Bomben und Subventionen

Die Zahl der Anschläge in Korsika ist stark gestiegen. Doch langfristig sehen die Nationalisten ihren Platz im Europa der Regionen. von bernhard schmid, paris

Ein Wechselbad der Gefühle dürfte es dem französischen Innenminister Nicolas Sarkozy bereiten, den Namen der Mittelmeerinsel Korsika zu hören. Noch vor einigen Wochen präsentierte er sich gern als Politiker, der endlich für Stabilität in Frankreichs permanenter Unruhezone sorgt und der dort Erfolg hat, wo seine Amtsvorgänger scheiterten. Doch eine neue Eskalation der Gewalt auf Korsika trübt das Bild, das der ehrgeizige Minister gern von sich gezeichnet hätte. 60 Anschläge, in der Regel mit Sprengstoff, waren allein im Juli und August zu verzeichnen.

Zuvor hatten die Explosionen auf der Insel in der Regel nachts stattgefunden, Ziel der Anschläge waren Verwaltungsgebäude, Symbole des französischen Staates sowie Villen und Ferienwohnungen von continentaux, Menschen, die auf dem französischen Festland leben. Tödliche Gewalt hingegen wandten die korsischen Nationalisten im Lauf der letzten 15 Jahre vorwiegend untereinander an. Hauptgrund dafür ist ihre Zersplitterung in rivalisierende Fraktionen, die seit einigen Jahren lediglich ihren mafiösen Interessen und anderen Formen von Selbstbereicherung nachgeben. Spätestens Mitte der achtziger Jahre hatte sich im korsischen Nationalismus, der zehn Jahre zuvor noch als »antikoloniale Befreiungsbewegung« angetreten war, der »militärische Arm« weitgehend der politischen Kontrolle entzogen. (Jungle World, 44/01)

Doch in den letzten Wochen lösten sich die Nationalisten von ihren Traditionen. Ihre Anschläge haben, wie die jüngste Sprengung mehrerer leer stehender Blöcke der Haftanstalt von Casabianda, immer spektakuläreren Charakter, und sie finden nun auch tagsüber statt. Auf Zivilisten wird neuerdings immer weniger Rücksicht genommen, »Kollateralschäden« werden einkalkuliert. So wurden 20 Personen leicht verletzt, als Mitte August ein Infrastrukturzentrum in Ajaccio in die Luft flog. Die Bombe war unmittelbar vor einem Wohngebäude gezündet worden.

Dabei scheint es zu einem Wettlauf zwischen rivalisierenden Gruppen zu kommen. Am vorletzten Donnerstag bekannte sich die größte bewaffnete Organisation, der FLNC-Union des Combattants (Nationale Befreiungsfront Korsikas – Bund der Kämpfer) zu insgesamt 22 Attentaten, vor allem gegen Gendarmerien. Dabei gab die Nachfolgeorganisation des früher prominenten FLNC-Canal historique sich aber Mühe, sich von einigen der jüngsten Attentate, vor allem gegen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, die nichts mit Polizei und Justiz zu tun haben, zu distanzieren.

Zu solchen Anschlägen hat sich unterdessen der FLNC der Dissidenten bekannt. Nach Ansicht mancher Nationalisten tragen die Staatsbediensteten die Schuld am »Scheitern des Referendums« vom 6. Juli. Tatsächlich haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes dazu beigetragen, dass die Abstimmung der knapp 200 000 wahlberechtigten Korsen mit einer mehrheitlichen Ablehnung der Pläne Sarkozys endete. Der Minister wollte als Vorstufe zu einer größeren Autonomie Korsikas im französischen Staatsverband die beiden Départements der Insel zu einer Verwaltungseinheit zusammenlegen. Diese Pläne waren sowohl von der sozialdemokratischen Parlamentsopposition als auch von den legalen politischen Vertretern der Nationalisten unterstützt worden.

Da Korsika über fast keine Industrie verfügt, arbeitet über ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung im Staatsdienst. Deswegen war hier die Bewegung der öffentlich Bediensteten gegen die so genannte Rentenreform im Frühsommer besonders stark, dieser Unmut fand auch in der Ablehnung der Vorlage Sarkozys seinen Ausdruck.

Die Nationalisten hatten am Ende ein gespaltenes Verhältnis zur Abstimmung. Einerseits forderten sie größere Vollmachten für die korsischen Parlamentarier. Andererseits empörten sie sich über die weniger als 48 Stunden vor dem Referendum erfolgte Festnahme von Yvan Colonna. Er wird verdächtigt, der Todesschütze jenes zehnköpfigen Kommandos zu sein, das im Februar 1998 den ranghöchsten Vertreter des französischen Zentralstaats auf der Insel, den Präfekten Claude Erignac, erschoss.

Der Zeitpunkt der Verhaftung des seit fünf Jahren Gesuchten ließ viele Beobachter von politischer Manipulation sprechen. In ihren Augen versuchte der »Superminister« Sarkozy, an beiden Fronten zugleich zu gewinnen: Die Festnahme Colonnas sollte die Staatsautorität unter Beweis stellen, das Referendum zugleich die Nationalisten einbinden. Doch viele von deren Sympathisanten erblickten in der Festnahme einen bewussten Affront und stimmten deswegen wohl am Ende doch nicht für die Vorlage Sarkozys.

Die Verhaftung einer Reihe von Verdächtigen, die Colonna auf seiner Flucht geholfen haben sollen, steigerte ihren Unmut noch. Am vorletzten Dienstag traf es gar Marc Simeoni, den 30jährigen Sohn des »Gründervaters« des korsischen Nationalismus aus den Jahren um 1975, Edmond Simeoni. In den Augen der Nationalisten tritt die Pariser Regierung »den korsischen Ehrenkodex mit Füßen«, der gebiete, einem Flüchtigen Gastfreundschaft zu gewähren.

Am 17. Juli zogen die legalen Vertreter der Nationalistengrüppchen, die Abgeordneten der Sammelbewegung Corsica Nazione, aus dem Regionalparlament in Ajaccio aus. Ihre »Politik des leeren Stuhls« dürfte allerdings wohl nur bis zu den nächsten Regionalwahlen im März 2004 anhalten. Sie haben bereits angekündigt, danach, ihrer Hoffnung nach gestärkt, wieder für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Bis dahin aber müssen sie den radikalisierten Teil ihrer Basis durch starke Sprüche einbinden.

Auf Dauer aber werden die Nationalisten zweifellos wieder versuchen, auf der politischen Bühne um Einfluss zu ringen. Die Anschläge dürften eher ein Rückzugsgefecht sein, mit dem konkurrierende Fraktionen Anhänger an sich binden wollen, als der Beginn einer groß angelegten Offensive. Denn einerseits vertreten die Nationalisten kein »um seine Unabhängigkeit kämpfendes Volk« – 80 Prozent der Korsen sind gegen eine Lostrennung von Frankreich –, und sie verfügen über keine politische Strategie, die dieses Namens würdig wäre. Andererseits erhoffen sie sich längst Subventionen und Unterstützungszahlungen, wobei sie sich allerdings stärker an die EU-Institutionen mit ihren Hilfsfonds für strukturschwache Regionen als an den französischen Staat anlehnen wollen. In einem neoliberalen »Europa der Regionen« würden sie gern ihren Platz einnehmen.