Alle Wege führen nach Ber Ling

Wirtschaftliche Ambitionen und die neue Reisefreiheit locken immer mehr Chinesen in die Hauptstadt. Ein Chinatown wird es wohl nicht geben. von marina mai

Kennen Sie Ber Ling? Sie täten gut daran, sich an den chinesischen Klang des Namens von Berlin schon einmal zu gewöhnen, denn chinesische Touristen und Investoren werden zahlreicher in der deutschen Hauptstadt.

Derzeit leben 5 500 Chinesen in Berlin, Personen aus Tibet, Hongkong und Taiwan inklusive, Tendenz leicht steigend. Berlin hält damit, gemeinsam mit Hamburg, die Spitzenposition innerhalb Deutschlands, aber im europäischen Maßstab nimmt sich diese Zahl eher bescheiden aus. Bislang stellen Vietnamesen die größte asiatische Gruppe in Berlin. Einige kamen als Boatpeople in den Westteil der Stadt, die meisten als ehemalige Vertragsarbeiter in die DDR. Oder sie folgten in den neunziger Jahren als Familiennachzügler oder aus wirtschaftlichen Gründen.

Ein Chinatown wie in Paris, wo Chinesen gemeinsam mit Vietnamesen, Laoten, Thais und einigen alteingesessenen Franzosen wohnen, ihre Restaurants und Geschäfte betreiben, gibt es in Berlin nicht. Es ist auch schwer vorstellbar, dass ein solcher Bezirk entsteht, denn anders als in Paris oder anderen Metropolen in Westeuropa und Nordamerika sind die jeweiligen asiatischen Gemeinden in Berlin höchst heterogen. Nur eine geringe Zahl der Einwanderer hat in den siebziger und achtziger Jahren ihr Land als politische Flüchtlinge verlassen.

Viele Chinesen kommen zum Studium nach Berlin, weil Studieren in Deutschland noch recht günstig ist. Nach dem Studienende reisen sie in der Regel wieder aus. Ausländerpolitische Gesetze verhindern einen längeren Aufenthalt in vielen Fällen, aber auch das Fehlen einer chinesischen Subkultur. Deshalb betrachten viele Deutschland lediglich als Durchgangsstation ihrer Migration von China nach Westeuropa oder Nordamerika.

Am stärksten verbreitet ist die chinesische Kultur in der Gastronomie. China-Restaurants, im Ostteil der Stadt meist von Vietnamesen betrieben, gibt es in fast jeder größeren Straße. Doch der Branche geht es derzeit schlecht. Die berühmteste Chinesin in Berlin ist noch immer die Pandabärin Yan Yan. Besuchermagneten für nichtchinesische Berliner sind aber auch der chinesische Garten im Erholungspark Marzahn und der aufwändig gestaltete Tempel der berühmten Shaolin-Kampfsportschule am Wilmersdorfer Ende des Kurfürstendamms.

Seit Mai erlaubt die Volksrepublik China ihren Bürgern, als Touristen ins Ausland zu fahren. Berlin hat gute Chancen, für die wohlhabenden der 1,3 Milliarden Chinesen zu einem beliebten Reiseziel zu werden. Weil die deutsche Hauptstadt Partnerstadt von Peking ist, haben viele von ihnen den Namen schon einmal gehört. Und Berlin hat reagiert: Als erste deutsche Stadt bot es seine Website auch auf chinesisch an. Ber Ling im Netz. Inzwischen sind Hamburg und München nachgezogen.

Bislang sind es vor allem Geschäftsleute, die sich für Berlin interessieren. »Wir erleben seit dem Frühsommer einen regelrechten Boom von Nachfragen chinesischer Investoren«, sagt eine Sprecherin des Asien-Pazifik-Forums, das im Auftrag der Landesregierung vom 15. bis 28. September zum vierten Mal die Berliner Asien-Pazifik-Wochen veranstaltet und die Anlaufstelle für chinesische Investoren ist. Die Stadt freut sich über Impulse aus Fernost. »Ob das Geld aus dem Reich der Mitte tatsächlich investiert wird, das Berlin den dringend nötigen Wirtschaftsimpuls bringen könnte, da bin ich im Moment noch nicht so sicher«, sagt sie weiter. »Wir arbeiten daran, dass namhafte chinesische Unternehmen ihre Europazentrale nach Berlin verlegen.«

Daran arbeitet auch die Vermarktungsfirma des Alten Schlachthofes in Friedrichshain. Auf 14 000 Quadratmetern soll dort in denkmalgeschützten Gewerbehallen ein chinesisches Messe- und Wirtschaftszentrum entstehen. 200 bis 250 mittlere und kleinere Unternehmen aus der Volksrepublik China hätten die Absicht, hier ihre Europazentrale einzurichten, heißt es. Ber Ling in Friedrichshain.

Andere Chinesen, für die Deutschland nicht die erste Station außerhalb der Volksrepublik ist, bauen gerade ein Stück Ber Ling in der Vulkanstraße im Lichtenberger Gewerbegebiet. Im November soll dort ACM, das erste chinesische Handelszentrum Deutschlands, öffnen. Auf 29 000 Quadratmetern wollen die Betreiber dort Textilien, Lederwaren und Geschenkartikel anbieten. »Die chinesische Exportwirtschaft boomt. Diese Waren werden dort billig produziert und von uns direkt vermarktet«, erklärt Guan Hai Liu, einer der Manager. In südeuropäischen Städten wie Rom, Madrid und Bukarest gebe es solche Handelszentren längst.

Als es sich für westeuropäische Firmen nicht mehr rechnete, Textilien und Schuhe selbst zu produzieren, lagerten sie ihre Produktion aus, zum großen Teil in die südostasiatischen Tigerstaaten. Dort stiegen in der Folge die Lohnkosten, so dass die Firmen in den neunziger Jahren wieder umzogen: nach China und Vietnam. In Taiwan oder Singapur wurden nur noch die Bestellungen aus Europa aufgenommen und die Schnitte entworfen. Die Namen der großen Handelsketten wurden in China und Vietnam eingenäht.

»Da hat sich manch ein Unternehmer in China oder Vietnam gefragt: Warum verkaufe ich das über einen Zwischenhändler und nicht direkt nach Europa?«, erzählt eine deutsche Unternehmerin, die mit vielen asiatischen Kollegen zu tun hat. Die Kontakte wurden über Verwandte geknüpft, die als Migranten in Europa lebten. In Deutschland entstand auf diese Weise das vietnamesische Wochenmarktgewerbe.

Chinesen sind neu auf diesem Markt. Sie sind im Schnitt besser ausgebildet als die ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter und agieren professioneller innerhalb der deutschen Gesellschaft. Sie könnten den Vietnamesen schon bald das Großhandelsgewerbe in Berlin vollständig aus der Hand genommen haben.

»In Deutschland dominieren noch die großen Handelsketten«, erklärt Guan Hai Liu. Einige seiner Mitstreiter haben bereits Erfahrungen gesammelt in Rom und Bukarest. »Mit der bevorstehenden EU-Osterweiterung rückt Berlin in das Zentrum Europas. Es ist an der Zeit, dass wir uns hier ansiedeln. Wir hoffen nicht nur auf Kunden aus Deutschland, sondern auch aus Polen und Tschechien.« Für die sei der Weg nach Berlin doch kürzer als der nach Peking.

So wie es aussieht, wird Ber Ling vorwiegend im Berliner Osten beheimatet sein. Immobilienfirmen, die Gewerbeflächen bisher nicht vermarkten konnten, freuen sich über die plötzliche Nachfrage aus Fernost. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was auf meinem Handy los ist, seit wir mit dem ersten Chinesen verhandelt haben«, sagt der Sprecher einer Firma, die in Lichtenberg ernsthaft über ein weiteres asiatisches Gewerbezentrum nachdenkt.