mike wieder zu einem Menschen wurde, bekommt er einen Job bei Cook, dem abgewixten Cowboy, dessen Köter von den Dämpfen in seinem Drogenlabor grün angelaufen ist. Doch erstmal braucht er eine Runde Fesselsex mit der Stripperin, die bestimmt gerne drei Tage lang an sein Bett gefesselt bleiben möchte. Frisbee hat inzwischen zwei Bullen auf die Spur von Spider Mike gebracht. Die Bullen sind so Reality-TV-Cops, die sich nach einer Prise Methamphetaminen cooler als Dirty Harry finden, Frisbees Pickel sind inzwischen so groß wie Pizzen, und in dem Moment, als die Bullen die Bude seiner Mutter stürmen, sieht die gerade im Reality TV, wie Cops ihre Bude stürmen. Ein echter Trip. Der Rest: so ähnlich.

Der Regisseur Jonas Akerlund hat bislang Videoclips in der höchsten Liga gedreht. Für Madonna, Roxette und ähnliche Kaliber. »Spun« ist wieder ein Clip geworden, einer auf Spielfilmlänge, der dennoch so tut, als gäbe es keine Zeit zu vergeuden, als zähle jede Sekunde, da die Musik im nächsten Moment schon aus sein könnte.

Auch die Besetzung von »Spun« ist perfekt. Mickey Rourke spielt den aufgedunsenen White-Trash-King The Cook, mit Bizeps so dick wie die Oberschenkel von Arnold Schwarzenegger, mit echt schlimmen Cowboystiefeln und einer Vorliebe für so richtig miese Pornos. Jason Schwartzman, der nerdige Loser aus WT Andersons »Rushmore«, ist Ross, Brittany Murphy aus »Eight Miles« ist Nikki, und Debbie Harry persönlich spielt eine ziemlich unvorteilhaft aussehende Kampflesbe. Klar, das tut alles beinahe schon weh, so cool fügt sich bei »Spun« eines zum anderen. Die Musik kommt von Billy Corgan, der leider nicht ganz so weggetreten zur Akustischen jammert wie Vincent Gallo, aber das ist dann auch schon wieder egal. Wem das Geseufze des ehemaligen Smashing Pumpkins-Sängers nichts taugt, kann es sich ja schön schnupfen oder zur Not auch saufen.

»The Spun«, USA 2002. Regie: Jonas Akerlund.

Start: 7. August