Nach dem Genozid

Mit 95 Prozent der Stimmen hat Präsident Paul Kagame die Wahl in Ruanda gewonnen. Kritiker werfen ihm Manipulationen vor. von alex veit

Twagiramungu und seine Wahlkampfhelfer verbreiten negative und spalterische Ideologien, die darauf zielen, die Saat ethnischen Hasses unter den Ruandern zu verbreiten«, erklärte Fatuma Ndagiza, die Leiterin der staatlichen Kommission für nationale Einheit und Versöhnung (Nurc), vor der Präsidentschaftswahl am Montag vergangener Woche. Der Vorwurf gegen den Präsidentschaftskandidaten und langjährigen Oppositionspolitiker Faustin Twagiramungu wiegt schwer, da rassistische Propaganda wesentlich zum Genozid von 1994 beigetragen hat, dem wahrscheinlich 800 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Twagiramungu, der letztlich nur knapp vier Prozent der Stimmen gewann, hatte im Wahlkampf kritisiert, dass die politische Macht seit 1994 bei Tutsi aus der ehemaligen Befreiungsbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF) konzentriert sei. Er argumentierte, dass zu einer wirklichen Versöhnung eine Auseinandersetzung mit der politisierten Ethnizität nötig sei: »Ich weiß nicht genau, was man als spalterische Sprache in diesem Land konstruieren kann. Sollten wir die Worte Hutu und Tutsi aus dem ruandischen Vokabular streichen?«

Genau dies wünscht sich Präsident Paul Kagame, für den sein mit 95 Prozent der Stimmen mehr als eindeutiger Wahlsieg ein Beweis für die Überwindung der Spaltung des Landes ist. Kagame vertrat im Wahlkampf das Konzept der nationalen Einheit und warf Twagiramungu indirekt ebenfalls vor, die Ethnizität zu missbrauchen: »Einige haben Furcht vor der Einheit und davor, das Land auf der Basis von Ideen aufzubauen. Sie benutzen noch immer ethnische Kriterien und glauben, Politik sollte auf ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder anderen das Volk spaltenden Kriterien basieren. Ich hatte gedacht, wir wären dem entwachsen.«

Nun sind sowohl nationale Einheit wie auch Ethnizität soziokulturelle Konstruktionen, wobei letztere seit dem Genozid von 1994 wohl in den Augen der großen Mehrheit der Bevölkerung völlig diskreditiert ist. Doch eine intensive gesellschaftliche Aufarbeitung der konfliktreichen politischen Geschichte hat in Ruanda bislang nicht stattgefunden, auch wenn Kagame die erste demokratische Wahl seit der Unabhängigkeit des Landes zum Ende des »Übergangs« nach 1994 erklärte.

Vor neun Jahren kam es zu dem Genozid. Damals hetzte das von außen und innen bedrängte Regime gegen die Tutsi-Minderheit und gegen Hutu, die den ethnischen Diskurs ablehnten. Durch die erzwungene Beteiligung großer Bevölkerungsteile an dem Morden sollten die Hutu zu einem Kollektiv der Täter zusammengeschweißt und eine Verständigung zwischen den politischen Gruppen sollte unmöglich gemacht werden. Erst der Einmarsch der RPF unter Kagame vom Nachbarland Uganda aus konnte das Morden beenden.

Kagames jetziger Herausforderer Twagiramungu wurde danach in der neuen Regierung als Vorsitzender des seit langem für eine Mehrparteiendemokratie eintretenden Mouvement Démocratique Républicain (MDR) Premierminister, ging aber nach einem Zerwürfnis mit der RPF knapp ein Jahr später freiwillig ins belgische Exil. Erst vor einigen Monaten kehrte er zurück, um gegen Kagame bei der Präsidentschaftswahl anzutreten.

Sein Wahlkampf war von Pannen und Kontroversen bestimmt. »Die Geschichte Ruandas beginnt nicht mit dem Machtantritt der RPF«, sagte er auf einer Veranstaltung. »Die nationale Einheit sollte euch nicht dessen berauben, was ihr seid. Haltet euch an die Geschichte.« Dann wurden von ihm in Uganda gedruckte Flugblätter beschlagnahmt, auf denen es hieß: »Wenn ich gewählt werde, werde ich für die Spaltung der Ruander kämpfen.« Twagiramungu erklärte, es handele sich um einen Tippfehler, der aus der Landessprache Kinyarwanda übersetzte Satz sei aus dem Kontext gerissen und habe im Original eine andere Bedeutung. Hunderte Jugendliche, die für ihn Wahlkampf geführt hatten, liefen ins Lager von Kagame über und beschuldigten Twagiramungu ebenfalls, ethnische Spaltungen zu provozieren. Schließlich sagte er wegen angeblicher Behördenwillkür mehrere Wahlkampfreden ab und zog seine Wahlbeobachter am Tag vor dem Urnengang zurück. Ihre Anwesenheit hätte Fälschungsvorwürfe provozieren können, so Twagiramungu.

Diese Fälschungen wirft er nun der regierenden RPF vor, deren Beobachter in den Wahllokalen zahlreich anwesend waren. Viele Wähler seien daran gehindert worden, für ihn zu stimmen: »Ich akzeptiere diese Wahl nicht. Das ist nicht Demokratie. Sie versuchen, ein Einparteiensystem stalinistischen Stils zu erreichen. Fast 100 Prozent? Das ist nicht möglich. Ich werde einen Brief an das Oberste Gericht schreiben.«

In der Tat wurden einzelnen Berichten zufolge einige Wähler daran gehindert, für ihn zu stimmen. Doch der Wille, durch die Wahl einen gewissen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, zudem die Angst vor Repressalien der autokratischen RPF und wirtschaftlichen Nachteilen für ihre Region dürften viele Wähler dazu veranlasst haben, für Kagame zu stimmen, auch wenn sie eigentlich andere politische Ideen favorisierten. Kagame wird aber auch von der Opposition zugebilligt, für eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes gesorgt zu haben.

Das harte Vorgehen der Polizei, die kurz vor der Wahl zwölf Wahlkampfhelfer Twagiramungus unter dem Vorwurf der Planung von Gewalttaten verhaftete, rief die Kritik der EU-Wahlbeobachter und von Menschenrechtsorganisationen hervor. Alison Des Forges von Human Rights Watch erklärte: »Wenn diese Gesellschaft noch nicht bereit ist, an einem freien und offenen Wahlvorgang teilzunehmen, sollte sie nicht beteiligt werden. Kagame kann nicht beides tun: sich demokratisch nennen, aber zugleich strenge Kontrolle ausüben.«

Obwohl Kagame den ethnischen Diskurs ablehnt, hat sein autoritäres Vorgehen gegen Twagiramungu, der ohne ernsthafte Chancen auf den Wahlsieg war, die Ethnizität zum bestimmenden Thema der Wahl gemacht. »Alle Ideen, die nicht mit der staatlichen Politik konform sind, werden als antinational und natürlich durch die ethnische Linse betrachtet. Und darin liegt die Schwäche der Einheit und Versöhnung in Ruanda«, kommentierte die halb staatliche ugandische Tageszeitung New Vision und fügte hinzu: »Kagames moralische Autorität leitet sich aus dem Fakt ab, dass er der Anführer der Gruppe ist, die den Genozid im Alleingang stoppte. Sein Glaube an einen starken Staat grenzt jedoch manchmal an das Undemokratische.«