Feuer und Flamme

250 000 Menschen trafen sich auf dem Larzac,um einen heißen Herbst vorzubereiten. von bernhard schmid, hospitalet-du-larzac

Die Feuerwehr wacht, als der Redner »keinen heißen, sondern einen brennenden Herbst« für die konservative französische Regierung ankündigt. Sorge bereiten ihr allerdings nicht die zündenden Parolen, sondern der Sommer: Auf dem Larzac sind zwischen 40 und 45 Grad. Da seit Mai kein Tropfen Regen gefallen ist, erinnern Schilder auf Schritt und Tritt daran, dass es streng verboten ist, Feuer zu entfachen oder Kippen anderswo loszuwerden als in den speziell vorbereiteten Sandbehältern. »Seid Feuer und Flamme – Ihr, aber nicht das Hochplateau«, heißt es etwa.

Quasi über Nacht ist hier eine Zeltstadt für mehr als 200 000 Menschen aus dem Boden gewachsen. Über eine Viertelmillion Menschen, von denen ein Großteil auch auf dem Gelände campierte, kamen am vorletzten Wochenende auf dem Larzac zusammen, einem Kalkplateau im Süden des französischen Zentralmassivs. Das Publikum ist sehr heterogen: Atomkraftgegnerinnen, kämpferische Bauern, einige Hippies und Punks, viele streikende Lehrer vom Frühjahr, Gewerkschafterinnen, Kulturschaffende, zahllose Familien mit Kindern. Die meisten kommen speziell wegen des Widerstandsfestivals »Larzac 1973 – 2003« in der Nähe von Hospitalet-du-Larzac.

Manche waren bereits beim Kampf gegen das riesige militärische Gelände für Schießübungen, das in den siebziger Jahren auf dem Larzac geplant war, dabei. Diese Auseinandersetzung hat die sozialen Mentalitäten auf dem Hochplateau, das zuvor noch katholisch und konservativ geprägt war, umgewälzt. Die Bauern gingen damals zu kollektiver Bewirtschaftung des Bodens über, um Zeit für die vielen Protestaktivitäten zu haben. Die 57jährige Hélène, die heute als Arbeits- und Industriesoziologin in der Pariser Vorstadt Bobigny arbeitet und zu weiblicher Erwerbstätigkeit in der Banlieue forscht, war bereits 1973 dabei. »Auf dem Larzac habe ich auch zum ersten Mal die Lip-Arbeiter gesehen«, erzählt sie – die von Jobverlust bedrohten Beschäftigten jener Uhrenfabrik in Besançon, die ihre Chefs »entließen« und die Fabrik ein Jahr lang, 1973/74, in Selbstverwaltung betrieben. Das hat Hélène nachhaltig geprägt.

Aufheizen will José Bové, der Sprecher der linken Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, hingegen das soziale Klima. Er hofft auf eine stattliche Protestmobilisierung gegen den kommenden Gipfel der Welthandelsorganisation WTO, der vom 10. bis 14. September im mexikanischen Cancún stattfinden wird. Die französische Regierung Raffarin solle, fordert Bové bei der Auftaktkundgebung, endlich öffentlich machen, was dort zwischen den Delegationen der rund 140 Mitgliedsländer – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – debattiert werden wird. Und vor allem, was die französische und die europäischen Regierungen dort auf den Tisch legen.

Thema wird in Cancún insbesondere die weitere Liberalisierung des weltweiten Handels mit Waren und Dienstleistungen durch Abbau von Hemmnissen für die internationale Konkurrenz sein. Im Rahmen der Verhandlungen um das Gats, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, sollen alle Staaten ihre »Angebote« unterbreiten, welche gesellschaftlichen und ökonomischen Bereiche sie für den so genannten freien Handel privater Wirtschaftsunternehmen öffnen wollen. Bis Anfang 2005 sollen die Verhandlungen, die im Rahmen der WTO geführt werden, abgeschlossen sein.

Kritiker und soziale Bewegungen befürchten, dass die Regierungen den multilateralen Rahmen nutzen, um »unter sich« zu beschließen, einen weiteren großen Schritt zur Privatisierung bisheriger öffentlicher Dienstleistungen sowie zur Kommerzialisierung und Rentabilisierung diverser menschlicher Tätigkeiten und Bedürfnisse zu machen. Dazu gehören etwa die Wasser- und Energieversorgung und die Landwirtschaft. Als besonders sensibel gelten der Bildungs- und der Gesundheitsbereich, wie bereits während des Lehrerstreiks im Frühsommer betont wurde. Hier stehen private Anbieter – wie Versicherungsunternehmen – bereits in den Startlöchern, um beispielsweise jene Aufgaben zu übernehmen, die derzeit in vielen EU-Ländern von den öffentlichen Krankenkassen aufgegeben werden.

Auf der Tagesordnung des WTO-Gipfel steht zudem der Zugang der armen Länder des Südens zu Arzneimitteln, vor allem für die Aids-Behandlung. Abzusehen ist freilich, dass dieses Thema vor allem zur besseren Legitimation der übrigen WTO-Beschlüsse eingesetzt wird.

Die Europäische Union wird vom 4. bis 6. September am italienischen Gardasee ihre gemeinsame »Linie« vor der Verhandlungsrunde von Cancún festlegen. In den multilateralen Verhandlungen wird die EU durch den EU-Außenhandelskommissar vertreten. Diesen Posten hat derzeit der französische Sozialdemokrat Pascal Lamy inne.

Bei der Auftaktkundgebung auf dem Larzac schildert die US-Verbraucheranwältin Lori Wallach von der Organisation Public Citizen die Funktionsweise der WTO als Brechstange für die so genannte freie Konkurrenz und gegen politische Eingriffe in die Kapital- und Handelsströme. Sie beschreibt, wie die WTO ein Gesetz in Mexiko als »Handelshemmnis« aus dem Verkehr ziehen ließ, das eine Preisbindung für das mexikanische Grundnahrungsmittel – die Tortilla – vorsah, oder eine Verfassungsbestimmung in Indien, die eine Patentierung von Lebewesen verhindern sollte.

Claire Villiers von der Arbeitslosen-Selbstorganisation »AC !« hat sich die Rolle der EU bei der Prekarisierung der »internationalen Ware Arbeitskraft« vorgenommen. So ist die EU dabei, bei der WTO die Möglichkeit auszuhandeln, Arbeitskräfte von anderen Kontinenten auf Zeit – etwa für sechs Monate – zu rekrutieren und dabei nicht die in der EU geltende Arbeitsgesetzgebung, sondern das Arbeitsrecht der Herkunftsländer anzuwenden. Dieser Mechanismus trägt den Namen »Modus 4«.

Ansonsten wird viel debattiert, auch kontrovers. Zum Beispiel über den neuen Film des unorthodoxen Cinéasten Pierre Carles, »Danger Travail« (Vorsicht Arbeit). »Danger travail« zeigt 12 Arbeitslose, die mit ihren Erfahrungen begründen, warum sie nie wieder einer »geregelten Erwerbsarbeit« nachzugehen wünschen und ihren jetzigen Status bevorzugen. Einige begrüßten diese Perspektive überschwänglich, andere hingegen warnten davor, hier werde von der Perspektive einer Umwälzung der Arbeitswelt Abschied genommen und den Neoliberalen eine Steilvorlage gegeben.

»Das Besondere am Larzac 1973«, erklärt Bové bei der Abschlusskundgebung, »war die Anwesenheit der Lip-Arbeiter. Sie besiegelte das Bündnis zwischen kämpfenden Arbeitern und Bauern. Auch 2003 gibt es wieder eine besondere soziale Konjunkur. Als wir dieses Festival zum 30. Jahrestag des Kampfes auf dem Larzac planten, konnten wir nicht ahnen, dass im Frühsommer diese fantastische soziale Bewegung gegen die Rentenreform und bei den Lehrern stattfinden würde.« Nur zusammen könne man erfolgreich sozialen Widerstand leisten, fügt Bové hinzu: »Wir wollen weder (den französischen Versicherungskonzern) Axa und seinen Chef Bébéar in der Gesundheitsversorgung haben noch Vivendi in der Wasserversorgung oder Monsanto in der Landwirtschaft.«