Auch Rentner rentieren sich

Integration und Ausgrenzung. von felix klopotek

Es ist mal wieder Hochzeit für Schmarotzerdiskurse. Das Sommerloch konnte man sich mit Boulevard-Reportagen über das glamouröse Leben deutscher Sozialhilfeempfänger in Florida vertreiben, Nachrichten kursierten, dass jeder sechste Bafög-Empfänger ein Betrüger sei, die Arbeitslosen sind sowieso unter Dauerbeschuss, Schüler gelten per se als faul und gewalttätig und last but not least laufen die diskutierten Vorschläge zur Rentenreform auf nicht anderes hinaus als auf die Behauptung, dass die Rentner uns zu viel kosteten.

Als Linker könnte man sich denken: Endlich wieder ein Thema! Endlich wieder klar benennbare Gruppen, die man unterstützen kann! In der autoritären Armutsverwaltung zeigt der Staat sein wahres Gesicht! Doch damit läge man leider knapp daneben.

Was in der Sozialpolitik und damit eng verknüpft in der Bildungs-, Kommunal- und Gesundheitspolitik stattfindet, ist nicht der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen vom Reichtum der Nation. Vielmehr werden die Bedingungen ihrer jeweiligen Integration ausgefochten. Die Hetze gegen Sozialhilfeempfänger oder Rentner geht eben nicht so weit, dass diese Gruppen mit ihrer sozialen Vernichtung zu rechnen hätten. Die Apokalypse, ein Krieg der Generationen oder marodierender Arbeitslosenbanden werden ausbleiben.

Denn immerhin handelt es sich bei den Stigmatisierten um Staatsbürger, um Angehörige der Nation, um Wahlberechtigte. Ökonomisch gesprochen: Auch Arbeitslose oder Rentner sind Lohnabhängige, nur eben in einem (vorübergehend) beschäftigungslosen Zustand. Von der wirklichen Katastrophe, wie etwa von Abschiebungen und Pogromen, sind vor allem die bedroht, die keinen deutschen Pass haben, bzw. Deutsche, die als andersartig betrachtet werden, wie etwa Juden oder Homosexuelle. Alle anderen gelten im Sinne des herrschenden Nationalismus als privilegiertes Menschenmaterial für die kapitalistische Verwertung.

In der Renten- wie in allen anderen Sozialdiskussionen geht es also vor allem um die Neudefinition des Kriteriums der Rentabilität. Daran wird der Lebensunterhalt der Menschen und ihre Zukunftsperspektive gemessen. Kapitalismus ist nichts anderes als produktiv gemachte Enteignung. Bezahlt werden die Lohnabhängigen nicht nach dem, was sie leisten, sondern nach der Maßgabe ihrer Rentabilität für das Kapital. Die Löhne sind also grundsätzlich prekär. Da die Sozialkassen sich aus den Löhnen speisen, leiden sie unter permanenter Schwindsucht.

Das ist der Mangel, der immer schon verwaltet, der gleichzeitig aber auch verschleiert wird. Eine Kampagne gegen gierige Rentner, die angeblich neue Hüftgelenke ergaunern, ist darum so perfide, weil sie die Rentner selbst (aber auch alle anderen, denn irgendwann wird jeder Rentner) mit einem Ausschluss bedroht, der tatsächlich längst stattgefunden hat.

Das »Rentenproblem« und all die anderen »Sozialprobleme« haben ihre Ursache nicht in einer ungerechten Verteilung des erwirtschafteten Reichtums, wie es die zahllosen sozialdemokratischen Kommissionen und Gutachter behaupten. Ihre Ursache liegt in der kapitalistischen Reichtumsproduktion selbst. Das ist das Thema der Linken.