Gipfelhoppers Urlaubsvergnügen

Vier norwegische Bergsteiger wollen den höchsten Gipfel jedes Landes besteigen. In Skandinavien fangen sie an. von elke wittich

Wie heißt eigentlich die höchste Erhebung Dänemarks? Falsch. Der Hjemmelberget ist zwar wohl der bekannteste Berg des Landes, aber mindestens zwei weitere Gipfel Dänemarks, ohne Grönland, sind erwiesenermaßen viel höher. Die Yding Skovhøj bringt es zum Beispiel auf stolze 173 Meter über dem Meeresspiegel, aber 200 Zentimeter davon sind im Bronzezeitalter künstlich aufgeschüttet worden, so dass das Hügelchen streng genommen nur 170,89 Meter hoch ist. Und deshalb sechs Zentimeter kürzer als die benachbarte Ejer Bavnehøy.

Was für die meisten Menschen eher unter der Rubrik nutzloses Wissen eingeordnet würde, ist für Petter Kragset, Torbjørn Orkelbog, Frode Høgset und Gisle Hoel unerhört spannend. Die Norweger planen nämlich rekordverdächtige Bergtouren. In jedem Land der Welt wollen sie den jeweils höchsten Gipfel erklettern, dazu gründeten sie im Jahr 1999 den Verein »World Wide Vikings«, der ihnen bei der Realisierung ihres ehrgeizigen Projekts behilflich sein soll. In diesem Sommer nahmen sich die vier Hobbykletterer nach langer Vorbereitung als erstes großes Ziel Europa vor. In knapp 50 Tagen sollten 36 Berge in 36 Ländern bestiegen werden, mit insgesamt 69 448 Höhenmetern.

Im notorischen Flachland Dänemark, der letzten Etappe des Abenteuers, den falschen Berg zu ersteigen, hätte deshalb den Gesamterfolg der »Topp-Europa« (übers.: Europa-Gipfel)-Tour ruiniert. Aber nicht nur dort sollte es sich als schwierig erweisen, auf Anhieb den richtigen Berg zu erwischen.

Am 14. Juni war das große Unternehmen für die Männer losgegangen. Der heimische Galdhøpiggen wurde ohne Schwierigkeiten erklettert, einen Tag später machten sie sich auf den Weg nach Estland. Die »Transportetappe« dorthin endete immerhin mit einem Rekord: »Wir haben unsere alte Bestmarke im Sich-Verfahren klar geschlagen, der neue Richtwert lautet 450 Kilometer«, notierten die vier Männer gut gelaunt im Internet-Tagebuch (www.wwv.no/rapport_europa2.htm).

Die »Sandalenberge« in Estland und Litauen konnten im weiteren Verlauf der Tour leicht ausfindig gemacht und erklommen werden.

Weiter ging es in die Hohe Tatra, wo sowohl der slowakische Gerlachovsky Stit als auch der polnische Rysy nur mit Hilfe erfahrener Bergführer bestiegen wurden. »Wir wollen keine Risiken eingehen«, hatten die vier zuvor erklärt, eine Haltung, die sich einen Tag später in Weißrussland bezahlt machen sollte. Für die Tour zum mit 345 Meter eher niedrigen Dzyarzhynskaya hatten sie einen Einheimischen angeheuert. »Was für ein Glück, denn alle Schilder sind dort ausschließlich auf Russisch gewesen, allein hätten wir den Berg nie gefunden.« Und selbst mit der Hilfe von Sergej gestaltete sich die Suche recht schwierig: »Zum Schluss kamen wir an einem Militärlager an, wo man uns stolz erklärte, dass sich hier wirklich die höchste Erhebung des Landes befinde. Leider befinde sich der Berg nicht mehr so ganz im Originalzustand, denn beim Ausbau der Kaserne sei der Gipfel im Weg gewesen, und so habe man die obersten Steine einfach weggesprengt. Um den Höhenverlust auszugleichen, seien die fehlenden Meter später einfach mit Erde aufgeschüttet worden.«

Die Topp-Tourer wollten trotzdem zusätzlich gern auch auf dem ehemaligen Gipfel stehen und machten sich auf die Suche nach den Originalsteinen. »Wir fanden sie schließlich auf einem Schrottplatz neben zahlreichen rostigen Landmaschinen. Und kletterten hinauf. Das war wohl die hässlichste Aussicht, die wir je gesehen hatten.«

Am Grenzübergang zur Ukraine wurde die Expedition zunächst durch einen langen Verkehrsstau aufgehalten. Die irritierten Norweger wunderten sich, dass die Beamten immer wieder einzelne Fahrzeuge nach vorne winkten, »erst später stellten wir fest, dass bessere Plätze in der Warteschlange mit Geld erkauft werden können«.

Am schwierigsten gestaltete sich das Unternehmen aber wohl in Albanien und Mazedonien. Der Berg Korab (2 764 Meter) liegt zwar genau im Grenzgebiet zwischen beiden Ländern und gilt daher als höchster Gipfel beider Staaten. Allerdings darf niemand die Gegend ohne Sondergenehmigung der jeweiligen Behörden betreten. Bewaffnete Schmugglerbanden und nicht gekennzeichnete Minenfelder machen den Ausflug zur Bergspitze für Ortsfremde fast unmöglich. Die letzte offizielle Begehung hatte daher im Jahr 2000 stattgefunden. Schließlich fand sich eine schwer bewaffnete mazedonische Militäreskorte, die die Norweger auf den Korab führen sollte. Blöderweise war einer der beiden Offiziere schwer übergewichtig. »Es gab also viele Pausen, in denen er uns gestand, dass er lieber Panzer fahren als in den Bergen herumklettern würde. Aber bald, so meinte er selbstironisch, werde er wohl mit seinem Bauch auch nicht mehr in einen Panzer passen.«

In Moldawien war der zu erklimmende Berg Balanesti (430 Meter) dagegen nicht besonders hoch und lag zudem in einer sehr friedlichen Gegend, dafür war er aber auch besonders schwer zu finden. Erst eine zufällig vorbeikommende Schafhirtin konnte den Bergsteigern weiterhelfen. Einst sei der höchste Punkt durch einen Gedenkstein markiert gewesen, der zwar schon lange nicht mehr existiere, aber die Umrisse seien immer noch erkennbar. »Wir fanden tatsächlich ein quadratisches Loch und waren endlich am Ziel. Keine Stelle in Moldawien liegt höher. Wir hatten den Balanesti gefunden.«

Anderswo sollte es schwieriger sein, auf den ersehnten Gipfel zu kommen. Zum Beispiel im Vatikanstaat, der nachmittags um fünf Uhr einfach abgeschlossen wird. »Wir glaubten, dass es hier am schnellsten gehen würde, aber da hatten wir uns gründlich getäuscht, vier Anläufe brauchten wir, bis wir endlich auf dem im Garten des Papstes gelegenen höchsten Punkt des Landes (75 Meter) stehen konnten. Denn wir kamen zwar nach endloser Warterei am nächsten Tag wirklich in den Vatikan, aber nur bis zu den Museen.« Für weitergehende Touren muss man sich nämlich einer der Führungen anschließen, die natürlich erst einmal ausgebucht waren. »Schließlich gelang es, wir schluckten unseren Bergsteigerstolz herunter und schlossen uns einer bunt gemischten Klettergruppe an. Der Leiter brauchte zwei sehr lange und äußerst heiße Stunden, bis er uns heil an unser Ziel gebracht hatte, aber dann war es endlich geschafft.«

Und so konnten die vier ein wenig später ihre Reise erfolgreich in Dänemark abschließen, wo sie feststellten, dass sie mit ihrem Gipfeltraum gar nicht so allein sind, wie sie immer dachten. »Auf dem Yding Skovhøj trafen wir einen Polen, der uns bat, ihn zu fotografieren. Er reiste in ähnlicher Mission wie wir, war zuvor in Norwegen, Deutschland, Finnland und Schweden zum Gipfelsturm gewesen. Insgesamt hatte er schon 20 Berge gesammelt, und außer der Reihe noch den Aconcagua und den Kilimanjaro. Jetzt in Dänemark hatte er allerdings Pech: Sein GPS-Gerät hatte ausgerechnet, dass die Yding Skovhøj genau so hoch sei wie die Ejer Bavnehøj«, daher musste der Mann zwei Besteigungen an einem Tag durchführen.

Auf ihn und die vier Norweger wartet jedoch sowieso noch viel, viel Kletterei. Insgesamt gibt es über 200 Länder auf der Welt, und jedes einzelne verfügt über mindestens einen höchsten Berg.