Balken im Auge

Zwei israelkritische Israelis und die Ordensleute für den Frieden erhalten in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis. Bei der Preisverleihung war harald pittel

Die Aula Carolina in Aachen bot eine festliche Atmosphäre, dank ihrer kühl wirkenden, weiß getünchten Wände und ihrer hohen Rundbögen aber auch etwas Sakrales. Hier wurde am Montag voriger Woche der Aachener Friedenspreis verliehen. Der Mitgliederkreis des Vereins Aachener Friedenspreis, der vor allem linksliberalen, gewerkschaftlichen und christlichen Milieus entstammt, wählt alljährlich Persönlichkeiten oder Gruppen, die sich »von unten« für den Frieden engagieren.

Dieses Jahr ging der Preis in der Rubrik Internationales an den jüdischen Israeli Reuven Moskovitz, einen Historiker, und an die über einen israelischen Pass verfügende Palästinenserin Nabila Espanioly. Die Initiative Ordensleute für den Frieden wurde Trägerin des nationalen Preises.

Bereits zum dritten Mal ging die seit 1988 regelmäßig verliehene Auszeichnung damit an Friedensaktivisten aus dem Nahen Osten: 1991 erhielten die von Espanioly mitgegründeten Frauen in Schwarz, 1997 der israelische Publizist Uri Avnery und die israelische Friedensgruppe Gush Shalom den Preis. Zu den früheren Preisträgern gehören etwa die Emmaus-Gemeinschaft, die Peace Brigades International oder die Aktion Noteingang.

Traditionell findet die Verleihung unmittelbar im Anschluss an die Kundgebung des DGB am Antikriegstag am 1. September statt. Die Aula war gut gefüllt, als der Laudator Andreas Zumach von der taz die Preisträger vorstellte. In ihren Reden präsentierten Moskovitz und Espanioly dann ihre Betrachtung des Nahostkonflikts. Die Psychologin Espanioly, die die Gruppe »Jüdisch-Arabische Frauen für den Frieden« gründete und gemeinsam mit Moskovitz Lebensmitteltransporte in die Westbank und den Gazastreifen organisiert, befasste sich vor allem mit der sozialen Lage der Palästinenser. Sie kritisierte unterschiedliche Ausbildungschancen arabischer und jüdischer Jugendlicher in Israel und wies darauf hin, dass siebzig Prozent der palästinensischen Kinder ein posttraumatisches Verhalten zeigten. Die Schuld hierfür gab sie alleine der israelischen Regierung.

Moskovitz, der die Shoah überlebte, 1972 das Friedensdorf Neve Shalom gründete und eine Vielzahl weiterer Projekte betreibt, bemühte sich in seiner Rede, die Politik der israelischen Regierung in die Nähe des Faschismus zu rücken. Er habe als junger Mann beim Bestellen des Bodens im Kibbuz bemerkt, dass das nicht sein Boden sei. Der vom früheren israelischen Ministerpräsidenten und Präsidenten der zionistischen Weltorganisation Ben Gurion formulierte Anspruch, der israelische Staat solle ganz Palästina umfassen, präge bis heute die Politik israelischer Regierungen. Ihn schmerze als Holocaust-Überlebenden besonders, »dass der israelische Sozialismus zunehmend ein nationaler geworden ist«.

Nicht nur die anwesenden Mitglieder des Arabisch-Deutschen Forums, das Jamal Karsli nahe steht, klatschten, als Moskovitz seine Kritik an Israel vortrug. Der ganze Saal zeigte sich begeistert. Moskovitz fragte, wie lange die Freunde Israels in Westeuropa noch bereit seien, sich als Antisemiten bezeichnen zu lassen, nur weil sie den Mut hätten, die Politik Israels kritisch zu bewerten und anzuprangern. Deutsche und israelische Politiker gäben sich einer von instrumentalisierten Schuldgefühlen geprägten Politik hin. Schließlich zitierte er Erich Kästner: »Man muss dem Schuldgefühl Grenzen ziehen.«

»Sie schweigen nicht zu den Menschenrechtsverletzungen vor Ort, vor denen wir in Europa nur zu gerne die Augen verschließen«, hatte der Verein die Preisverleihung an Moskovitz und Espanioly begründet. Dem Vorstand des Vereins gehört neben der Flüchtlingsbeauftragten des Bistums Aachen und Gewerkschaftern etwa auch Heiner Jüttner an. Er war Mitglied einer schlagenden Verbindung, später bei den Grünen und Umweltdezernent und Bürgermeister der Stadt.

Jüttner behauptet, der Zentralrat der Juden in Deutschland sowie die Aachener Jüdische Gemeinde billigten »israelischen Staatsterror« und seien mitverantwortlich dafür, dass in der Öffentlichkeit der Staat Israel mit dem Judentum gleichgesetzt werde. Hieraus folge, »dass sich Protest und Wut nicht nur gegen israelische, sondern auch gegen jüdische Einrichtungen richten«, schrieb Jüttner etwa in einem Brief an die Aachener Zeitung.

Zum Freundeskreis des Friedenspreises zählt auch der Fernsehjournalist Franz Alt, der im Februar für ein vom Verein mitgetragenes Bündnis gegen den Krieg referierte. Nachdem bekannt geworden war, dass Alt auch der National-Zeitung ein Interview gegeben hatte, rechtfertigte er sich in der Aachener Zeitung, er habe ja nur ein paar Fragen schriftlich beantwortet.

Und die diesjährigen Träger des Aachener Friedenspreises in der Rubrik Nationales? Auch sie vertreten zweifelhafte Positionen. Die Ordensleute glauben, »dass letztlich das kapitalistische Wirtschaftssystem die Quelle dauernder Ungerechtigkeit und Ausbeutung ist«. Das Problem mit dem Kapitalismus besteht für sie aber nicht in den Produktionsverhältnissen, sondern in der »Gewinnmaximierung um jeden Preis« und der »Vermehrung des Geldvermögens durch Zins und Zinseszins«. Sie kritisieren »all das also, was man gemeinhin als Raffgier bezeichnet«. Die Ordensleute lehnen vor allem den »Kasino-Kapitalismus« ab, getreu der Überzeugung: »Ihr könnt nicht Gott dienen und zugleich dem Mammon.«

So demonstriert die seit 20 Jahren existierende Initiative in Kirchen, vor Militärstützpunkten und seit 1990 immer wieder vor der Hauptzentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Einen Tag nach der Preisverleihung blockierten die Ordensleute eine Filiale der Deutschen Bank in Aachen. Sie eifern nach eigener Angabe Jesus nach, der einst die Geldwechsler vor dem Tempel vertrieb. Sie sehen sich als »Sand im Getriebe«.

So hat es die Auswahl der diesjährigen Träger des Aachener Friedenspreises in sich. Ein Überlebender der Shoah, der Israels Politik harsch kritisiert, eine Palästinenserin, die der israelischen Regierung alle Schuld an der Lage ihres Volkes gibt und Christen, die das Zinswesen anprangern: Diese Mischung bedient all die Ressentiments gegen die vermeintlichen Hauptverantwortlichen für die Ungerechtigkeiten in der Welt. So ehrenwert das Engagement von Moskovitz und Espanioly sein mag, das Saalpublikum war jedenfalls begeistert, dass einmal mehr mutig Klartext gesprochen wurde – gegen Israel, die »Antisemitismuskeule« und das schmutzige Geldwesen.