Chirac global

Die Gefahr der Vereinnahmung

Von »Globalisierungsgegnern« spricht man in Frankreich bereits seit längerem nicht mehr. Der Begriff »altermondialistes« hat sich durchgesetzt – für die Anhänger einer »alternativen Globalisierung«. Dadurch möchte die Protestbewegung deutlich machen, dass sie nicht gegen das Näherrücken der verschiedenen Teile des Planeten kämpfe, sondern für eine andere Weltwirtschaftsordnung als die derzeitige und für Internationalismus.

Mag dies bei manchen Beteiligten, vor allem bildungsbürgerlichen Mitgliedern der altermondialistes-Initiativen oder des Netzwerks attac, eher idealistischen Vorstellungen entspringen, so ist dieses Anliegen doch für die meisten an konkrete soziale Kämpfe geknüpft. Teilnehmer des Lehrerstreiks von April bis Juni, des fortwährenden Ausstands der französischen Kulturarbeiter und anderer sozialer Bewegungen stellten einen großen Teil der über 250 000 Menschen, die auf dem Larzac-Plateau zusammenströmten. Der soziale Gehalt des Protests ist dabei im Jahr der Frühjahrsstreiks präzise fassbar. Und Internationalismus wird groß geschrieben.

Wer also hoffte oder fürchtete, die Kämpfe der altermondialistes oder José Bovés seien für ein rechtes, nationalistisches Projekt vereinnahmbar, sieht sich enttäuscht. Zwar versuchen viele bürgerliche Medien, den Bauerngewerkschafter zum nationalen Maskottchen zu machen, das angeblich nur für das gute französische Essen und gegen US-Fastfood kämpfe. Doch hat Bové nie einen Zweifel daran gelassen, dass er gerade auch französische transnationale Konzerne und das »produktivistische und auf Export ausgerichtete Agrarmodell der EU« bekämpft.

Die Neofaschisten täuschen sich in diesem Punkt nicht. Sie warnten stets davor, »in die Falle Bové zu tappen« – als Internationalist sei er »in Wahrheit nur ein verkappter und um so gefährlicherer Globalist«. Auch dass Bové stets die Sans papiers in ihrem Kampf um Aufenthalts- und soziale Rechte verteidigte, schmeckt ihnen natürlich nicht.

Dennoch ist keine Entwarnung angebracht, was die Gefahr einer Vereinnahmung betrifft. Dies verdeutlicht das Auftreten von Präsident Jacques Chirac im Vorfeld des G 8-Gipfels von Evian, der Anfang Juni stattfand. Chirac empfing eine ganze Reihe von NGO, vom Roten Kreuz über Greenpeace bis hin zu attac. Für »nachhaltige Entwicklung« setze er sich natürlich ein, versicherte Chirac, für die Belange der Umwelt und der Dritten Welt. »Der Bluff Chirac« titelte deswegen die Tageszeitung Libération am 30. Mai.

Doch das Risiko besteht, dass die EU – bemüht darum, der Welt ein softeres und humaneres Antlitz vorzuführen als der große Rivale USA, um einige von dessen Marktanteilen zu übernehmen – es schafft, einige Protagonisten des Protests einzusammeln oder zumindest ruhigzustellen. So hatte sich der Präsident von attac Frankreich, Jacques Nikonoff, am 30. April betont konstruktiv gegenüber Chirac gezeigt. Dessen Position im Irakkrieg verdiene »volle Unterstützung«, sagte Nikonoff dem Präsidenten, jetzt möge er nur dafür sorgen, dass auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht länger »vom angelsächsischen Liberalismus dominiert« werde.

Doch die französischen Konservativen und Unternehmer benötigen keineswegs die helfende Hand des Auslands, um soziale Errungenschaften abzubauen. Nikonoffs Auslassungen blieben umstritten: attac-Frankreich ist ein heterogenes Bündnis, an dem auch kämpferische Gewerkschaften wie etwa Sud und einige CGT-Sektionen beteiligt sind, die nicht daran denken, Chirac den Rücken zu stärken. Eine stetige Auseinandersetzung wird jedoch auch in den Reihen der »altermondialisation« zu führen sein, um eine Chiracisierung der Opposition zu verhindern.