Kollege geht schon mal vor

Nach dem Rücktritt seines mächtigen PR-Beraters Alastair Campbell wird es einsam um den britischen Premierminister Tony Blair. von craig attkins

Sogar seinen Abgang könnte man noch als geschickte Inszenierung interpretieren. Bereits seit Wochen kursierten Gerüchte, dass Alastair Campbell, PR-Berater von Premierminister Tony Blair, den britischen Regierungssitz in der Downing Street Number 10 endgültig hinter sich lassen will. Am vergangenen Freitag hat er seinen Rücktritt angekündigt. Campbell gilt als zentrale Figur in der Affäre um den Tod des britischen Waffenexperten David Kelly, der sich Ende Juli das Leben nahm. Zuvor war er als Quelle für einen BBC-Bericht enttarnt worden, der die britische Regierung beschuldigt hatte, Geheimdienstberichte über das irakische Waffenarsenal aufgebauscht zu haben.

Die Affäre um den Tod Kellys hat die britische Labour-Regierung in die schwerste Krise seit ihrem Antritt geführt. Blair steht im Verdacht, sein Land unter Angabe falscher Gründe in den Krieg gegen den Irak geführt zu haben. Und um sein politisches Überleben zu sichern, soll er zudem einen Mitarbeiter faktisch in den Selbstmord getrieben haben.

Inzwischen wurde nach einem Bericht des Observer bekannt, dass Kelly in einem bislang unveröffentlichten Artikel, »militärisches Handeln bedauerlicherweise als den einzige Weg, um den Irak schließlich und endgültig abzurüsten«, bezeichnet hat.

Mit seinem Rücktritt zog Campbell als erster aus der Führungsriege Großbritanniens die Konsequenzen. Der Schritt kommt nicht unerwartet, wohl aber der gewählte Zeitpunkt. Viele dachten, dass Campbell das Ende der Untersuchung von Lordrichter Brian Hutton abwarten würde. Zwar gab der PR-Stratege an, sein Rückzug habe nichts mit Kellys Tod zu tun. Doch gilt der Zug vor allem als Freundschaftsdienst für seinen Vorgesetzten Blair. Zu diesem Zeitpunkt wirkt seine Amtsniederlegung wie ein faktisches Schuldeingeständnis. »Alastair hat einen gewaltigen Beitrag geleistet«, meinte der stellvertretende Premierminister John Prescott. »Es ist eine große Lücke zu füllen, doch mit der Labour-Partei geht es weiter.«

Nur einen Tag vor Campbells Ankündigung musste sich Blair vor Lord Hutton verantworten. Er gab sich dabei gewohnt souverän. Natürlich sei er bestürzt über den Tod des Wissenschaftlers, lautete seine Botschaft. Dennoch seien Kellys Zweifel am Krieg gegen den Irak unbegründet gewesen. Wären die Geheimdienstberichte tatsächlich aufgebauscht worden, würde er selbstverständlich zurücktreten. Auch die Herausgabe von Kellys Namen sei richtig gewesen. »Ich übernehme die volle Verantwortung für unsere Entscheidungen, ich stehe zu ihnen«, sagte Blair in der Untersuchung.

Den Vertrauensverlust der Regierung kann der Premier so nicht beheben. Das würde vermutlich nicht einmal der Segen von Lordrichter Hutton schaffen. Um die Briten von der Integrität ihrer Regierung zu überzeugen, müsste wahrscheinlich ein Lager mit irakischen Massenvernichtungswaffen ausgehoben werden. Denn es war die Behauptung, Saddam Hussein könne innerhalb von 45 Minuten mit diesen Waffen losschlagen, die der Regierung angelastet wird und die Kelly gegenüber der BBC in Frage gestellt hatte.

Nach der jüngsten Umfrage der Tageszeitung Daily Telegraph halten nur noch 22 Prozent der Bevölkerung ihre Führung für ehrlich und Vertrauenswürdig. Die konservative Opposition hat die Regierung bereits um zwei Prozentpunkte übertroffen.

Campbell gilt als Symbol dessen, was der Bevölkerung an der Regierung missfällt. Nach den BBC-Berichten hatte er einen beispiellosen Feldzug gegen den Sender angezettelt. Lord Hutton hat ihn zwar nicht beschuldigt, den fraglichen Geheimdienstbericht manipuliert zu haben, ein wenig sprachlich aufgepeppt habe er ihn aber schon. Seit Wochen gilt Campbell als unhaltbar für die Regierung.

Zudem wurde er zu mächtig. Nachdem er sich selbst den Posten des Kommunikationsdirektors geschaffen hatte, galt der nie durch eine Wahl legitimierte Berater seit einiger Zeit als faktische Nummer zwei in der Downing Street. Um Blair etwas Wählervertrauen zurückzuholen, musste er zurücktreten. Mit dem ehemaligen Labour-Sprecher David Hill ist bereits ein Nachfolger benannt, und er soll wesentlich kleinere Befugnisse erhalten als Campbell.

Für Blairs erbitterte Gegner aus der Friedensbewegung ist noch nichts erledigt. »Ich denke nicht, dass sein Rücktritt irgendetwas ändert«, sagte Carol Naughton, Vorsitzende der »Campaign for Nuclear Disarmament« (CND), der Jungle World. »Blair sollte auch zurücktreten, er tut dem Land keinen Gefallen.«

Die CND hat gemeinsam mit anderen Friedensgruppen und der islamischen Organisation Muslim Community die Proteste gegen den Irak-Krieg organisiert und zieht nun gegen die »Kriegslügen« zu Felde. Für die Friedensaktivisten ist der Irakkrieg ein Versuch, »den Nahen Osten unter Kontrolle zu bringen«, wie Naughton meint. Auf ihren Demonstrationen fordern sie stets ein »freies Palästina« und stellen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon in eine Reihe von »Kriegstreibern«, gemeinsam mit Blair und US-Präsident George W. Bush.

Auf einer »Volksversammlung für den Frieden« am vergangenen Samstag in London warf die gemeinsam gebildete »Stop the War«-Koalition der Regierung vor, die Bevölkerung systematisch belogen zu haben und forderte eine unabhängige Untersuchung des Krieges. Das Problem sei, dass eine solche Untersuchung von der Regierung eingesetzt werden müsse, erklärte der Sprecher der Koalition, John Rees. Es gebe zwar einige Abgeordnete in der Friedensbewegung, aber sie hätten wenig Einfluss. Allerdings sei die Friedensbewegung stark. »Der Rücktritt Campbells zeigt, wie groß unsere Macht ist«, freute sich Rees.

Campbells Rücktritt ist für Blair tatsächlich nicht nur hilfreich, sondern auch ein großer Verlust. Er war sein engster Vertrauter und wichtigster Berater. Er hat Blair mit aufgebaut und gilt als maßgeblich dafür, dass Labour die letzten zwei Wahlen gewonnen hat. Kommentatoren bezeichneten ihn als Meister des »Spin«, als Strippenzieher und Experten der politischen Zuspitzung. Und mit Campbell verschwindet ein weiterer der so genannten »Blairites« aus der Regierung. So werden die Politiker um Blair genannt, die die Partei zur liberalen New-Labour-Bewegung umgeformt haben.

Als weiterer Rücktrittskandidat gilt Verteidigungsminister Geoff Hoon. Blair und Campbell hatten das Verteidigungsministerium für die Preisgabe von Kellys Namen verantwortlich gemacht. Seitdem stand Hoon unter dem Druck, die Regierung vor weiterem Schaden bewahren zu müssen. Zwei Tage vor Blairs Befragung startete Hoon im Gerichtssaal jedoch einen überraschenden Gegenangriff. Ihn treffe im Schmierentheater um Kelly keine Schuld, behauptete er, und gab die Verantwortung an die Downing Street zurück. Er habe zwar gewusst, dass seine Pressesprecher Kellys Namen gegenüber der Presse bestätigt hätten, das sei jedoch nicht seine Entscheidung gewesen. Allerdings habe er auch keinen Grund gesehen, Kelly nach seinem Gespräch mit der BBC weiter zu schützen, sagte Hoon. Und er sei sicher gewesen, »dass der Premierminister das genauso sah«.

Dennoch hat sich Hoon mit seiner Aussage keinen Gefallen getan. Seine Art, sich aus der Schusslinie zu manövrieren, werfe ein schlechtes Licht auf ihn, urteilte die Tageszeitung The Independent. Falls er tatsächlich nichts gewusst haben sollte, müsse er sich fragen lassen, ob er noch sein Ministerium kontrollieren könne. Mit Hoon würde ein weiterer »Blairite« aus der Regierung scheiden. Dann würde es einsam um Tony Blair.

Viel Überzeugungskraft für anstehende innenpolitische Reformen besitzt Blair nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Presse derzeit günstig für die Opposition berichtet, obwohl die Tories bislang nicht versuchen, aus der Kelly-Affäre ihr Kapital zu schlagen. Sie tun das, was ihr Vorsitzender Ian Duncan Smith ohnehin am besten kann: Sie verhalten sich ruhig.