Blut im Schuh

Die Lange Nacht der Museen

Abends ins Museum zu gehen, ist toll. Allerdings nicht, wenn 200 000 andere mitkommen und es zugeht wie im Sommerschlussverkauf. Bei der in Berlin zweimal im Jahr stattfindenden Langen Nacht der Museen ist es daher ratsam, sich von den großen Veranstaltungen fern zu halten.

Auch unerwartete Orte öffnen ihre Türen. Etwa das Berliner Abgeordnetenhaus. Im 1. Stock steht am vergangenen Samstag gegen 22 Uhr ein junger Mann im Foyer und bewegt seine Arme in sanften, weichen Schwingungen. Ein anderer Mann klebt ihm Pflaster ins Gesicht, zwei Frauen kommen mit einem Rollstuhl herangefahren und stülpen ihm Gummiaufsätze von Prothesen über beide Hände und einen Fuß. Sein zweiter Fuß wird in einen Stöckelschuh gezwängt, Krücken werden ihm untergeschoben. Scheinbar unbeirrt setzt der Mann, soweit es ihm noch möglich ist, seinen weichen Tanz fort.

Mit ihrer Performance »Blut ist im Schuh« will die Theatergruppe Thikwa Einschränkungen zeigen. Die behinderten Schauspieler behindern sich zusätzlich. Die Grenzen zwischen realer und theatraler Behinderung verschwimmen. Der übliche mitleidige Blick wird entlarvt. Noch mehr Menschen auf Krücken finden sich ein, die ganz offensichtlich auch gut ohne laufen könnten. House-Musik ertönt, eine Stimme verkündet: »Wir lernen Rhythmus und Kadenz.« Und los geht ein grotesker Tanz, der sich dem Zwang zur Anpassung widersetzt.

Doch auch der unerfüllbare Traum vom »passend sein« wird erkennbar. Mitunter sieht es aus, als posierten die Schauspieler für ein Foto. In einer Reihe aufgestellt, in rot-weißen Kostümen und rosa Tüllröcken, ironisch bemüht ums Funktionieren im Takt und: Lächeln!

Die Theaterwerkstatt Thikwa wurde 1990 gegründet. 14 Produktionen sind seitdem entstanden, unter anderem in den Sophiensälen und im Theater am Halleschen Ufer. Immer arbeiten die festen Ensemblemitglieder mit wechselnden Schauspielern, Tänzern und Regisseuren zusammen. Behinderungen sind dabei selten das zentrale Thema. »Aber ein Stück von Thikwa hat natürlich immer was mit Konfrontation und mit Selbstbehauptung zu tun«, sagt Gerlinde Altenmüller, eine der vier TheaterleiterInnen.

»Wir arbeiten mit den Fähigkeiten der Darsteller, das ist wie überall. Es würde keinen Sinn machen, mit Exaktheiten zu arbeiten. Aber wenn wir andere Abläufe, andere Rhythmen und eine andere Motorik zulassen, treten die Behinderungen in den Hintergrund. Dann nimmt das Publikum die Stärken wahr und nicht mehr die Unbeholfenheit.« Oft seien Zuschauer überrascht, weil sie nicht unterscheiden könnten, wer von den Schauspielern behindert sei und wer nicht, berichtet Altenmüller.

»Blut ist im Schuh« und die Performance »Haltung bewahren«, die ebenfalls in der Langen Nacht der Museen zu sehen war, bilden den Auftakt zu einer Performance-Reihe, die Thikwa zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen zusammengestellt hat. Immer geht es um die selbstbestimmte, gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Raum. Und daher werden alle Darbietungen da draußen stattfinden: in einem Bahnhof, einem Kaufhaus, auf der Straße. Dort, wo kein Mensch mit einer Performance von behinderten Schauspielern rechnet.

wibke bergemann

Infos unter: www.thikwa.de